Milena Adam (33) übersetzt aus dem Französischen und Englischen ins Deutsche, von ihr sind in diesem Jahr gleich zahlreiche Übersetzungen erschienen. Wenn Großverlage und Medienkonzerne mit ihren Honoraren Minimalstandards unterlaufen, findet sie das »kackendreist«, die angekündigten Kürzungen für den Deutschen Übersetzerfonds empfindet sie als Hohn. Vom Übersetzen allein kann sie nicht leben, sie setzt auf eine Mischkalkulation mit themennahen Nebenerwerben.
Milena Adam, was treibt Sie an, was motiviert Sie?
Erstens Zeitdruck: Ich bin immer, mit allem, fast zu spät, schaffe es aber am Ende doch noch. Zweitens Geld: Ich würde auch mit bedingungslosem Grundeinkommen oder Millionenerbe noch Bücher übersetzen wollen – aber es wären weniger, ich würde mir mehr Zeit nehmen. Drittens Literatur: Lesen war immer meine Flucht vor der Welt und meinen eigenen rasenden Gedanken. Übersetzen ist wie Lesen, nur langsamer, und hat denselben Effekt. Ich kann mich, wenn es gut läuft, stundenlang vergessen. Jedes Wort muss an seinen Platz, es ist wie puzzeln. Nichts ist befriedigender als das Gefühl, dass es passt. Viertens Passion: Bei Büchern, die mir sehr am Herzen liegen, verspüre ich den starken Drang, jedem, also wirklich jedem Menschen davon zu erzählen und ihn zum Lesen zu drängen. Da ist also auch der Wunsch, diese Texte zu teilen und zugänglich zu machen. Ich wünsche den Autor:innen mehr Leserschaft und der Leserschaft gute Lektüre.
Welche Idealvorstellungen zum Übersetzer:innenberuf hat sich bei Ihnen bestätigt oder wo wurden Sie eines Besseren belehrt?
Ich hatte so gut wie keine Vorstellung von diesem Beruf, bis ich selbst hineingeraten bin. Ich hielt das Literaturübersetzen für eine Nische, die nur von Genies mit geradezu übersinnlichen Fähigkeiten und siebzehn akademischen Abschlüssen besetzt wird. Hätte ich geahnt, dass ich so mein Brot verdienen kann, wäre mir früher deutlich weniger elend zumute gewesen.
Aktuelle Übersetzungen von Milena Adam
Aktuelle Übersetzungen von Milena Adam: Sandra Newman: Das Verschwinden, Eichborn, 2024. Lucie Rico: Die Ballade vom vakuumverpackten Hähnchen, Matthes & Seitz Berlin, 2024. Phillip B. Williams: OURS – Die Stadt, S. Fischer, 2024. Katharina Volckmer: Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für sie tun?, März Verlag, 2024. Alain Damasio: Die Horde im Gegenwind, Matthes & Seitz Berlin, 2024.
Wie gut können Sie von der Übersetzungsarbeit leben beziehungsweise wie wichtig sind Nebeneinkommen durch Gutachten, Literaturvermittlung, Autor:innentätigkeiten sowie Lesungen oder Moderationen?
Ich verdiene im Schnitt circa 3.000 Euro brutto, davon kommen etwa 30 Prozent aus Nebentätigkeiten, hauptsächlich Dolmetschen und Moderationen. Das ist unter dem Medianeinkommen, aber dank Künstlersozialkasse okay. Ich glaube, viele Übersetzer:innen sind findig, sich Nebenerwerbe zu organisieren. Die 30 Prozent Einkommen aus anderen Tätigkeiten kosten mich deutlich weniger als 30 Prozent meiner Arbeitsstunden. Es ist also eine Mischkalkulation. Ich mache auch langweilige Arbeiten, wenn ich sehr gut bezahlt werde, weil ich mir damit Zeit für meine Herzensprojekte kaufen kann.
Wie weit sind Ihre Übersetzungshonorare von einem Ihrer Meinung nach fairen Honorar entfernt?
Das lässt sich meiner Meinung nach nicht beantworten, weil eine Definition von »fair« fehlt. Wenn ein unabhängiger Verlag, der selbst um seine Existenz kämpft und in dem Inhaber:innen wie Mitarbeitende schlecht verdienen, mir ein eher niedriges Honorar anbietet, das aber dennoch einen Großteil des Projektbudgets verschlingt, ist das dann fair? Schwer zu sagen. Umgekehrt ist es einfacher: Wenn eine riesige Mediengruppe dieses Honorar dann noch unterbieten möchte, finde ich das unfair, oder besser gesagt, kackendreist. Ich treffe meine Entscheidungen zudem nach dem Spaßfaktor: Will ich an diesem Buch arbeiten, liebe ich den Text, ist mir der Verlag mit seinem Programm und Anliegen wichtig? Dann macht die Arbeit Spaß und ich bin bereit, für weniger Honorar zu arbeiten. Je weniger dieser Faktoren zutreffen, desto höher muss das Honorar sein, damit ich zusage. Eine Untergrenze gibt es natürlich. Vielleicht bin ich auch eine schlechte Verhandlerin, aber mir erschien der Spielraum im Literaturbereich immer eher klein und die Verhandlung daher ziemlich standardisiert. Außerhalb sieht es anders aus.
Wie steht es um Ihre Work-Life-Balance?
Nach objektiven Kriterien wahrscheinlich unter aller Sau, aber der Spaßfaktor trägt entscheidend dazu bei, dass ich es nicht so merke.
Wenn Sie einen Wunsch als Übersetzerin frei hätten, welcher wäre das?
Eine Neuübersetzung von Stephen Kings »Der Dunkle Turm«. Ein neuer »Herr der Ringe« wäre auch schön, aber »Der Dunkle Turm« hat es nötiger.
Wenn Sie noch einmal von vorn anfangen könnten, würden Sie wieder Übersetzerin werden?
Unbedingt. Ich kann auch gar nichts anderes.
Wie würden Sie die Lage Ihrer Branche beschreiben?
Hoffnungslos, aber nicht ernst. Oder andersrum? Insbesondere bei den unabhängigen Verlagen ist der ungebrochene Wille da, grenzüberschreitende, unbequeme und im besten Sinne herausfordernde Literatur zu verlegen. Ich glaube, die Leute lesen, was angeboten und angepriesen wird, und deswegen wünsche ich mir mehr wildes Zeug in den Läden und Medienberichten. Das ist ein großer Antrieb für mich. Andererseits ist es für solche literarischen Stimmen in der derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Situation schwieriger denn je, in die Läden, Medienberichte und Bücherregale vorzudringen. Die angekündigten massiven Kürzungen bei den Bundeskulturfonds und damit auch beim Deutschen Übersetzerfonds wirken in diesem Kontext wie ein Hohn – als würde man der unabhängigen Literatur, die ohnehin gerade einen schweren Stand hat, noch die letzte Stütze absägen, um das Holz kurzfristig anderswo zu verfeuern. Aber Literatur ist kein verzichtbarer Luxus. Wir brauchen sie, um andere Wirklichkeiten zu erfahren als unsere eigenen. Wir brauchen sie zum Träumen und zum Denken, und auch unser Handeln profitiert von einer weiten Perspektive auf die Welt. Wenn man die Zahlen, um die es am Ende geht, im Vergleich zu anderen Bundesausgaben betrachtet, wirkt die Entscheidung der Ampel eher wie eine Symbolhandlung als eine tatsächliche Sparmaßnahme. Leider sind die Konsequenzen real, denn eine zerschlagene Verlagslandschaft wird von gesichtslosen Großkonzernen erobert, die ihr Wiederaufleben sehr erfolgreich verhindern. Diese Entwicklung kennen wir aus vielen anderen Ländern, und blicken ihr mit Sorge entgegen. Ich glaube daran, dass eine gute Geschichte ihren Weg findet, aber man muss ihn ja nicht noch extra steinig gestalten. Eine (am Maßstab der großen Wirtschaft gemessen kleine) Förderung vom Deutschen Übersetzerfonds gibt für Verlag und Übersetzer:in oft den Ausschlag, einem Buch, das keine gängige Nische bedient, eine Chance zu geben. Und damit kann es für fünfzig oder fünfzigtausend Leser:innen die Welt bedeuten, oder eine Welt.
Wie sehr sorgt Sie die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz?
Sie sorgt mich durchaus, aber nicht aus berufspolitischer Sicht. Bevor die KI an meiner statt experimentelle und fantastische Literatur übersetzt, wird unser Leben und Arbeiten wohl eher von der Unterwanderung politischer und gesellschaftlicher Systeme bedroht.
Wie steht es um die Anerkennung bei Verlagen, den Kritiker:innen, dem Buchhandel und den Leser:innen?
Bei den Verlagen überwiegend gut – das Problem der finanziellen Anerkennung habe ich ja schon beschrieben – und in der Kritik durchwachsen. Aus dem Buchhandel bekomme ich wenig mit, bei der Leserschaft bin ich mir auch nicht sicher, wobei ich es bei letzterer nachvollziehbar finde, dass man sich gern dem Gefühl hingibt, ganz der Erzählung des Autors oder der Autorin zu lauschen und sich über die vermittelnde Instanz keine Gedanken machen möchte. Anders sieht es in der Kritik aus, da erscheint es mir geradezu unseriös, diese Instanz nicht mitzudenken, da sie den Leseeindruck ja entscheidend prägt.
[…] Das waren Fragen, die Teil eines Fragebogens waren, den ich Gesine Schröder, Katy Derbyshire, Milena Adam, Stefanie Ochel, Odile Kennel und Andreas Jandl zugeschickt […]