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»Ich jongliere immer mit zehn Projekten gleichzeitig«

Odile Kennel (57) übersetzt französische, spanische, portugiesische und englische Lyrik. Zuletzt u.a. »Brennen, Brennen, Brennen« von Liselotte Lombé. | © Jan Beumelburg

Odile Kennel (57) ist nicht nur anerkannte Lyrikerin und Autorin, sondern auch eine geschätzte Übersetzerin, die Lyrik aus dem Französischen, Portugiesischen, Spanischen und Englischen übersetzt. Sie begreift sich als im »Großraum Sprache« beheimatet, entsprechend trennt sie weder die eine Tätigkeit von der anderen, noch Leben von Arbeit. Übersetzen, reisen, lesen, moderieren, netzwerken gehen bei ihr Hand in Hand. Dennoch fehlen ihr kreative »Autragsübersetzungspausen« sowie eine Anerkennung von Lyrik und ihrer Übersetzungsarbeit, die sich auch finanziell niederschlägt.

Odile Kennel, was treibt Sie an, was motiviert Sie?
Sprache; ich bin selbst Lyrikerin, übersetze viel Lyrik, das gehört für mich zusammen, dieses Die-Sprache-Formen. Ich nenne das »osmotisches Übersetzen«, diese Verflechtung zwischen eigenem Schreiben und (eigenem) Übersetzen, diese gegenseitige Beeinflussung.

Oft hat man Idealvorstellungen an einen Beruf. Welche hat sich bei Ihnen bestätigt und wo wurden Sie eines Besseren belehrt?
Oh, ich bin »hineingerutscht«, es gab also nicht eine Vorstellung und dann bin ich Übersetzerin geworden. Ich bekam einen Gedichtübersetzungsauftrag, erstmal nur, weil ich die Sprache konnte. Und dann saß ich da bzw. ich schwebte! Und war angefixt. Das war eine Art Anfangsepiphanie. Das ist 20 Jahre her. Bis ich vom »Großraum Sprache« leben konnte (meine Texte, meine Übersetzungen, Lesungen, Stipendien, Moderationen u.a.) war es ein langer, mühsamer Weg. Gerade bin ich sehr glücklich damit. Aber ich bin in hohem Maße von öffentlichen Geldern abhängig; auch meine Auftraggeber, Festivals, Zeitschriften sind ja dadurch finanziert. Es kann also jederzeit zu Ende sein. Plan B … keine Ahnung, jobben, irgendwas, das verdränge ich.

Übersetzungen von Odile Kennel

Robin Coste Lewis: Die Reise der schwarzen Venus, Steidl, 2017. Jacques Darras: Ode an den Champagner, Klak Verlag, 2018. Douglas Diegues: Hands in the matsch. Gedichte aus dem Wilden Portunjoll, Hochroth Verlag, 2022. Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust, Elif Verlag, 2020. Lisette Lombé: Brennen Brennen Brennen, Assoziation A, 2024.

Wie gut können Sie von der Übersetzungsarbeit leben beziehungsweise wie wichtig sind Nebeneinkommen durch Gutachten, Literaturvermittlung, Autor:innentätigkeiten sowie Lesungen und Moderationen?
Das sind keine Nebentätigkeiten, sondern integraler Bestandteil meines Lebens, siehe vorige Frage. Was heißt verdienen? Umsatz? Einkommen nach Abzug der Krankenkasse? Und davon geht ja noch die Steuer weg; Angestellte behalten ja, was auf dem Konto landet. Mein Verdienst ist unregelmäßig. Gewinn (von dem ich also noch Steuern zahle) 2023 waren es 22.445 Euro, 2022 11.033 Euro und 2021 19.030 Euro. Ich kann davon leben, weil ich einen alten Mietvertrag mit entsprechender Miete habe; weil ich keine Kinder habe; weil mein Lebensstandard gemessen am Bundesdurchschnitt sehr niedrig ist (kein Auto, keine teuren Geräte, Second-Hand-Kleidung usw.); weil ich eher selten verreise, es sei denn, ich bin eingeladen für Lesungen. Reisen würde ich gerne mehr und unabhängig. Irgendwo hinfahren, einen Monat da bleiben und dort arbeiten, ohne dass es sich um ein Stipendium handelt, also der Ort frei gewählt, und ohne mir vorher ein Projekt aus den Rippen leiern zu müssen. Ich würde immer schreiben und übersetzen bei so einem Aufenthalt, dann eben nur die Dichter*innen, auf die ich Lust habe, keine Aufträge. Wie gesagt, ich kann das nicht trennen.

Wie weit sind Ihre Übersetzungshonorare von einem Ihrer Meinung nach fairen Honorar entfernt?
Bei Lyrik gibt es nichts Standardisiertes. Unverschämtestes Angebot: Es ist schon passiert, dass internationale Festivals, die auf diesen Titel Wert legen, kein Budget für Übersetzungen eingeplant hatten… und im letzten Moment für irrsinnig wenig Geld eine Gedichtübersetzung wollten (habe ich abgelehnt). Das Problem bei übersetzter, zeitgenössischer, nicht englischsprachiger oder kanonisierter Lyrik: Das machen nur noch die »kleinen« Verlage. Die können kein Honorar zahlen. Das heißt: Ich muss als Übersetzerin nicht nur den Verlag finden, sondern mich auch noch um die Finanzierung durch ein Stipendium kümmern. Und falle aus den meisten Preisen raus, die für Prosa sind oder an den Bedingungen für Prosa orientiert sind oder wenn, dann nur kanonisierte, »sichere«, eher englischsprachige Werke berücksichtigen.

Wie steht es um Ihre Work-Life-Balance?
Das ist keine Kategorie, in der ich denke. Mein Leben ist mein Leben und meine Leidenschaft. Es würde mir wohl gut tun, mehr Pausen einzulegen, zum Beispiel in Form von Ferien. Dafür fehlt mir das Geld. Oder vielleicht kann ich das gar nicht so richtig? Ich meine, als Dichterin bin ich immer »im Beruf«. Auftragsübersetzungspausen, die bräuchte ich manchmal. Oder weniger zerstückelte Zeit, weil ich immer mit zehn Projekten gleichzeitig jongliere. Anderseits habe ich selten Stress in dem Sinne, dass ich mich gehetzt fühle. Viel Arbeit, das schon, aber selten Stress. Ich nehme es mir raus, auch mal unter der Woche an den See zu fahren, wenn das Wetter schön ist. Dafür arbeite ich oft am Wochenende. Also: Könnte mehr Pausen gebrauchen; aber achte darauf, nicht auf dem Zahnfleisch zu kriechen. Gönne mir kleine schöne Momente. Das kann ich mir jetzt leisten, aber erst seit ein paar Jahren, z.B. im Sommer weniger Aufträge anzunehmen. Es gab auch Zeiten, da war ein Kaffee draußen im Café schon ein Luxus.

Odile Kennel (57) übersetzt französische, spanische, portugiesische und englische Lyrik. Zuletzt u.a. »Brennen, Brennen, Brennen« von Liselotte Lombé. | © Jan Beumelburg
Odile Kennel (57) übersetzt französische, spanische, portugiesische und englische Lyrik. Zuletzt u.a. »Brennen, Brennen, Brennen« von Liselotte Lombé. | © Jan Beumelburg

Wenn Sie einen Wunsch als Übersetzerin frei hätten, welcher wäre das?
Dass die Gemengelage aus Übersetzungs- und anderen Arbeiten besser würde (z.B. durch Projekt-Förderung für kleine Verlage wie in Frankreich oder Österreich). Dass es Stipendien gäbe, die Schreiben und Übersetzen als eines begreifen. Bei denen man sich für einen Aufenthalt in einem Land bewerben kann und das bedeutet, nicht nur selbst an einem Schreibprojekt zu arbeiten, sondern die Dichter:innenszene vor Ort kennenzulernen und Dichter:innen zu übersetzen. Ein anderes Thema: Dass Veranstalter:innen bereit sind, auch für den Auftritt der Übersetzerin zu zahlen. Gerade bei Lyrik wäre das wichtig und auch fürs Publikum toll.

Wenn Sie noch einmal von vorn anfangen könnten, würden Sie wieder Übersetzerin werden?
Ich bin ja erstmal Lyrikerin. Habe viel ausprobiert, und Übersetzung ist das, was am besten dazu passt. Und eigentlich auch nicht mehr zu trennen ist davon, also: ja.

Wie würden Sie die Lage Ihrer Branche beschreiben?
MIt allen strukturellen Eigenheiten, die das Übersetzen von Poesie mit sich bringt, hätte ich bis vor kurzem noch gesagt: Es gibt noch viel zu tun, aber es bewegt sich etwas. Die aktuell angedrohten Kürzungen der Fonds auf Bundesebene und in der Berliner Kulturpolitik sind eine echte Bedrohung für Qualität von Kultur und Überleben als Übersetzerin (und Schriftstellerin). Es geht nur noch um Markt, wie mir scheint; mir kam der zynische Gedanke: Ach, die AfD brauchen wir gar nicht, um Kultur drastisch zu beschneiden. Das machen schon die anderen Parteien (gilt natürlich auch für viele andere Bereiche).

Wie sehr sorgt Sie die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz?
Das lässt sich nicht in ein paar Sätzen beantworten. Bisher kann KI nicht einmal Zeilenbrüche bei Lyrik erkennen, aber das ist eine winzige Nische. Sie kann perfekte, aber stählerne Texte produzieren. Vielleicht reicht das aber den meisten? Mich empört vor allem der Megadatenklau. Sagen wir es so: Würden die KI-Unternehmen für das verwendete Material in einen Fonds zahlen müssen (der in soziale Projekte und Autor:innenunterstützung flösse), wenn sie also bezahlen müssten, wäre es mit der KI schnell vorbei. Insofern nervt dieses »wir können es eh nicht aufhalten«. Es ist eine Frage des politischen Willens.

Wie steht es um die Anerkennung bei Verlagen, den Kritiker:innen, dem Buchhandel und den Leser:innen?
Na ja, immer noch werden Kritiken geschrieben, die die Sprache loben, ohne zu erwähnen, dass der:die Autor:in das so nicht verfasst hat. Durchsichtige Übersetzer:innen! Oder einfach Ignoranz und in meinen Augen Unprofessionalität. Aber manche Zeitungen schreiben immerhin schon Autor:in und Übersetzer:in in die Literaturangabe. Und übersetzte Lyrik… traut sich eh kaum einer (weil sie denken, sie müssten die Ursprungssprache dafür können; interessanterweise nicht bei Prosa, wo sie tun, als gäbe es die Ursprungssprache gar nicht). Die Anerkennung durch kleine Verlage ist hoch, große Verlage gehen keine Risiken ein. Im Buchhandel ist es von den Buchhandlungen abhängig. Und bei den Leser:innen ist es, soweit ich das über Instagram oder Lesungen mitbekomme, gut. Aber es ist eben eine kleine Leserschaft.

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