Interviews & Porträts, Literatur

»Eine tragfähige Altersvorsorge aufzubauen ist schwierig«

Gesine Schröder (47) übersetzt aus dem Englischen. Zuletzt u.a. »Jahr der Wunder« von Pulitzerpreisträgerin Louise Erdrich. | © frischefotos

Gesine Schröder (47) übersetzt seit 16 Jahren Belletristik, Sach- und Kinderbücher aus dem Englischen, u.a. Pulitzerpreisträgerin Louise Erdrich ist eine ihrer Autor:innen. Schröder beklagt, dass sich Verlage oft nicht bewusst machen, was es bedeutet, pro Seite honoriert zu werden. Außerdem wünscht sie sich mehr Muße – für sich selbst, ihre Übersetzungen und eigene Projektideen.

Gesine Schröder, was treibt Sie an, was motiviert Sie?
Übersetzen ist die schönste, intensivste Form des Lesens. Die monatelange Konzentration auf einen Text und seine Kontexte führt zu immer neuen literarischen Entdeckungen und erweitert den Horizont. Sich so in ein Buch hineinzuversenken, dass man nachts um drei mit neuen Formulierungsideen aufwacht, das macht süchtig.

Welche Idealvorstellungen zum Übersetzer:innenberuf hat sich bei Ihnen bestätigt oder wo wurden Sie eines Besseren belehrt?
Ich hatte keine Idealvorstellung, sondern Angst vor der Freiberuflichkeit. Die braucht man nicht zu haben! Nur den Austausch mit meinen Autor:innen habe ich mir anders vorgestellt: Hochintellektuelle Fragen nach Feinheiten der Figurenentwicklung, nach den Nuancen einzelner Wörter oder psychologischen Hintergründen beantwortet, wie ich feststellen durfte, praktisch immer der Text selbst. Als Fragen an den/die Autor:in bleiben meist nur randständige Details oder kleine Plotfehler übrig. Es ist trotzdem immer spannend, sie kennenzulernen.

Aktuelle Übersetzungen von Gesine Schröder


Mai Corland: Five Broken Blades, S. Fischer, 2024 (mit Nadine Püschel, Nadine Mutz). Naomi Wood: Dino Moms, HarperCollins, 2024. Louise Erdrich: Jahr der Wunder, Aufbau, 2023. Honorée Fannone Jeffers: Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois, Piper, 2022 (mit Maria Hummitzsch). Katrine Kielos-Marçal: Die Mutter der Erfindung, Rowohlt, 2022.

Wie gut können Sie von der Übersetzungsarbeit leben beziehungsweise wie wichtig sind Nebeneinkommen durch Gutachten, Literaturvermittlung, Autor:innentätigkeiten sowie Lesungen und Moderationen?
Eine tragfähige Altersvorsorge aufzubauen ist bei meinem Einkommen schwierig; ich werde vermutlich – wie viele Kolleginnen und Kollegen – nach meinem Eintritt ins Rentenalter noch eine Weile weiterarbeiten müssen, um einen Lebensstandard über dem Sozialhilfeniveau zu halten. Nebentätigkeiten sind nicht nur ein finanzieller Faktor: Wenn sie zeitlich flexibel sind, füllen sie Auftragslücken und sorgen allein dadurch schon für mehr Umsatzstabilität und eine bessere Verhandlungsposition. Mit Glück vertiefen sie aber zusätzlich nützliche Fähigkeiten und bieten Gelegenheit zur Teamarbeit. Rund ein Viertel meiner jährlichen Arbeitszeit verbringe ich aktuell mit solchen zusätzlichen Jobs und möchte sie nicht mehr missen.


Wie weit sind Ihre Übersetzungshonorare von einem Ihrer Meinung nach fairen Honorar entfernt?
Damit ich substanziell in die Rentenkasse einzahlen könnte, müssten meine Honorare erheblich höher sein. Der Faktor ist schwer zu beziffern, weil meine Geschwindigkeit beim Übersetzen schwankt. Bei manchen Projekten bräuchte ich das doppelte Seitenhonorar, um auf brauchbare Tagessätze zu kommen. Meine festangestellten Projektpartner:innen im Verlag machen sich oft nicht bewusst, was es bedeutet, pro Seite honoriert zu werden: Mit jedem zusätzlichen Tag, den ich in ein Projekt stecke, wird mein Jahresumsatz geringer. Daher fände ich es fair, wenn Verlage für Extratätigkeiten (wie Mithilfe bei der Titelfindung, Gegenlesen von Klappentexten, Einarbeiten später Änderungen im Original) von sich aus eine Extravergütung anbieten würden.

Wie steht es um Ihre Work-Life-Balance?
Schwankend: Mal kann ich spontan eine kleine Reise antreten oder genieße die Freiheit, eine Zeit (arbeitend) im Ausland zu verbringen – und mal frisst der Job mein Sozialleben und meine Wochenenden.

Wenn Sie einen Wunsch als Übersetzerin frei hätten, welcher wäre das?
Mehr Muße. Die enge Zeitplanung mancher Verlage und der Zeitdruck, den niedrige Seitenhonorare mit sich bringen, lassen nicht viel Raum für ungezwungene Lektüre, eigene Projektideen, Reflexion der eigenen Arbeit oder Fortbildungen. Bei alledem hilft hin und wieder der Deutsche Übersetzerfonds durch seine Stipendien und Fortbildungs-Fördergelder.

Gesine Schröder (47) übersetzt aus dem Englischen. Zuletzt u.a. »Jahr der Wunder« von Pulitzerpreisträgerin Louise Erdrich. | © frischefotos
Gesine Schröder (47) übersetzt aus dem Englischen. Zuletzt u.a. »Jahr der Wunder« von Pulitzerpreisträgerin Louise Erdrich. | © frischefotos

Wenn Sie noch einmal von vorn anfangen könnten, würden Sie wieder Übersetzerin werden?
Ja, allein schon wegen der wunderbaren Menschen, die ich auf dem Weg kennengelernt habe. 


Wie würden Sie die Lage Ihrer Branche beschreiben?
Verlagsbücher – die von Verlagen geprüft, verbessert, beworben, gedruckt und an Buchhandlungen vertrieben werden – scheinen allmählich zu einem Nischenprodukt zu werden. Damit schrumpft auch der Markt für gut gemachte Übersetzungen.

Wie sehr sorgt Sie die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz?
Sie behindert mich akut bei der Arbeit: Bis vor Kurzem waren Internetrecherchen mithilfe von Suchmaschinen ein gutes Mittel, um sich ein Bild von bestimmten Bereichen des Sprachgebrauchs zu machen, die nicht in Nachschlagewerken dokumentiert sind. Jetzt werden die Suchergebnisse so sehr von automatisch generierten Textpassagen und maschinellen Übersetzungen dominiert, dass ich menschengemachte Sprache erst mühsam über handverlesene Websites und Links aufspüren muss wie damals, in den düsteren Zeiten der fiependen Modems. Sorgen bereitet mir auch der hohe Energieverbrauch dieser Anwendungen.

Wie steht es um die Anerkennung bei Verlagen, den Kritiker:innen, dem Buchhandel und den Leser:innen?
Lektor:innen wissen immer, was wir leisten, Kritiker:innen zunehmend öfter. Zusammen mit den Buchhändler:innen und anspruchsvollen Leserinnen und Lesern tragen sie viel dazu bei, unseren Beruf zu erhalten – zum Beispiel dadurch, dass sie sich mit hastig heruntergenudelten oder ohne Stilwillen maschinell generierten Übersetzungen nicht zufriedengeben und von Verlagen fordern, dass sie Profis engagieren. 


2 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.