In »Das Blutbuchenfest« entwirft Martin Mosebach ein überzeichnetes Beziehungsgeflecht zwischen zutiefst unsympathischen Mitgliedern der Frankfurter besseren Gesellschaft. Ihnen stellt er Ivana zur Seite. Alle Handlungsstränge laufen über die bosnische Putzfrau, in deren Heimat währenddessen der Krieg Einzug hält.
Schauplätze des neuen Romans von Martin Mosebach sind ein namenloses Frankfurt – zu großen Teilen – und – zu einem kleineren, aber wichtigen Teil – ein bosnisches Dorf, Heimatort von Ivana, der Figur, über die alle Handlungsfäden irgendwie zusammenlaufen. Wir befinden uns im Jahr 1991, der Bosnienkrieg steht direkt vor der Tür. Vielleicht ist es auch das Jahr 1992, das würde den historischen Ereignissen eher entsprechen, passt allerdings nicht ganz zur Jahreszeit, in der das Finale angesiedelt ist.
Ivana verdient ihr Geld als Putzfrau bei der Frankfurter High Society, einer ziemlich verkommenen Gesellschaft. Die Charaktere sind als Stereotypen ausgeformt, mit wunderbar sprechenden Namen. Rotzoff ist der gescheiterte Werber, dessen Schulden bei Restaurantbesitzer Merzinger, in dessen In-Lokal ein Großteil der Bagage gern Hof hält und übereinander herzieht, gewaltige Dimensionen angenommen haben. Um das Geld aufzutreiben, möchte Rotzoff ein exklusives Fest veranstalten. Stattfinden wird es in der Villa von Dr. Glück, am Stammtisch im Merzinger der Prügelknabe, in seinem Irgendwas-mit-Geld-Job ganz weit oben in der Nahrungskette.
Der einst bankrotte, jetzt wiederauferstandene Immobilienmogul Breegen und Wereschnikow, ein Wichtigtuer, der einen Kongress über die Würde der Balkan-Kulturen plant, teilen sich Maruscha als Geliebte. Die PR-Agentin Markies produziert Kontakte und heiße Luft, während die Modemacherin Beate Colisée so langsam der Demenz entgegengeht. Die Lebenswege der Beteiligten haben sich im Laufe der Jahre vielfach gekreuzt, sodass ein amüsantes Beziehungsgeflecht entsteht. Alles dreht sich um die eigenen Eitelkeiten, die jeweils Anderen sind nur dazu da, größtmöglichen Nutzen aus ihnen zu ziehen. Das Rad hat Mosebach dabei nicht neu erfunden, die Restaurantszenen erinnern doch stark an »Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief«. Mosebach erspart dem Leser auch nicht eine der klischeehaftesten Szenen überhaupt – den überraschten Liebhaber, der sich im Kleiderschrank versteckt. Das alles erfahren wir zum einen von einem auktorialen Erzähler, zum anderen von einem Ich-Erzähler, einem verbummelten Kunsthistoriker, der Jahre mit seiner Promotion über »Tintoretto in den Dogentestamenten des Cinquecento« verbracht hat, schon in den Neunzigern war man damit auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar. Verliebt ist er in die herzkranke Winnie, kurze Zeit glücklich, am Ende jedoch entpuppt sich der bis dahin sympathischste männliche Protagonist als erbärmlichste aller Gestalten.
Als Randfigur der höheren Gesellschaft leidlich geduldet, erhält er von Wereschnikow den Auftrag, begleitend zum Balkan-Kongress eine Ausstellung über Ivan Mestrovic, den »Michelangelo Bosniens« zu kuratieren. Dass der Erzähler den Namen noch nie gehört hat, verschweigt er wohlweislich. Mestrovic war mit Ivana verwandt, gemeinsam reisen die beiden in Ivanas Heimat. Auf der Hochzeit ihres Bruders passiert ein tragisches Unglück, eine Vorahnung der Ereignisse, die noch kommen werden. Ivana ist die eigentliche Hauptfigur des Romans, die dem Jahrmarkt der Eitelkeiten als stiller, stoischer Beobachter folgt. Das Leben ist klaglos zu ertragen. Im großen Finale während des Festes eskalieren dann die Ereignisse, in Frankfurt wird es zur Groteske, in Bosnien zur Katastrophe. Ivana kehrt die Scherben zusammen.
Über weite Strecken ist Das Blutbuchenfest eine gelungene Gesellschaftssatire, die durch die Parallelhandlung in Bosnien immer wieder geerdet wird. Mosebachs Vokabular mag den Personen und Situationen nicht immer angemessen erscheinen, durch den Kniff, einen Kunsthistoriker zum Erzähler zu machen, entzieht er sich aber diesem Vorwurf. Ein wenig krankt der Roman aber an dem zu gewaltigen Gegensatz zwischen dem bunt-intriganten Treiben der Frankfurter Gesellschaft und dem bäuerlich-urtypischen Leben und der drohenden Katastrophe in Bosnien. Durch die Überzeichnung des einen wird das andere relativiert, zu viel Antipathie verhindert Empathie.
Und dann ist da natürlich noch die Sache mit den Mobiltelefonen. Viel ist darüber diskutiert wurden, dass Mosebach seine Protagonisten eifrig mit dem Handy telefonieren lässt – im Jahr 1991. Mosebach hat ja der deutschen Literatur eine Tendenz zur Verschluderung vorgeworfen und nun schludert er selber? Man mag über die Gründe spekulieren. Dass Martin Mosebach vielen neuen Kommunikationsmöglichkeiten kritisch gegenübersteht, ist ein alter Hut. So kann man denn auch mutmaßen, dass das Diktum der ständigen Erreichbarkeit als aus der Zeit fallendes Phänomen Relevanz hat. Weniger wohlwollend ließe sich vermuten, dass sich die eine oder andere Handlungssituation mithilfe eines Mobiltelefons deutlich leichter auflösen lässt. Da fällt dann auch kaum noch ins Gewicht, dass Winnie in der U-Bahn eine E-Mail auf ihrem Laptop empfängt. Warum Mosebach nun allerdings auch noch Zinedine Zidanes Kopfstoß gegen Marco Materazzi aus dem WM-Finale 2006 in die frühen Neunziger verlegen musste, bleibt wohl sein Geheimnis.