Vor nicht einmal einhundert Jahren war der weibliche Teil der Bevölkerung in den meisten Staaten der Welt von der Mitbestimmung ausgeschlossen. Im Kino und der Neunten Kunst kann man aktuell den Kampf der Frauen um ihr Stimmrecht eindrucksvoll nachvollziehen.
Ob in den USA, der Europäischen Union oder in Deutschland an die Wahlurne gebeten wird, jedes Mal werden Milliardenbeträge ausgegeben, um das Wahlvolk zum Urnengang zu motivieren. Vor diesem Hintergrund scheint der Film Suffragette. Taten statt Worte, der aktuell in den deutschen Kinos zu sehen ist, wie ein Anachronismus, denn darin wird gezeigt, wie ein Teil der Gesellschaft vom Gang an die Urne abgehalten werden sollte. Er erzählt von dem aufopferungsvollen Kampf um Gleichberechtigung, den die »Suffragetten« um die Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, im Film gespielt von Meryl Streep, in England Anfang des 20. Jahrhunderts ausgefochten haben.
Den Kampf, den die Frauen um Pankhurst führen, ist ein ungleicher Kampf, da zur körperlichen Unterlegenheit der Frauen die der auferlegten politischen Unmündigkeit kommt und sich aus dieser heraus viele weitere strukturelle Benachteiligungen ergeben. Da ist die schlechtere Bezahlung für die gleiche Arbeit, das Berufsverbot in bestimmten Branchen und Positionen, die Haushaltsführung durch den Gatten und – natürlich – die Sicherung der vermeintlich »natürlichen« Hierarchien in der Gesellschaft, die den Mann, wann immer es ihm beliebt, über die Frau stellt. Dazu kommt, dass sich die Männergesellschaft des royalen britischen Reiches einen Sicherheits- und Überwachungsapparat geschaffen hat, der nicht nur jede Bewegung der engagierten Feministinnen registriert, sondern auch alles daran setzt, das Ziel der Frauen noch im Keim zu ersticken.
Der Film der britischen Filmemacherin Sarah Gavron konzentriert sich auf den beginnenden Aufstand der Frauen, um das Wahlrecht zu erlangen und erstreckt sich bis zum Tod von Emily Wilding Davison (Natalie Press), die eine der großen Märtyrerinnen der damaligen Frauenbewegung war. Die Heldin des Films, an der sich die Erzählung der Frauenbewegung orientiert, ist die junge Wäscherin Maud Watts (Carey Mulligan), die vor einem parlamentarischen Ausschuss nicht nur einige unangenehme Wahrheiten zur Situation ihresgleichen ausspricht, sondern sich immer engagierter für die Anliegen der Frauen einsetzt. Ihre Karriere lässt sich am besten mit der abgewandelten Floskel »von der unauffälligen Wäscherin zur feministischen Kämpferin« beschreiben, die ihren kämpferischen Worten nach anfänglichem Zögern dann auch Taten folgen lässt. Steine fliegen, Briefkästen explodieren, selbst am Haus des damaligen Premierministers knallt es.
Watts wird, wie auch viele Gleichgesinnte, einen hohen Preis dafür zahlen. Überwachung und Verfolgung, Kündigung und Prügel, Haftstrafen und körperliche Qual gehören zu den absehbaren Konsequenzen neben die der Verlust von Ansehen und Akzeptanz, von Zuneigung und Liebe und schließlich sogar von Ehemann und Sohn tritt. Denn im Kampf um ihre politischen Rechte wurden die Kinder der Suffragetten zur kostbaren »Handelsware«. Watts weiß das genau, an ihrer Seite kämpft mit Violet Miller (Anne-Marie Duff) eine Wäscherin, die all das schon hinter sich hat.
Spannend ist nicht nur, wie Gavron in ihrem Kostümfilm den gesellschaftspolitischen Kampf der Frauen beschreibt und zeigt, dass diese hierarchische Geschlechterpolitik ausschließlich über das wortwörtliche Brechen des weiblichen Körpers erfolgt. Überaus gelungen ist ebenso, wie die Britin den privaten Konflikten Raum gibt, die dem politischen Kampf und den gesellschaftlichen Spannungen nachfolgen, und wie sie die Ambivalenzen im familiären Beziehungsgefüge herausarbeitet.
Spätestens hier zeigt sich, dass Suffragette. Taten statt Worte die historischen Ereignisse zwar als Kostümfilm erzählt, aber alles andere als altmodisch ist. Die Diskussion um die Ereignisse in Köln hat gezeigt, wie schnell Frauen als Subjekte zu Objekten werden, indem die Übergriffe instrumentalisiert und den jeweiligen politischen Zwecken der Argumentation zugeführt werden. Dazu kommt, dass dieser Film viel über die Abgründe der Demokratie erzählt, auch der heutigen. Es geht um Korruption und Betrug, um Bestechung und Gewalt, und nicht zuletzt darum, wer wen womit kauft.
Auch filmografisch ist Gavrons dritter Spielfilm eine konsequente Fortsetzung ihrer Suche nach Kippmomenten der weiblichen Selbstbestimmung. Brick Lane ist das Porträt einer gekauften Braut, die aus Bangladesch nach London kommt und um ihre Seele kämpfen muss, Frühgeboren die sensible Suche eines Paares nach sich selbst.
Ein Manko von Suffragette. Taten statt Worte wird erst deutlich, wenn man zu dem zeitgleich erschienenen Comic greift, dass die Wissenschaftlerin Mary Talbot gemeinsam mit ihrem Mann, dem Comiczeichner Bryan Talbot, und der Cartoonistin Kate Charlesworths verfasst hat. Votes for Women. Der Marsch der Suffragetten erzählt im Grunde dieselbe Geschichte, hier aus der Perspektive einer aufstrebenden Näherin namens Sarah Heathcote, die sich an ihrem Lebensende an alte Zeiten erinnert.
Der Comic geht in seiner Erzählung aber stärker in die Breite, umfasst mehrere Jahre und ermöglicht damit auch einen weiteren Blick. Wo sich der Film nur auf den Aufstand, dessen Ursprünge und dramatische Höhepunkte konzentriert, vertieft der Comic die Argumentation der Suffragetten. Dabei wird deutlich, dass die Feministinnen keineswegs so einhellig ihre Ziele verfolgt haben, wie das Gavron im Film vermittelt, sondern dass die Frauenrechtlerinnen während ihres Kampfes in mehrere Lager auseinandergefallen sind. Der Comic arbeitet auch deutlich stärker die ambivalente Persönlichkeit von Emmeline Pankhurst heraus, die im Film nur einen Auftritt als Grand Dame der Emanzipation erhält, hier aber auch als eitle und selbstverliebte Kämpferin in Erscheinung tritt. Dazu tritt die Bigotterie des Klassensystems, dass im viktorianischen England nicht nur die Gesellschaft als solche sortiert, sondern auch in den Frauenclubs und feministischen Organisationen eine seltsame Hierarchie befördert hat.
Zugleich leidet der Comic an Überzeichnung. Damit wird die Erzählung Opfer des gewählten Mediums, denn die Grafik neigt zur Dämonisierung. Dabei bräuchte es diese Extreme nicht, Dialoge, Forderungen, Plakate, Anschläge, politische Kommentare und Presseberichte sind tiefgründig recherchiert und werden in einem Anhang erläutert. Übersetzt wurde der Comic von Johanna Wais, die zuletzt mit der Übertragung der autobiografischen Erzählung Meine Tassen im Schrank. Depressionen, Michelangelo & Ich von Ellen Forney überzeugen konnte.
Votes for Women. Der Marsch der Suffragetten ist eine sinnvolle Begleitlektüre zum Film, die die zugrundeliegende Geschichte gründlicher erzählt. Wer das Anliegen und den aufopferungsvollen Kampf der Frauen aber verstehen will, der kommt an den eindrucksvollen Bildern von Sufragette nicht vorbei. Was Film und Comic darüber hinaus verbinden, ist die Erinnerung daran, dass jede Stimme zählt, dass das Wahlrecht die Grundlage der Demokratie ist, die in Vergessenheit geraten ist. Schuld daran ist nicht nur die Müdigkeit des Wahlvolks, sondern auch der Wankelmut der zu Wählenden. Hier gilt es anzusetzen, will man die Demokratie stärken.
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