Michael Lockshins »Der Meister und Margarita« ist in Russland ein absoluter Publikumserfolg. Jetzt ist die mutige Romanadaption mit Anklängen an die totalitäre russische Gegenwart endlich in den deutschen Kinos zu sehen.
Michail Bulgakovs Roman »Der Meister und Margarita« ist der mutmaßlich wichtigste Roman der russischen Moderne. Er handelt von einem Schriftsteller (Jewgeni Zyganow), der aufgrund seines Roman über Pontius Pilatus aus dem linientreuen Schriftstellerverband geschmissen wird und der fortan als Paria im sozialistischen Moskau gilt. Ein mephistophelischer Magier namens Dr. Woland (August Diehl) flüstert ihm ein, einen Roman über den Besuch des Teufels in der atheistischen russischen Hauptstadt zu verfassen. Angetrieben von der Begeisterung der geheimnisvollen Margarita (Julia Snigir), die zu seiner Muse und Geliebten wird, macht er sich an die Arbeit. Doch zunehmend verschwimmen Realität und Fiktion, der geheimnisvolle Woland wird zum allzu echten Hirngespinst, der in Moskau sein Unwesen treibt.

Als schwarzer Magier sorgt der von August Diehl grandios verkörperte Teufel mit seiner illustren Entourage – neben dem sprechenden Kater Behemoth sind das sein brutaler Schläger Azzazelo (Alexei Rosin), der verrückte Diener Korowjew (Juri Kolokolnikow) und die mysteriöse Hexe Gella (Polina Aug) – in der ganzen Stadt für Aufsehen. Sie kapern ein Theaterstück, führen der sozialistischen Elite ihre Verlogenheit vor Augen und schicken Funktionäre per Handumdrehen ins Exil.
Diese Bilder sind mal die Imagination des Romans selbst, dann wieder Ausdruck der Schizophrenie, die die Quacksalber in der gigantischen Nervenklinik attestiert haben, in der jener Schriftsteller den Roman beendet? Seinem Zellennachbarn, der auf seinem Weg nach unten auch eine unrühmliche Rolle spielt, erzählt er in einer mysteriösen Vollmondnacht die Geschichte seines Lebens, die wiederum zur Geschichte des Romans wird. Dieses verwirrende Spiel mit den Ebenen hat Bulgakows surrealistischen Roman zur Weltliteratur gemacht.
Es liegt sicherlich an der Popularität des Stoffes, dass der vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine gedrehte Film in die russischen Kinos kam. Obwohl Lockshin den Überfall der Ukraine deutlich kritisiert hatte, wollten die russischen Behörden offenbar nicht verhindern, dass er in Russland gezeigt wurde. In der idiotischen Überhöhung alles Russischen hatten sie offenbar ignoriert, dass Bulgakows Roman eine Abrechnung mit dem Totalitarismus Josef Stalins ist. Sein Roman handelt im Kern von politischer Zensur, der Unterdrückung Andersdenkender und der Feigheit der Eliten, indem er einen Künstler zum traurigen Helden macht, der sich aller Not zum Trotz nicht korrumpieren lässt.
Die Welt des Meisters
Lockshin hat das nicht nur überwältigend für die Leinwand adaptiert, sondern auch gewissenhaft mit Anspielungen an die Gegenwart versehen. Der Totalitarismus des stalinistischen Regimes, das selbst nur im ironisch-futuristischen Look des sowjetischen Brutalismus sichtbar wird, die blinde Gefolgschaft der Eliten und die offensichtliche ideologische Idiotie erinnern unmittelbar an Putins Russland. In Sätzen wie »Kritiker und Henker machen alle nur ihre Arbeit« darf man eine wenig versteckte Abrechnung mit der regimetreuen Medienlandschaft in Russland vermuten.
Der Film beginnt mit der Zerstörungswut von Margarita, nachdem sie vom Tod des Schriftstellers erfahren hat. Als mächtige Hexe schlüpft sie unsichtbar in die Wohnung des Kritikers, der entscheidend zum Sturz des Meisters beigetragen hat, und zerstört diese nach allen Regeln der Kunst. Von dieser fantastischen Szene ausgehend blättert Lockshins Leinwandadaption die verschiedenen Ebenen der Erzählung auf.
Die Romanvorlage


Bulgakow hat den Roman zwischen 1928 und 1940 geschrieben, in der dunkelsten Zeit Russlands. Unter Stalin war eine Veröffentlichung ausgeschlossen, erst Ende der 1960er Jahre erschien er, gekürzt und zensiert, in einer sowjetischen Literaturzeitschrift. Die erste vollständige Fassung erschien 1973.
In Deutschland hat Thomas Reschke die erste Übersetzung des vollständigen Romans beigesteuert, weitere sollten folgen. Die bekannteste hat Alexander Nitzberg vorgelegt, der sich inzwischen neben Reschke als Bulgakow-Übersetzer etabliert hat. Bulgakows Erstübersetzer hat zuletzt noch einmal all seine Klasse bewiesen, seine Übertragung der Urfassung des Romans ist im Herbst unter dem Titel »Der schwarze Magier« bei Voland & Quist erschienen.
Alexander Nitzbergs Bulgakow-Übersetzungen




Die Geschichte vom Schriftsteller-Meister und seiner Muse ist vieles in einem. Sie ist Stadtporträt und Sittenbild, politische Fabel und gesellschaftliche Satire, eine große Liebesgeschichte und nicht minder prächtige Hommage ans Erzählen. In der Vielschichtigkeit des Romans lag für Lockshin auch die besondere Herausforderung. »Ich entschied mich dazu, die Genres mit dem gleichen Mut zu mischen wie es Bulgakow mit seinem Schreibstil tat, und dennoch alles in ein- und derselben cineastischen Welt stattfinden zu lassen.« Auf die Frage, ob er Angst davor gehabt habe, den Roman zu verfilmen, antwortet er mit einem Zitat aus dem Roman, das nicht nur allegorisch die Haupterzählung im Russland der 30er Jahre und die Binnenerzählung des Pilatus-Romans aufgreift, sondern auch gut zur russischen Gegenwart passt: »Feigheit ist die schrecklichste aller Sünden«.
Dr. Woland und sein Gefolge
Seine Verfilmung ist alles andere als feige. Vielmehr spielt er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, greift die fantastischen Elementen der Romanvorlage auf und sortiert die verschiedenen Ebenen entschlossen in einer Welt an, die sich vertikal ausrichten und damit die Frage nach Himmel und Hölle in Bilder übersetzt. Sein Film überzeugt sowohl visuell als auch erzählerisch, er entwickelt aus sich heraus eine eigene Logik, die die Tiefe des Romans auf die breite Flüche der Leinwand überträgt. Dabei nimmt er sich einige Freiheiten, sowohl was die Anordnung der Erzählung als auch den Umgang mit einigen Figuren betrifft. Der Meister ist hier unausweichlich mit dem Schriftsteller Michail Bulgakow verbunden, der das Manuskript seines ideologiekritischen Romans im Ofen vor der Polizei versteckt. Aber wie heißt es im Roman? »Manuskripte brennen nicht.«
Am Ende schließt sich der Teufelskreis der Handlung, wenn die am Boden zerstörte Margarita beim Lesen des geretteten Romans dessen Sprengkraft entdeckt. Hier bekommt Lockshins bildgewaltiges Spektakel nach 150 Minuten sein großes Finale, indem es den Untergang eines selbstgefälligen Imperiums durch die Kunst imaginiert. Grandios.