Klassiker, Literatur

»Das größte menschliche Laster ist die Feigheit«

Alexander Nitzberg ist es zu verdanken, dass mit »Meister und Margarita« Michail Bulgakows wichtigster Roman, der zugleich ein Meisterwerk der russischen Avantgarde ist, wiederentdeckt werden kann. 

Dieser Roman ist ein Jahrhundertwerk und steht nicht nur aufgrund des faustischen Stoffes mit Goethes Faust und Thomas Manns Doktor Faustus in einer Reihe. In der Sowjetunion war jahrzehntelang nur eine drastisch gekürzte Fassung erhältlich, im Untergrund konnten Eingeweihte aber so genannte Samisdat-Exemplare, also die mit Schreibmaschinen abgetippte »Urfassung«, kaufen. Nicht wenige taten dies, vor allem, weil der Roman in der Sowjetunion einen veritablen Hype auslöste. In Gruppen wurde der Roman gegenseitig vorgelesen, die Menschen lernten ganze Passagen, ja manche sogar den kompletten Roman auswendig.

Der Grund dafür war stilistischer Natur. Bulgakows federnd leichte, ironische Gesellschaftssatire schlug nach den schweren Epen und Dramen von Tolstoi und Dostojewski einen völlig neuen, lebendigen Ton an. Ein weiterer Grund lag in dem mutigen Aufgriff des Themas Religion, das in der zwangsatheisierten Sowjetunion zwar weiterhin die Menschen bewegte, in der Öffentlichkeit aber keine Rolle spielen durfte.

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Michail Bulgakow: Meister und Margarita. Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg. Verlag Galiani 2012. 601 Seiten. 29,99 Euro. Hier bestellen

Meister und Margarita ist ein Moskau-Roman, vielleicht sogar der eindrucksvollste und detaillierteste überhaupt. Darin erzählt Bulgakow, wie ein teuflischer Geselle namens Voland mit seinen Fabel-haften Gehilfen, etwa dem Kater Behemot, die sowjetische Hauptstadt besucht und dort mit Zauberstücken, Täuschungsmanövern und Hypnose Verwirrung stiftet. Er kapert eine Theatervorstellung, bringt Falschgeld in einem gigantischen Ausmaß in Umlauf und sorgt dafür, dass die Menschen splitternackt durch die Stadt eilen.

Zugleich taucht ein sich selbst als Meister bezeichnender Schreiberling in einer Irrenanstalt auf und berichtet, dass er einen Roman über Pontius Pilatus geschrieben habe, der aufgrund seines brisanten Inhalts aber nicht verlegt werde. Einzig ein Auszug sei gedruckt und von den staatstreuen Kritikern zerrissen worden, woraufhin er dem Wahnsinn anheim gefallen sei und sich in die Klinik begeben habe. Seine aufregende Geliebte Margarita lässt er in seiner Wohnung zurück, wo sie sich nach ihrem Meister sehnt. In der Hoffnung auf Wiedervereinigung lässt sie sich auf einen teuflisch-frivolen Pakt mit Voland und seinen Gesellen ein. Es folgen ein karnevalesk-orgiastischer Maskenball, eine etwas andere Wiedervereinigung von Meister und Margarita, die Würdigung des »meisterhaften« Pontius-Pilatus-Romans durch die Erzählung und die Zusammenführung von Handlung und Roman in einer »Jerusalemer Szenerie«. Kurz gesagt: ein veritables Schauspiel grotesker Ereignisse.

Das Kongeniale an Nitzbergs Übertragung ist der Transfer des modernistischen, nach vorne drängenden russischen Textes in eine zeitgemäße deutsche Fassung. Dies ist eigentlich schon aufgrund der deutschen Syntax eine Unmöglichkeit, denn die vorrangige Position des Verbes im Deutschen ist die am Ende des Satzes. Ob dies an der typisch deutschen Bedenkenträgerei liegt, der man nachkommt, indem man zwischen das Subjekt und seine Handlung noch unendlich viele Objekte und Eigenschaften packt, sei einmal dahingestellt. Fakt ist, dass der deutsche Satz anders aufgebaut ist als der wohltemperierte und von Bulgakow bis zum Letzten auskomponierte russische Satz, so dass Nitzberg hier Möglichkeiten fernab der regulären Übersetzung finden musste, um die Musikalität und Poesie von Bulgakows Roman zu treffen. Er hat für diese und andere Herausforderungen großartige Lösungen gefunden, so dass dieser Jahrhundertroman in neuem Glanz im Bücherregal strahlen kann.

4 Kommentare

  1. […] Irrfahrt durch die dunklen Hinterzimmer und Keller der osteuropäischen Gesellschaften und teuflischer Selbstkonfrontation à la »Meister und Margarita«. Und ganz nebenbei denkt jener German noch über die textuelle Ebene nach. »Es gibt Situationen […]

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