Die Lyrikerin und Essayistin Monika Rinck stellt in ihrem aktuellen Lyrikband »Höllenfahrt & Entenstaat« der erdrückenden Langeweile der Legislative den Thrill der »Realitöt« gegenüber. Aufregender, aktueller und politischer kann Poesie nicht sein.
»Wie müde du bist, Müder«, schreibt die zwischen Berlin und Köln pendelnde Sprachkünstlerin Monika Rinck gleich zu Beginn ihrer neuen Lyriksammlung. »Deine Seele liegt tief in der Höhle. Ein leiser Verein. Ich rüttele dich.« Und wie sie einen rüttelt und schüttelt, denkt man immer wieder beim Lesen ihrer dichten Verse, die sich nicht vorrangig dem Reim, sondern dem Rhythmus anvertrauen. Es ist nicht der wohltemperierte Gleichklang, sondern die Vehemenz dieses lyrischen Weckers, der fulminant die Ermattung zur Seite fegt, die einen angesichts der ständigen Gegenwartsbewältigung schon einmal überkommen kann.

Man darf den Titel dieses Bandes wörtlich nehmen, dessen fünf Zyklen gewissermaßen eine »Höllenfahrt« durch einen »Entenstaat« bilden, eine Tour de Force durch einen verr(i)egelten Apparat, der sich im Würgegriff der sprachlichen und realpolitischen Idiotie seiner Euphemismen befindet. Die lyrische Höllenfahrt der Sprachakrobatin, deren Arbeiten längst zum Kanon der deutschsprachigen Poesie gehören, führt von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen nach Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, deren Straßenbauprojekte – »Werden wir wirklich mit dem Verbrenner in die Unterwelt fahren? Es sieht ganz danach aus.« – sie mit den Mitteln der Sprache politisch seziert.
Das muss man sich ganz konkret vorstellen, als würde man mit ihr im Porsche Cayenne durch die Republik düsen und aus dem laut aufgedreht Radio erklingen ihre Lieder der Verkehrswegeplanung, des Dienstwagenprivilegs oder des Lieferkettengesetzes. Rinck ist wohl die erste Sprachakrobatin Deutschlands, die das lyrische Potenzial der legislativen Regulierungswut der deutschen Verwaltung nicht nur erkannt, sondern auch zu heben verstanden hat. »Jetzt kommt nochmal die Lobbyistenhymne. Merci, merci, vihihielmals. Auf der asphaltierten Halde: mehrspuriger Applaus, ungehaltene Gewalt.«
Rincks Lyrik ist anspielungsreich und assoziativ, sie geht im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtig den geschroteten und geschotterten, aufgehackten und verschütteten, asphaltbedeckten und offenporig versiegelten Wirklichkeiten auf den Grund.
»Mit eben diesem Baum, der hitzestarr und unbewegt, in einem heißen weißen Himmel steht, kein Blättchen, das sich regt, hat die Natur jede Bewegung eingestellt, während auf den Autobahnen Autos ihr Bahnen bahnen.«
Monika Rink: Höllenfahrt & Entenstaat
An anderer Stelle besingt sie einen Autokorso, der in einer nicht näher definierten Zukunft um ein »Auffahr-Unfall-Ehrenmal« kreisen wird. In dieser Zukunft wird sich das »liebe Kind« auch nicht mehr auf die Straße kleben, sondern selbst im Cyber Truck durch die zubetonierten Landschaften schieben, weil die Mächtigen sich nicht für Klimaschutz erwärmen wollten und die Wirklichkeit mit aller Macht verdreht haben.
Die ungebremste Brutalität der Gegenwart zieht sich durch die fünf Zyklen, mit denen Rinck ebenso wortgewaltig wie verspielt gegen den »fossilen Hypermaskulinismus« des unkaputtbaren Petro-Zeitalters, gegen das »Jähzorn-Jetzt« der »dotvercomten Gegenwart« und die »angry microidentities« anschreibt, die wie Amöben in den Tiefenschichten des Planeten unbeeindruckt am gesellschaftlichen Grundkonsens knabbern.
Aktuelle Lyrik & Poesie













Es ist aber nicht nur der kollektive Zusammenhalt, der in dieser rauen »Realitöt« verloren geht, sondern auch die individuelle Aufrichtigkeit, die uns beständig den Widersprüchen der Welt ausliefert und den Rückzug in den »Entenstaat« des Selbstbetrugs geradezu unmöglich macht. Kein Wunder, dass wir müde sind, zu grell leuchtet uns das »Überempfindlicht« des allmächtigen Gendersterns (Zwinkersmiley) beständig ins Gesicht.
»Angstmanagement – Allmacht, Verschwinden.
Monika Rink: Höllenfahrt & Entenstaat
Der Messersee – die Brücke aus Klingen,
die dich zerteilt, durch dein Gewicht. Die Gewalt,
die dich unterhält, wärmt, füttert, bezahlt und
beherbergt, sobald du einen dieser Läden betrittst.
Siehst du, dieses Unterhemd hier ist dein Link
Zur Gewalt am anderen Ende der Lieferkette, Rinck.
In Rincks prosaisch-mosaischer Lyrik lauern hinter jedem Absatz die Abgründe der Gegenwart. Elon Musks Tech-Fantasien werden dabei ebenso vom Himmel geholt wie die kleptokratischen Träume der Finanzeliten. »Unter Satelliten, die auf der Umlaufbahn des Geldes kreisen, werden sich Techno-Chauvinisten fesche Leiberl schneidern. Indes trifft verlustloses Verdampfen auf verdampfte Verluste.«
In dem gerade erschienenen Band »Die Backstage eines Buches« schreibt Rinck über die Entstehung ihrer mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichneten »Honigprotokolle« und darüber, dass sie bei einer Lesung in Nordmazedonien eine Art Heureka-Moment hatte. Im Gefühl, ihre Gedichte seien zwar gut durchdacht, aber weltarm, entschloss sie sich in ihrer Lyrik zur »Weirdness des poetischen Wortes« zu bekennen und »keine Scheu vor dem Überdosierten, dem Überorchestrierten zu haben, das Überstülpen einer Gegenwart und viel mehr Welt hineinzugeben«. Für diese übergestülpte Welt hat die Professorin für Sprachkunst und Literarisches Schreiben eine Sensibilität entwickelt, mit der sie die Oberfläche der Gegenwart ebenso feinsinnig wie schonungslos abtastet.

Die Energie, die in ihrer Poetik liegt, die Vehemenz, mit der Rinck die Absurdität unserer Gegenwart vor Augen führt, und die assoziative Verspieltheit machen »Höllenfahrt & Entenstaat« zu einer so augenöffnenden Lektüre. Auch weil Rinck uns an Erkenntnisorte führt, um die wir im Alltag gern einen Bogen machen. All die Illusionen, mit denen wir uns durchs Leben zu schmuggeln, lässt Rinck vor unseren Augen zusammenfallen. Gut gemeint ist in dieser von der Zerstörung bedrohten Welt einfach nicht gut genug.
Monika Rinck stellt in ihrem neuen Lyrikband der erdrückenden Ödnis von Politik, Wirtschaft und Verwaltung den Thrill der Wirklichkeit gegenüber, der die Temperatur um den Maschinenraum des Daseins beständig in die Höhe treibt. Das ist überraschend und schockierend, erschütternd und verstörend, aber in der Offenheit auch immer wieder tröstlich. Weil man erkennt, dass niemand davor gefeit ist, an der Komplexität der Gegenwart zu verzweifeln. »Gib „body politics“ ins Suchfeld ein und irgendwo auf einer Serverfarm springt nun ein Dieselgenerator an.«