Comic

Die etwas anderen Superhelden

»Cowboy Henk« und »Kinky & Cosy« heißen die eigensinnigen Kunstfiguren, mit denen das Karikaturistenduo Heirseele und Kamagurka sowie Marnix Verduyn alias Nix den Alltag gegen den Strich bügeln.

Der belgische Comic ist der traditionsreichste in Europa, ohne die Tradition der »Ligne Claire« wäre der europäische Comic kaum denkbar. Doch in den letzten Jahren hat sich in der Heimat des Comics eine neue alternative Comicszene durchgesetzt, die mit ambitionierten, kunstvollen Alben die Neunte Kunst revolutionieren. Olivier Schrauwen, Brecht Evens und Judith Vanistendael gehören zu den bekanntesten der flämischen Comicszene.

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Kamagurka/ Herr Seele: Cowboy Henk. Übersetzung aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf. Handlettering von Michael Hau. Edition Moderne 2016. 122 Seiten. 29,00 Euro. Hier bestellen

Die franko-belgische Tradition der klaren Ligne ist aber auch im protestantischen Norden Belgiens nicht abgeschafft. Sie lebt fort in der Karikatur und den satirischen Zeitungsstrips, wo sie von einer Zeichnergeneration zur nächsten gereicht und weiterentwickelt wird. Am meisten vielleicht bei Peter van Heirseele aka Herr Seele, der, Jahrgang 1959, auch biografisch am nächsten an Hergé und Co. dran ist. Gemeinsam mit dem drei Jahre älteren Cartoonisten Luk Zeebroek alias Kamagurka zeichnet er seit 1981 die surreal-dadaistische Superhelden-Persiflage Cowboy Henk, die vor zwei Jahren mit dem Kulturerbe-Preis auf Europas wichtigstem Comicfestival in Angoulême ausgezeichnet wurde. Der titelgebende Held ist ein Muskelprotz mit blonder Tolle, der der Idiotie der Welt mit Leichtigkeit und Wahnwitz den Kampf ansagt. »Cowboy Henk ist quasi mein Alter Ego«, räumt Herr Seele im Flandern-Journal zur Buchmesse ein, »unverstellt und Rock ’n Roll, sowohl fleißig als auch naiv, ein ehrlicher Junge, aber auch ein Draufgänger und ein Pläneschmieder, der in seiner eigenen Welt lebt.«

In der Serie kommt alles zur Sprache, was sonst unter den Tisch fällt. Tabus tauchen nur auf, um radikal gebrochen zu werden. Mit viel schwarzem Humor werden politische und gesellschaftliche Debatten mit Alltagsängsten und Neurosen vermischt, um das dann wiederum mit einer gewaltigen Prise an Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll zu würzen. Man muss sich das in etwa so vorstellen wie Robert Crumb in Ligne Claire. Allein das ist ein großes Vergnügen, wenngleich die Ausflüge unter die Gürtellinie mitunter wenig appetitlich sind. Den franko-belgischen Stil bricht Herr Seele vor allem in den die Geschichten einleitenden Vignetten auf. In diesen Starschnitten findet ein begeisternder Mash-Up von Bauhaus, Jugendstil, klassischer Moderne, naiver Malerei und Pop-Art statt, der jedem einzelnen Strip seine Prägung gibt; Heirseeles persönliche Verneigung vor den schönen Künsten. Seine Liebe zu den altniederländischen Meistern, aber auch zu Surrealisten wie Magritte klingt in seinen Geschichten auch immer wieder an.

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Nix: Kinky & Cosy. Übersetzung aus dem flämischen Niederländisch von Katrin Herzberg. Lettering mit Unterstützung von Thomas Gilke. avant-verlag 2016. 288 Seiten. 29,95 Euro. Hier bestellen

Der 1969 geborene Karikaturist Nix alias Marnix Verduyn ist der flämische Flix und erweckt in seinen ulkigen Strips eine krude Gesellschaft von Freaks und Nerds zum Leben. Da sind die neunmalklugen quirligen Schwestern Kinky & Cosy, die, vernachlässigt von ihren promiskuitiven Eltern, so ziemlich jeden in den Wahnsinn treiben. Sie leben in einem namenlosen Ort, in dem der selbstzufriedene Bürgermeister Trillion seinem schlechten Ruf alle Ehre macht und dabei von seiner Sekretärin Evi, dem Assistenten Deppken und dem Polizisten Lex – allesamt Prachtexemplare der administrativen Inkompetenz – unterstützt wird. Dass in dem Örtchen ein unechter Doktor Messer sein Unwesen treibt und seine Patienten meist kranker macht als sie jemals gewesen sind, wundert da nicht. Insgesamt fühlt man sich beim Lesen der Serie an Matt Groening Simpsons erinnert, was ja alles andere als etwas Schlechtes ist.

Man entnimmt schon den Namen, dass hier ein Meister am Werk ist, der sich die Vieldeutigkeit der Namensgebung bei René Goscinny abgekuckt hat. Nix wagt mit seiner komischen Comiclindenstraße auch immer wieder den Sprung aus dem naiv gehaltenen Stil der franko-belgischen Linie in den Realismus, etwa indem er Fotografien in seine Geschichten einbaut. Vielleicht erinnert sein Comic deshalb ein wenig an den Berliner Fil, dessen Diddi und Stulle-Comics gerade in einem prachtvollen Schuber erschienen sind. Inzwischen gibt es sogar ein Kinky & Cosy Selbsterfahrungsexperiment, bei dem Fans der Serie einen Container durchlaufen und selbst Teil dieser skurrilen Parallelgesellschaft werden können. Beim Comicsalon in Erlangen und auf der Buchmesse in Frankfurt konnten Neugierige den Schritt in diese Parallelwelt wagen.

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