Literatur

Museum einer zerbrochenen Beziehung

Dem Spanier Isaac Rosa ist ein Trennungsroman mit Happy End gelungen, weil er seine beiden Figuren zurückgehen lässt dahin, wo alles seinen Anfang nahm. Auf dem Weg dahin steigt dieser Roman aber hinab in die dunklen Ecken der Liebe in prekären Zeiten.

»Eine gute Scheidung ist für Kinder besser als eine schlechte Ehe.« Ein Satz wie ein Faustschlag, der Ángela explodieren lässt. Eine beschissene Ausrede für unser aller Egoismen sei diese Aussage, entgegnet sie. »Wir sind nicht bereit, bestimmte Dinge auszuhalten und uns mit weniger zufriedenzugeben, um unseren Kindern eine traumatische Erfahrung zu ersparen.« Natürlich widersprechen ihr sofort alle, aushalten sei keine Tugend, sei zudem antifeministisch und gegen den Zeitgeist. Schließlich gelte es, sich selbst zu verwirklichen. Und die Scheidungen der Elterngeneration hätten ja auch nicht alle traumatisiert zurückgelassen.

Was Ángelas Freunde nicht wissen: Antonio, der neben ihr sitzt, hat ihr gerade mit dem Finger in die Handfläche geschrieben, dass er sich von ihr trennen will. Ihre emotionale Reaktion ist also vor allem eine aus der Betroffenheit heraus. Einem Gefühl, dass über den ersten 50 Seiten dieses Beziehungsromans liegt, der anders als die meisten, nicht der der Trennung folgenden Krise auf den Grund geht, sondern Stück für Stück in der Beziehung zurückwandert.

Erzählt wird das von Antonio und Àngela, der Roman setzt ein, als Antonio die letzten Dinge aus der gemeinsamen Wohnung holt. Er schreibt seiner Frau, die er nach dreizehn Jahren vor wenigen Wochen für eine Jüngere verlassen hat, eine Nachricht, »auch wenn ich fürchte, dass sie spät kommt, sehr spät.« Diese Nachricht löst ein ständiges Hin und Her an Mitteilungen aus, in denen beide die Ereignisse aus der jeweils eigenen Perspektive schildern und damit um die Deutungshoheit des Erfahrenen ringen. Trauer und Wut, Verbitterung und Fassungslosigkeit, Selbstgerechtigkeit und Vorwürfe, aber auch Wärme, Dankbarkeit, Verbundenheit und Liebe bekommen dabei Raum, um gemeinsam zu verstehen, was mit ihnen passiert ist.

Isaac Rosa: Glückliches Ende. Aus dem Spanischen von Marianne Gareis und Luis Ruby. Liebeskind Verlag 2021. 352 Seiten. 22,00 Euro. Hier bestellen.

Die unterschiedlichen Perspektiven auf dieselben Ereignisse bei sich trennenden Paaren konnte man etwa in der Serie »The Affair« nachvollziehen, in der ein erfolgreiches Ehepaar – sie erfolgreiche Geschäftsfrau, er Lehrer und Buchautor – aus ihren jeweiligen Perspektiven die Ereignisse rund um die Affäre des Lehrers mit einer jungen Kellnerin rekapitulieren. Die Erzählung von Isaac Rosa, einer der wichtigsten spanischen Gegenwartsautoren, erinnert ein wenig an diesen Plot, so wie jede Trennungsgeschichte Parallelen aufweisen wird.

Isaac Rosa setzt aber ganz entscheidende Akzente, die diese Geschichte nicht nur zum Drama einer Ehe, sondern zu einer gesellschaftlichen Momentaufnahme machen. Denn in dem Austausch von Ángela und Antonio werden auch die ganz unromantischen Herausforderungen des Alltags thematisiert; etwa Antonios Jobverlust bei einer Zeitung und sein Kampf darum, als Freelancer auf dem Markt bestehen zu können. Der bedroht Ángela so sehr, dass sie dem Druck auf Madrids Mietmarkt ausweichen und mit ihrem Mann und den zwei Töchtern aufs Land ziehen will. Das gemeinsame Landhaus wird so zur Projektionsfläche unterschiedlicher Lebenspläne. Statt zum Ort der Gemeinsamkeit zu werden, wird es in Zeiten des Prekariats zum trennenden Objekt.

So führt diese Erzählung mitten in den Dschungel des Familien- und Beziehungslebens unserer Gegenwart, indem sie den Druck der allgegenwärtigen Erwartungshaltung der Welt an das Glück junger Familien, denen doch alle Möglichkeiten offenstehen, spiegelt. Denn dieses Glück ist natürlich nie vollkommen, und vor allem ist es an ökonomische Sorglosigkeit gebunden – ein Umstand, der in den wenigsten Familien vorherrscht. Und wenn es der Fall ist, dann lauern noch all die Reize der modernen, weltoffenen, sexpositiven und erwartungsvollen Beziehungsmodelle unserer Instagram-tauglichen Glückswelt.

Rosa hat einen sehr zeitgemäßen Beziehungsroman geschrieben, der vor Augen führt, wie die moderne Ehe an den Untiefen des Alltags scheitert, wenn sie nicht die Balance zwischen Leichtigkeit und Tiefe findet. Und wenn der:die jeweilige Partner:in zur Projektionsfläche des eigenen Glücks und der eigenen Erwartungen wird: »Ich halte das nicht mehr aus, ich will raus hier aus dieser verdammten Achterbahn, ich weiß nicht mehr, was ich tun, ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll; wenn ich dir nahekomme, wendest du dich verletzt ab, wenn ich Distanz wahre, wirfst du mir Gleichgültigkeit vor, wenn ich dir vorschlage, dass wir nicht mehr darüber reden, heißt es, ich entziehe mich«, klagt Antonio an einer Stelle, da hat er seine Entscheidung aber innerlich längst getroffen.

Marianne Gareis und Luis Ruby sind bei der Übersetzung klugerweise nicht in die Falle getappt, die Übersetzung entlang ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit aufzuteilen. Ruby hat die Nachrichten von Ángela übersetzt, Gareis die von Antonio, was dazu führt, dass der deutsche Text nicht in Täter-Opfer-Klischees abdriftet, sondern beiden Akteuren das berechtigte Maß an Wut und Wärme zukommen lässt. Jede:r, die:der den Schmerz einer scheiternden Liebe kennt, wird sich in diesem Roman wiederfinden und wird einige der Motive, die sich durch ihn ziehen, wiedererkennen.

Der Titel »Glückliches Ende« ist natürlich eine Verheißung, zu der es nicht kommt. Das weiß man schon zu Beginn. Aber weil diese im Scheitern startende Beziehungsgeschichte zu den Hoffnungen und Verheißungen ihrer Anfänge führt, endet sie in der blendenden Helligkeit des Glücks. Kurz kommt die Frage auf, ob dieses Glück nicht hätte reichen können. Doch dann verlässt man dieses Museum einer gescheiterten Beziehung, blickt noch einmal von außen auf dessen Haus und erinnert sich an Ángelas Worte zu Beginn: »Dieselben Liebesworte, die in einem bestimmten Augenblick rühren können, wirken für sich genommen, also außerhalb ihres emotionalen Zusammenhangs, einfach nur lächerlich.«

Lächerlich ist dieser Roman keineswegs, ganz im Gegenteil. Aber er führt die Lächerlichkeit der blinden Romanze vor Augen, die dann, wenn es darauf ankommt, nichts mehr Wert ist.