Literatur, Zeitgeist

Medialer Kurzschlussaktivismus

Die Debatte um den Boykott der Frankfurter Buchmesse durch Jasmina Kuhnke und andere Autor:innen zeigt, wie es um die Kräfteverhältnisse in Redaktionen bestellt ist. Es waren vor allem die Positionen von gut situierten, weißen Männern, die die Debatte in eine bestimmte Richtung lenkten. Betroffene und BIPOCs wurden kaum gehört, die tatsächliche Bedrohung von rechts spielte kaum eine Rolle.

Der alte weiße Mann ist Wirklichkeit und Klischee zugleich. Viel zu oft bestätigen Menschen in ihrem Verhalten all das, was man dieser Trope unterstellt: eine Verweigerungshaltung gegenüber der Komplexität der Moderne, eine Empathielosigkeit oder -verweigerung gegenüber allen, die nicht die gleiche – männliche – Erfahrungswelt teilen, ein Selbstverständnis, immer auf alles die Antwort zu haben.

Und auch auf der Buchmesse war er zu Gast, der alte weiße Mann, wenngleich er immer jünger wird und sich selbst nicht so sieht. Was daran liegt, dass dieser Mantel allzu schnell Menschen übergehangen wird, unabhängig davon, ob sie absichtlich oder unabsichtlich in die oben beschriebene Figur fallen. Denn darin besteht ein Unterschied, weil das unabsichtliche Tappen in die Fußstapfen des alten weißen Mannes die Möglichkeit zu Einsicht und Korrektur eröffnet.

Zumal Alter ja ohnehin ein schwammiger Begriff ist, wenn man den Maßstab der jungen, vorwiegend weiblichen, woken Szene anlegt. Womit der Gegenpol zum alten weißen Mann wohl gefunden ist: die junge woke Frau. Mit Jasmina Kuhnke hat eine dieser jungen woken Frauen ihren Auftritt auf der Buchmesse abgesagt, weil sie sich körperlich bedroht fühlte. Bedroht vom Umfeld eines rechtsextremen Verlags, dessen Verleger bestens mit der faschistoid auftretenden Identitären Bewegung vernetzt ist und öffentlich ihre Abschiebung gefordert hat.

Jasmina Kuhnke hat gerade im Rowohl-Verlag ihren Debütroman »Schwarzes Herz« vorgelegt und ist um Streit nicht verlegen. Das, was ihrer Familie mit vier Kindern aber passiert, steht in keinem Verhältnis. Die gesamte Familie steht im Fokus von Rechtsextremen. Im Frühjahr musste sie umziehen, nachdem Neonazis ihre Adresse mit dem Aufruf publiziert haben, sie zu »massakrieren«. Das Ausmaß dieser Bedrohung (auf Twitter schildert Kuhnke diesen konkret) kommt in der Berichterstattung aber kaum vor. Womit wir bei den mittelalten weißen Männern sind, die die Causa seit Tagen kommentieren. Es sind renommierte, weiße, männliche Kulturredakteure zwischen dreißig und sechzig, die allesamt das vom Direktor der Frankfurter Buchmesse Juergen Boos vorgetragene Lied singen: die Messe sei eine Strukturveranstaltung, die Verlage kaufen sich ein, es gelte die Meinungsfreiheit, blabla. Ob eine Messe, von der nahezu ausschließlich Kulturjournalisten berichten und die von den Wirtschaftsredaktionen links liegen gelassen wird, wirklich eine Marktveranstaltung ist, sei mal dahingestellt. Aber das Buchmesse und Journalist:innen das Argument der Meinungsfreiheit rauskramen, ist schon bemerkenswert.

Lassen wir an dieser Stelle doch einmal diejenigen sprechen, die die Folgen dieser Meinungsfreiheit ausbaden müssen. Maimouna Jar, Mutter, Afrikanistin, Ethnologin, freie Autorin, Lyrikerin und Sängerin schreibt dazu für RosaMag: »Rassismus ist keine Meinung, war es nie und wird es nie sein. Nach all dem rechten Wahnsinn, der in den letzten zehn Jahren aufgedeckt wurde, der NSU-Komplex, Rechtsextreme in allen staatlichen Organisationen, Waffenfunde bei der Bundeswehr und Gerede von einem Tag X, Hanau, der Mord an Walter Lübcke, behaupten die Veranstalter*innen immer noch, es ginge darum, andere “Meinungen auszuhalten”. Die reale Gefahr rechten Terrors in Deutschland ignorieren sie. Natürlich, schließlich ist es auch nicht Juergen Boos, ein weißer Mann, der davon betroffen ist.«

Diese Betroffenheit wird von den Kommentator:innen zwar meist erwähnt, aber nur, um dann zu betonen, dass ein Boykott der falsche Weg. Man müsse rechte Positionen aushalten, rechtlich gäbe es auch keine Alternative für die Buchmesse, hieß es oft – was Rechtsexperten längst eindrucksvoll infrage gestellt haben.

Dennoch hieß es, der Boykott verkleinere »die gelebte Diversität« auf der Buchmesse, so Dirk Knipphals in der taz und Aladin El-Mafaalani im Spiegel-Interview oder fördere die Aufmerksamkeit für rechte Verlage, so Carsten Otte für den SWR und Björn Hayer im nd. Stefan Kister mutmaßt für die Stuttgarter Nachrichten »Werbung durch Boykott«, Carsten Otte auf Facebook an anderer Stelle ein erfolgreiches Buhlen um Aufmerksamkeit.

Da ist er, der mittelalte weiße Mann, der noch am Tag der Verkündung von Kuhnkes Abwesenheit weiß, welcher Weg schon mal der falsche ist, was die boykottierende Person damit hinterrücks eigentlich erreichen wollte und warum man mal die Kirche im Dorf lassen müsse. Dass der alte weiße Mann auch als Frau durch die Welt geistert, wissen wir zwar nicht erst seit Elke Heidenreichs Äußerungen zur Grünen-Politikerin Sarah-Lee Heinrich, aber für all jene, die das vergessen hatten, hat es Welt-Literaturchefin Mara Delius noch einmal bewiesen: Sie schrieb über »Kurzschlussaktivismus« angesichts eines »Pseudoskandals«.

Es spricht eine erschreckende Empathielosigkeit aus diesen Aussagen angesichts der konkreten Bedrohung von Jasmina Kuhnke. Oder um mit Svenja Flasspöhlers aktuellem Buch »Sensibel« zu sprechen: mir scheinen hier »moderne Empfindlichkeit« zu fehlen und »die Grenzen des Zumutbaren« doch arg nach der eigenen männlich-weißen Denkblase verrückt.

Kurzschlussaktivismus ist vielleicht doch gar kein so falsches Wort, nur ist es bei Delius im falschen Kontext. Es trifft wohl eher die redaktionelle Berichterstattung, bei der ein paar Sicherungen durchgebrannt sind. Denn auffällig ist, dass sich die Redaktionen schwer damit getan haben, junge oder alte BIPOCs über das Verhalten der Buchmesse und Kuhnkes Reaktion nachdenken zu lassen. Auch BIPOC-Gastkommentator:innen oder Gesprächsgäste waren kaum zu vernehmen. All das wären aber Menschen gewesen, die zumindest eine der Eigenschaften von Jasmina Kuhnke und jenen, die sich ihrem Boykott angeschlossen haben, teilen würden: nämlich einer marginalisierten Minderheit anzugehören, als Frau eine andere Bedrohung des Körpers zu kennen oder nicht in den sicheren Häfen der männlich dominierten Kulturredaktionen zu verkehren.

Eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen bildet hier das Gespräch von Jan Drees im Deutschlandfunk mit Sharon Dodua Otoo und ihrem Sachbuchexperten René Aguigah. Es ist die einzige Sendung, die den Vorgang in all seinen Dimensionen – die konkrete Bedrohung für Jasmina Kuhnke, die bedrückende Atmosphäre für andere Autor:innen, die Möglichkeiten der Frankfurter Buchmesse – versucht einzuordnen (Hinweis: in dem Gespräch hatte Sharon Dodua Otto den Karin Kramer Verlag fälschlicherweise dem rechten Spektrum zugeordnet. Dies wurde nachträglich korrigiert). Auch andere BIPOC-Kulturjournalist:innen wie Ijoma Mangold sind auffällig still. Vielleicht, weil die Vorgänge doch zu komplex sind, um schnell einfache Antworten zu liefern.

Erst einmal das Problem benennen, bevor man Antworten liefert, zeichnet die wenigen empathischen Kommentare aus. Im Bayerischen Rundfunk kommentierte Martin Zeyn, »Schwarzsein darf kein Problem sein« und Stefan Dege kam bei der Deutschen Welle zum Schluss, dass die Frankfurter Buchmesse ein seltsames Verständnis von Meinungsfreiheit habe.

Gesellschaftlicher Rassismus ist nicht zu tolerieren, darin scheint sich die aufgeklärte Mehrheit einig zu sein. Was daraus aber folgt, bleibt schwammig. Im Fall der Frankfurter Buchmesse waren es nicht aufmerksame Medien, die die Präsenz des rechtsextremen Verlags an prominenter Stelle aufgedeckt haben, sondern die Bloggerin und Aktivistin Hami Nguyen. Es sind meist immer noch die Betroffenen selbst, die für ihre Unversehrtheit eintreten müssen. Das muss sich ändern. Vorbild muss dabei der Kampf gegen Antisemitismus haben, der von einer gesellschaftlichen Mehrheit getragen wird, die sich aufmerksam vor jene stellt, die bedroht sind. Auch hier noch längst nicht in dem Ausmaß, wie es nötig wäre, aber die Haltung dahinter stimmt.

Genau eine solche Haltung, ein Selbstverständnis ist beim Kampf gegen Rassismus angebracht. Bevor der wenig sanfte Vorwurf, ein Boykott sei das falsche Mittel, laut wird, ist es Teil der gesellschaftlichen Aufgabe, aus der gesicherten Sprecherposition eines Kulturjournalisten, einer Politikerin, eines Messedirektors und der normalen Bürger:innen heraus den Kampf derer zu führen, deren Sicherheit auf dem Spiel steht. Wohl gemeint zu führen, nicht nur zu unterstützen. Die Verantwortung liegt in der Hand von uns allen, um dem Othering gleich vorzubeugen. Denn unser aller Sicherheit fängt dort an, wo die Einzelner auf dem Spiel steht.

Disclaimer: Einige Autor:innen haben sich Jasmins Kuhnkes Boykott angeschlossen, andere wie Carolin Kebekus waren anwesend, haben aber sicht- und hörbar ihre Solidarität erklärt. Diejenigen, die nicht auf der Frankfurter Buchmesse präsent sind, nehmen in Kauf, dass ihre Bücher in der Masse untergehen. Sie bekommen daher hier einen Platz.

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