Auf der Frankfurter Buchmesse wurde wieder über rechte Verlage diskutiert und das Argument der Meinungsfreiheit vorgetragen. Dabei geht es den neuen Faschist:innen nicht um Diskurs. Sie wollen Debatten kapern und Angst schüren. Auf welche Strategien sie dabei zurückgreifen, führt Christian Schwochow in »Je suis Karl« vor Augen. Der Film erzählt in brachialen Bildern von der faschistischen Unterwanderung unserer Gesellschaft – bis zum bitteren Ende.
Dass die Generation Z auf die Barrikaden geht, ist auch in der Filmbranche angekommen. Nachdem Julia von Heinz in ihrem Film »Und morgen die ganze Welt«, mit dem sie im letzten Jahr erfolgreich am Wettbewerb der Filmfestspiele in Venedig teilnahm, die Geschichte einer Radikalisierung im linksautonomen Milieu erzählte, legt Christian Schwochow eine ähnlich gelagerte Geschichte am anderen Ende des politischen Spektrums vor.
Im Mittelpunkt seines Films »Je Suis Karl«, der bei der digitalen Berlinale seine Premiere feierte, steht Maxi, die gerade die Schule abgeschlossen und den Sommer in Paris verbracht hat und zu Beginn des Films nach Berlin zurückkommt. Doch kaum ist sie zurück, sterben ihre Mutter und ihre beiden kleinen Brüder bei einer Explosion? Unfall oder terroristischer Anschlag im Zentrum von Paris? Schnell kommen Gerüchte auf, Solidarisierungsaktionen in alle Richtungen werden laut, die Boulevardmedien wollen an die Angehörigen heran. Dass denen der plötzliche Verlust ihrer Lieben den Boden unter den Füßen weggezogen hat, macht es nur interessanter. Als Journalisten Maxi in der Stadt entdecken und sie verfolgen, hilft ihr ein junger Mann aus der Klemme. Es ist der im Titel genannte Karl, der sie zu einer Summer Academy nach Prag einlädt, um aus Berlin und all der Tristesse rauszukommen.
Maxi, überfordert von der trauernden Stadt und dem schockstarrenden Vater (grandios verloren gespielt von Milan Peschel) einerseits sowie der erbarmungslosen Neugier von Presse und Polizei andererseits folgt spontan der Einladung. In Prag trifft sie auf eine Gemeinschaft, die sich »re|generation« pro-europäisch, feministisch und international gibt, deren Strategien und Methoden aber ganz unverkennbar an die rechtsextreme »Identitäre Bewegung« erinnert. Einer Bewegung, mit der der Verleger des rechten Verlags, dem Platz auf der Frankfurter Buchmesse an prominenter Stelle eingeräumt wurde, was zu erregten Debatten geführt hat, bestens vernetzt ist.
Schwochows Film macht deutlich, dass es bei dieser Bewegung mitnichten um Meinungsfreiheit, sondern um die Manipulation der ahnungslosen, aber wütenden Massen geht. Auf dem Netzwerktreffen der jungen Rechten wird hymnisch von der Wiedergeburt des europäischen Kontinents geträumt, die »Töchter Europas« hetzen gegen angebliche migrantische Vergewaltiger und hippe Schönlinge basteln im Hintergrund am nächsten großen Coup. Karl ist einer der Köpfe der Bewegung, in der Springerstiefel tragende Glatzköpfe nicht einmal mehr eine marginale Rolle spielen. Er ist ein rechter Verführer, dessen Überzeugungen der unter Schock stehenden Maxi imponieren. Halb verliebt, halb betäubt von ihrem Schmerz folgt sie ihm durch halb Europa nach Straßburg, wo der charismatische Überzeugungstäter mit seinem inszenierten Tod die europaweit organisierte Rechte zur Machtergreifung bewegen will. Die Parole, unter der die europäischen Neonazis nach einem medienwirksamen Anschlag auf die Straßen gehen soll, gibt dem Film ihren Titel.
Die Anlehnung von »Je suis Karl« an die Solidaritätsbekundung nach dem Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins »Charlie Hebdo« lässt das Ende erahnen, spiegelt aber auch die manipulativen Strategien der neuen Rechten. Die haben sich längst an den alternativen Lifestyle der GenY und GenZ angepasst. Mit Influencern, HipHop und charismatischen Auftritten haben sie eine gefährliche Parallelwelt aufgebaut, für deren Inszenierung sie vor nichts zurückschrecken. Das ist ebenso verlogen wie schonungslos, wie Schwochow, für seinen Film die Szene intensiv studiert hat, von Anfang an deutlich macht.
Allerdings fällt der Film teilweise zu simpel aus. Er führt Eindeutigkeit vor, wo oft keine ist. Sinn und Zweck ist die Demonstration der Bedrohung, das ist klar. Aber vielleicht wäre es vor allem für die Zielgruppe der jungen Menschen sinnvoll gewesen, an mancher Stelle die perfiden Strategien der neuen Rechten weniger monströs zu zeigen. Zugleich schafft dies natürlich eine Energie, der es gelingt, selbst in der medialen Dauerbeschallung der GenZ einen Akzent zu setzen.
Dazu passt das intensive Spiel von Luna Wedler und Jannis Niewöhner. Maxis grenzenloser Schmerz und Karls grenzenlose Wut treffen sich in der Verweigerung gegenüber der Wirklichkeit, die Grundlage für die Manipulationen der neuen Rechten sind. Natürlich könnte man die linksliberal-ökologisch sozialisierte Maxi als zu naiv abstempeln und der Figur Unglaubwürdigkeit attestieren, aber möglicherweise ist es gerade die radikale Ablehnung der Welt, die ihr in den rechten Denkmustern begegnet, in der sie sich erst wieder selbst spüren kann.
Und dennoch liegen bei Schwochow zu viele Antworten und Analysen auf der Hand. Während Julia von Heinz in ihrem Film über die linke Radikalisierung einer jungen Akademikerin aus gutem Hause zeigt, dass es in der komplexen Gegenwart keine einfachen Antworten gibt, wirkt »Je suis Karl« an mancher Stelle zu plakativ. Ob das das bessere oder das schlechtere Mittel ist, um junge Menschen zu erreichen, bleibt abzuwarten.
[…] Veils« mit Amanda Seyfried, Johan Rencks »Spaceman« mit Adam Sandler und Isabella Rossellini und Julia von Heinz »Treasure« mit Lena Dunham und Stephen Fry zu […]