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Der blutige Geschmack von Rache

Park Chan-wooks grandiose Rachetrilogie liegt endlich digital überarbeitet in prachtvoller Ausstattung vor. Der Höhepunkt der Filmreihe ist zweifellos Cannes-Gewinner »Oldboy«, die »Vengeance«-Filme zeigen aber, wie tief sich der südkoreanische Meisterregisseur in das Thema eingearbeitet hat.

Es ist ein winziges Klicken, das einem ewig im Kopf bleibt. Wenn sich die Stahlzähne des Zimmermannshammers in der Hand von Oh Dae-su gegen den Zahn seines Peinigers drücken, bis der Widerstand groß genug ist, um Druck auszuüben. Unter dem Gestöhne des Leidtragenden sieht man, wie Blut unter dem Zahnfleisch hervordringt, bevor die Kamera wieder in die Totale geht und zeigt, wie Dae-su den Hammer samt Zahn aus dem Mund seines Opfers reißt.

Es ist nur eine der Szenen, die sich dem Autor ins Gehirn gebrannt haben, seit er Park Chan-wooks »Oldboy« vor nun bald zwanzig Jahren das erste Mal gesehen hat. Der südkoreanische Rachethriller war damals schon Kult, nachdem er 2004 in Cannes von der von Quentin Tarantino geführten Jury mit der Goldenen Palme und dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Die Auszeichnung erhielt der Film jedoch nicht nur wegen der Tarantino-haften Splatter-Elemente, die dem Jury-Präsidenten sicherlich gefallen haben, sondern auch wegen des genialen Drehbuchs, der beeindruckenden Kameraführung, der überzeugenden Darstellung der Charaktere (insbesondere durch Hauptdarsteller Choi Min-sik) und dem perfekt auf die beklemmende Atmosphäre abgestimmten Spiel mit Kulisse und Kostümen.

Nicht umsonst wird der Film in der Filmdatenbank IMDb unter den einhundert besten Filmen aller Zeiten geführt. Dass Spike Lees einfallsloses Remake durch sämtliche Kritiken gefallen ist, lag auch daran, dass man diese Geschichte nicht besser erzählen kann, als es der südkoreanische Regisseur zehn Jahre vor ihm gemacht hat. Es war nur konsequent, dass dieses Meisterwerk 2017 zuerst digital geremastert und in einer edlen Collector’s Edition neu aufgelegt wurde. Darin enthalten sind auch die sehenswerte Filmdokumentation »Old Days«, in der nahezu alle an der Produktion des Films beteiligten Akteure zu Wort kommen, dem Soundtrack sowie dem japanischen Original-Manga von Garon Tsuchiya und Nobuaki Minegishi.

Park Chan-wook ist zweifellos einer der einflussreichsten und erfolgreichsten Regisseure seiner Generation (»Snowpiercer«, »Die Taschendiebin«, »I’m a Cyborg, But That’s OK«, »The Target«), die Rachetrilogie unumwunden sein Meisterwerk. »Oldboy« stellt dabei das Herzstück eines Projekts dar, das 2002 mit »Sympathy for Mr. Vengeance« eindrucksvoll begann und in »Lady Vengeance« 2005 seinen nicht weniger beeindruckenden Abschluss fand. Nun liegen endlich alle drei Rachegeschichten digital überarbeitet vor.

In allen drei Filmen stehen Entführungen im Mittelpunkt der Handlung. Schon im Auftaktwerk »Sympathy for Mr. Vengeance« heißt es, dass die besten Entführungen jene sind, in denen die Eltern zahlen und das Kind unversehrt zurückkommt. Nur läuft es nie so perfekt und schadlos, wie es die naive Yeong-Mi plant. Dabei ist ihr Freund Ryu alles andere als ein Gewalttäter. Der taubstumme Mann braucht das Geld, um für seine Schwester eine Spenderniere zu finden. Nachdem er dubiosen Organhändlern auf den Leim gegangen ist, sieht er in der Entführung der Tochter des Elektrikers Dong-jin Park seine letzte Rettung. Tatsächlich ist der zu Geld gekommene Unternehmer auch bereit, zu zahlen. Doch erst bringt sich Ryus verzweifelte Schwester um und kurz darauf kommt auch die sechsjährige Yu-sun unter unglücklichen Umständen ums Leben. Fortan laufen zwei Männer Amok. Ryu, der sich an den Organhändlern rächen will, und Park, den der Schmerz um Yu-suns Tod zum Äußersten treibt. 

In dem in Cannes ausgezeichneten Hardboiled-Thriller »Oldboy« wird die schreckliche Geschichte von Oh Dae-su erzählt, der nach einer durchzechten Nacht entführt und von seinen unbekannten Peinigern jahrelang in einer winzigen Wohnung ohne Fenster gefangen gehalten wurde. Die Folgen der Isolation werden grausam sein. »Falls du an einem regnerischen Abend vor einer Telefonzelle stehst und einem Mann begegnest, der sein Gesicht unter einem violetten Regenschirm versteckt, empfehle ich dir, dass du eine innige Beziehung zu einem Fernseher eingehst. Denn er wird deine Uhr und dein Kalender, wird Schule, Zuhause und Religion, Freund und sogar Geliebte.« Was wie die Drohung eines Mannes mit einer skurrilen Persönlichkeitsstörung klingt, ist das Resultat eines erlebten Albtraums, der dem Zuschauer als Lebensbeichte gereicht wird.

Nach fast 15 Jahren gelingt dem inzwischen völlig verwahrlosten und psychisch labilen Dae-su die Flucht – oder besser gesagt, der unbekannte Entführer (nennen wir ihn der Einfachheit halber Evergreen) lässt ihn fliehen. Die Kernfrage des Films liegt damit auf dem Tisch. Sie lautet nicht, warum Dae-su jahrelang ohne Erklärung von einem Phantom gefangen gehalten wurde, sondern warum ihn dieses Phantom frei lässt und sich damit selbst zum Gejagten macht. Diese Frage wird bis zum Schluss über dem gigantischen Rachefeldzug liegen, der irgendwo zwischen Takeshi Kitanos »Zatoichi – Der blinde Samurai« und Tarantinos »Kill Bill«-Erzählung einzuordnen ist. Das wilde Spiel mit Genreelementen, die narrativen Auslassungen, die psychologische Charakterzeichnung und der ebenso ironische wie dramatische Score verstärken diesen Eindruck.

Statt eine Antwort auf diese Frage zu suchen, will Dae-su zunächst herausfinden, wer ihn entführt hat. Um überhaupt einen Anhaltspunkt zu finden, frisst er sich durch die halbe Stadt. Denn »den Geschmack von 15 Jahren vergisst man nicht«. Über den Lieferdienst seiner täglichen Mahlzeit nähert er sich dem Kreis seiner Peiniger an, wobei er das Motto »Auge um Auge, Zahn um Zahn« wortwörtlich umsetzt. Da meldet sich Evergreen und fordert Dae-su zu einem Spiel auf Leben und Tod heraus. Als sie aufeinandertreffen, muss sich Dae-su entscheiden, ob er sich rächen und seinen Peiniger umbringen oder lieber herausfinden will, worin der Grund für seine Entführung liegt. 

Der tragische Held in diesem Film ist eine vollkommen inszenierte Figur, aber gerade darin zeitlos genial. Der Antrieb seiner Wut liegt in den Jahren Gefangenschaft begründet. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten – der, die er verloren hat und nicht mehr zurückgewinnen kann, und der, in die er geworfen wird und mit der er nichts anzufangen weiß. 

»Sei es ein Sandkorn oder ein Stein – im Wasser gehen sie beide unter.« Dieser Satz wird ihn fortan begleiten, ohne dass er ihn sich erschließen kann. Unterstützt von der jungen Mi-do, mit der er eine leidenschaftliche Affäre eingeht, versucht er, Informationen über Evergreen zu sammeln. Wie ein Puzzle setzt er diese zusammen und reist dabei rückwärts durch sein Leben, um das Rätsel zu lösen. Dass er dabei weder auf sich noch auf andere Rücksicht nimmt, spiegelt sein Bedürfnis nach Rache, das ihn antreibt. 

Bei aller Brutalität hat »Oldboy« aber auch etwas Kontemplatives. Der Film ist eine große Meditation über Rache und Vergeltung, Liebe und Schmerz, körperliches Leid und seelische Pein sowie die Frage nach dem guten Leben. Die Behandlung dieser universellen Themen machen diesen alle Sinne überwältigenden Thriller zu einem Geniestreich Shakespear’schen Ausmaßes.

Der Abschluss der Trilogie mit »Lady Vengeance« ist eine Art Variante von »Oldboy«. Die bildschöne Lee Geum-ja saß 13 Jahre im Gefängnis – für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat. Kaum entlassen jagt sie den eigentlichen Täter. Dass sie mit allen Wassern gewaschen ist, zeigt sich schon im Knast, wo sie einige Frauen für sich gewinnt, die allesamt auf ihre Weise Opfer männlicher Hybris geworden sind. Sie werden sie nach der Entlassung unterstützen, den Mann zu jagen, der erst zahlreiche Kinder entführt und umgebracht und sie schließlich noch erpresst hat. Als grausamer Höhepunkt des Films dienen die Ereignisse in einer verlassenen Schule, in der Lee Geum-ja den betroffenen Familien erst die letzten Aufnahmen ihrer Kinder vorführt, um ihnen dann die Chance zu geben, den Tod ihrer Kinder zu rächen.

Nun endlich liegt Parks filmisches Triptychon vollständig digital überarbeitet vor. Abgesehen vom visuellen Gewinn wird so die Gesamtschau die Entwicklung zwischen den Filmen sichtbar. Während der Auftakt noch als klassischer Thriller chronologisch erzählt wird, springt die Erzählung im Finale zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her, so dass das grausame Schicksal von »Lady Vengeance« nur stückweise ans Licht kommt. Sie rahmen den brutalen Rachefeldzug eines Mannes, sich seines erbarmungslosen Vorgehens nur allzu sehr bewusst ist. Und der uns fragt: »Auch wenn ich schlimmer bin als jedes Tier, habe ich nicht wenigstens das Recht, zu leben?« Dies zu verneinen wagt man sich auch als Zeuge seiner Tour de Force nicht.

Parks Rachetrilogie ist bis zur Unerträglichkeit brutal, erkundet sämtliche Motive der Vergeltung und hat gerade darin ihre Menschlichkeit. Denn was der Mensch ist und ihn ausmacht, wird weniger in den rasenden Gewaltexzessen sichtbar, sondern vielmehr in den stillen Momenten, wenn diese Filme zu einer großen Meditation über Liebe, Schmerz und Verlust abheben.

Park Chan-wook: Sympathy for Mr. Vengeance | Oldboy | Lady Vengeance. Mit Shin Ha-kyun, Kang-ho Song, Lee Yeong-ae, Nam Il-woo, Bae Donna, Choi Min-sik. Capelight 2021 | 2017 | 2021.

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