Interviews & Porträts, Literatur

Unbequemer Stilist

Er war einer der größten deutschen Stilisten, ein radikaler Dichter und außerordentlicher Filmemacher, der weder sich noch seine Umwelt schonte. Heute vor zwanzig Jahren starb der Schriftsteller Thomas Brasch, dessen Literatur noch heute vor Kraft strotzt.

Thomas Brasch war wohl das einzige echte deutsch-deutsche enfant terrible. 1945 im englischen Westow/Yorkshire als Sohn jüdischer Emigranten geboren, verließ der Sohn des ehemaligen stellvertretenden DDR-Kulturministers Horst Brasch 1976 gemeinsam mit seiner damaligen Freundin Katharina Thalbach die DDR, um öffentlich schreiben zu können. Schonungslos ging er dabei mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Ost und West in die Kritik. Rücksicht nahm er weder auf seine Leser noch auf sich selbst. Bis zum Exzess trieb er sein Schreiben und sein Leben.

Die Geschichte von Thomas Brasch wird ab nächster Woche in einem eindrucksvollen Kinofilm erzählt, in dem kein Geringerer als Albrecht Schuch den Brasch spielt. Der Film von Andreas Kleinert erzählt chronologisch von der Kindheit in Cottbus, dem Aufenthalt in der Kadettenschule der Nationalen Volksarmee, der Revolte gegen den eigenen Vater, der ihn nach einer Flugblatt-Aktion gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag 1968 an die Stasi ausliefert. Er erzählt von der anschließenden Haft und der Strafarbeit im Elektrowerk Schöneweide, von der Ausreise in die BRD, seinem schwierigen Verhältnis zum kapitalistischen Staat, vom Leben inmitten der intellektuellen Boheme in Berlin, der Beziehung mit Katharina Thalbach, dem Sehnsuchtsort New York und seinen Erfolgen als Filmemacher.

Ein Leben wie ein Roman, doch den wollte Brasch nicht einmal für 200.000 US-Dollar schreiben. Doch wenngleich der Dichter und Dramaturg keine Autobiografie verfasst hat, ist doch jedes Wort autobiografisch motiviert, spricht sein Leben aus seinem Werk und begründet sich sein Werk in seinem Leben, wie Insa Wilke in ihrem vor knapp zehn Jahren erschienenem Essay gezeigt hat. Darin präsentiert die studierte Germanistin einen Autor, der nicht nur mit Bertold Brecht, Isaak Babel, Georg Heym, Robert Musil und Thomas Bernhard in einer Reihe stehen wollte, sondern der diesem Anspruch in seinem Gesamtwerk einen Ort gegeben hatte.

Tief saß der Stachel der zerrütteten Vaterbeziehung, verbunden blieben sie nur durch eine tief empfundene Hassliebe. Als Thomas Brasch seinem Vater 1968 gestand, Flugblätter gegen den sowjetischen Überfall auf die Tschechoslowakei gedruckt und verteilt zu haben, griff dieser zum Telefon und ließ ihn von der Stasi abholen. Brasch wurde im Eilverfahren zu einer Haftstrafe verurteilt. In Christoph Rüters Dokumentarfilm »Brasch. Das Wünschen und das Fürchten« kommentierte er diese Erfahrung mit den knappen Worten »Knast ist zum Kotzen«. Diese Erfahrung wollte er nie wieder machen, auch deshalb floh er 1976 aus der DDR. »Zweimal einfahren in eine Wohnung ohne Klinken macht keinen Spaß.«

Aus dieser Erfahrung heraus ergibt sich die poetische Grundkonstellation für Braschs Werk: Wie kann man vier Wände beschreiben, das eine Welt daraus wird? Diese vier Wände sind nicht nur ein Ort (das Gefängnis, die DDR, das Exil), sondern auch die Lebensumstände (der Staatssozialismus, der Staatskapitalismus, die Bedingungen des westdeutschen Kulturbürgertums) und das eigene (Über-)Leben darin. Sein Schreiben musste zur Unmöglichkeit werden.

In dieser Form wird für sein Schreiben charakteristisch, dass es sich der »theatralischen Brauchbarkeit« entziehen sollte. Für Brasch wurde das Schreiben zum Erkunden des Unbekannten zwischen den vier Wänden. Das zeigt eindrucksvoll die Sammlung seiner Gedichte »Die nennen das Schrei«, in der die Zyklen »Poesiealbum«, »Kargo – 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu kommen« und »Der schöne 27. September« sowie zahlreiche kürzere Texte enthalten sind. Das Schreiben hat zwei Voraussetzungen, erfährt man dort.

»Das Land lieben,
seine Verhältnisse hassen.
Das eine ohne das andere ist nichts.
Das andere ohne das eine muss ich verlassen.«

Das Schreiben hat zwei Voraussetzungen in »Die nennen das Schrei«

Die Ausreise aus der DDR dient nicht dem Entkommen aus diesem an den Seiten geschlossenen, aber nach oben offenen Raum, sondern dem Erreichen eines Ortes, der in alle Richtungen offen ist und wo er öffentlich über diese vier Wände und seine Position darin schreiben und publizieren darf. Die DDR und seine Erlebnisse in und mit dieser Gesellschaft will er nicht hinter sich lassen, sondern er will sie sich und seinen Lesern vor Augen führen können. Dies war nur außerhalb des sozialistischen Deutschlands möglich. In das sollte er nur noch einmal zurückkehren. Im Oktober 1989 wurde Horst Brasch auf dem Sozialistenfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde beigesetzt. Eingeklemmt zwischen die DDR-Prominenz war auch dessen Sohn Thomas vor Ort.

Das Schreiben für die Öffentlichkeit war einer der wichtigsten Gründe für Braschs Ausreise, in der seine Werke in der von ihm verfassten Form nicht erscheinen durften. Sein Prosaband »Vor den Vätern sterben die Söhne« wurde wegen »DDR-untypischer Tristess« im Osten nicht verlegt. Der Band wurde erst nach seiner Ausreise in Westberlin publiziert und legte den Ursprung für seinen Siegeszug in der westdeutschen Kulturlandschaft Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre.

Darin lässt er nicht nur mit Till Eulenspiegel eine seiner literarischen Lieblingsfiguren den Schlussakkord setzen, sondern entzog sich schreibend dem Zugriff und der Instrumentalisierung des ostdeutschen Regimes. »Ich / habe mein Ziel erreicht. Ich bin / unbrauchbar«, lässt Brasch die Selbstmörderin Nakry in seinem Zyklus »Der schöne 27. September« sagen.

Zu seinem schriftstellerischen Erfolg gesellte sich das Reüssieren als Filmemacher und Dramaturg. 1981 läuft sein erster Film »Engel aus Eisen«, eine kriminologische Erzählung zur Zeit der Berliner Luftbrücke, bei den Filmfestspielen in Cannes. Im selben Jahr erhält Brasch für sein »stilistisch konsequentes« Erzählen den Bayrischen Filmpreis. Thomas Brasch filme »die subtile Studie von Menschen in einer aus den Fugen gefallenen Zeit«, hieß es in der Laudatio. Auf diese antwortete Brasch, der den Ärger seines Freundeskreises aufgrund der Entgegennahme des Preises aus den Händen des damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß auf sich zog, mit markigen Worten, die bis heute legendär sind.

Trotz seiner Erfolge wird Brasch mit Westdeutschland nie warm. In Andreas Kleinerts Film wird das wortwörtlich umgesetzt. Da sieht man den von Drogen und Alkohol ermatteten Brasch, grandios gespielt von Albrecht Schuch, mit einer Decke am Schreibtisch sitzen, während draußen der Sommer mit 30 Grad vom Himmel brennt. Hier ist ein innerlich einsamer Dichter am Werk, dem die Welt, die ihn umgibt, zu kalt ist. Auch und vor allem, als sein Bruder Klaus sich das Leben nimmt und Brasch nicht zu ihm kann.

Neben der Aufarbeitung der DDR-Erlebnisse und der Konfrontation mit seinem Vater spielt auch die Auseinandersetzung Thomas Braschs mit dem Dramaturgen Heiner Müller eine wichtige Rolle für den Zugang zu seinem Werk. Sowohl Müller als auch Brasch haben unter den Vorzeichen der deutsch-deutschen Teilung in ihren Stücken die Frage gestellt, wo sie als Intellektueller und Künstler in der Gesellschaft stünden und welche Rolle ihnen in dieser Position zukomme. Müller war der Ansicht, dass aus der Welt, die er in Trümmer legt, sich etwas Neues erhebe. Brasch hingegen will nichts Neues, er will etwas Anderes. Denn »Müller begann zu schreiben, als die heutige DDR noch ein Trümmerfeld war – ich begann zu schreiben, als die DDR ein funktionierender Staat war, um den eine Mauer stand«, wie er selbst schrieb.

Etwas Anderes sollte auch sein Brunke-Roman werden, ein Werk von unfassbaren Dimensionen. Über zehn Jahre hat Brasch daran gearbeitet, ganze Teile umgeschrieben oder neu gesetzt, bis sein Zettelkonvolut auf unglaubliche 14.000 Manuskriptseiten angewachsen ist, die im Archiv der Berliner Akademie der Künste lagern und auf eine Neuedition warten. Tatsächlich erschienen sind knapp einhundert Seiten, herausgegeben von einem verzweifelten Siegfried Unseld, nachdem Brasch weder ein Ende seiner Erzählung fand, noch einer Endfassung des bisher Geschriebenen und bereits Lektorierten zustimmen wollte.

Brasch und Brunke – mehr als ein Arbeitsverhältnis. In einem von Wilke entdeckten Tagebucheintrag spricht Brasch davon, sich »kotzebue-schwurgetreu zehn jahre lang ganz der selbstmörderischen prosa und dem selbstmörderischen mädchenmörder brunke verschworen« zu haben. Insa Wilke kommt hier zu dem Schluss, dass sich Brasch an Brunke »ver-dichtet« habe.

Sein Werk sei eine »Signatur für den Tod einer Person und ihr Weiterleben in und durch das Schreiben«, heißt es bei Wilke. Am 3. November 2001 hat das Herz von Thomas Brasch aufgehört zu schlagen. Den Puls seiner Literatur kann man heute noch deutlich vernehmen.

»Und ich. Bin nichts als meine Augen
wenn ihr die 2 begrabt, begrabt ihr wen.
Ich habe nichts gelebt. Nur was gesehn.
Ich will nicht sterben. Nur was taugen.«

Über Kunst in »Die nennen das Schrei«

3 Kommentare

  1. […] wie die Hauptfigur aus dem Kinderbuch, war Thomas Brasch, so einsam gefühlt aber hat er sich oft. Brasch, der seine Zeit wie kein zweiter in Worte fassen konnte, dessen Texte und Filme messerscharf die Verhältnisse – erst in der DDR, dann im […]

  2. […] wie die Hauptfigur aus dem Kinderbuch, war Thomas Brasch, so einsam gefühlt aber hat er sich oft. Brasch, der seine Zeit wie kein zweiter in Worte fassen konnte, dessen Texte und Filme messerscharf die Verhältnisse – erst in der DDR, dann im […]

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