In dem neuen Film von Kirokazu Kore-eda reist ein ungleiches Trio mit Anhang durch Südkorea und wächst zur Schicksalsgemeinschaft zusammen. Das zutiefst empathische Kino des Japaners bringt uns Menschen in all ihrer Ambivalenz nahe und verweigert sich einfachen Antworten.
Der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda hat ein Händchen für außergewöhnliche Familiengeschichten. In dem Familiendrama »Nobody Knows« (2004) beobachtet er das Schicksal von vier Kindern, die von ihrer alleinerziehenden Mutter zurückgelassen werden. In »Like Father, Like Son« (2013) stellt er im Rahmen einer Kinderverwechslungsgeschichte die Frage, wie viel Liebe mit Herkunft zu tun hat. Seinen bislang größten Erfolg feierte Kore-eda mit »Shoplifters – Familienbande«. Das Porträt einer Familie lauter sympathischer Kleinkrimineller erhielt 2018 in Cannes die Goldene Palme und kann als etwas nachdenklichere Vorlage von Bong Joon-hos Oscar-prämierter Gesellschaftssatire »Parasite« gelten. Diese ebenso nachdenklichen wie empathischen Filme haben dem Kino des Japaners sogar ein eigenes Adjektiv eingebracht: koreedaesk.
Auch der neue Film des Japaners »Broker – Familie gesucht« taucht ein in die Halbwelt krimineller Milieus, die ihren Ursprung in gesellschaftlichen Schieflagen haben. Im Mittelpunkt dieses in Südkorea spielenden Dramas stehen die beiden Ganoven Sang-hyun – gespielt von »Parasite«-Darsteller Song Kang-ho und beim Filmfestival in Cannes 2022 als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet – und Dong-soo (Gang Dong-wo), die ein besonderes Geschäftsmodell entwickelt haben. Als ehrenamtliche Diener Gottes nehmen sie hinter einer kirchlichen Babyklappe Kinder von Familien in Not entgegen und verschachern diese an wohlhabende Paare. Dabei verstehen sie sich als Zwischenhändler des Glücks, schließlich haben es die kleinen Racker bei den neuen Eltern mutmaßlich besser als im Waisenhaus.
In einer regnerischen Nacht taucht die junge So-young auf und will mitbestimmen, an wen ihr Sohn verkauft wird. Die junge Schauspielerin Ji-eun Lee beeindruckt in der Nebenrolle dieser ebenso entschlossenen wie nachdenklichen Frau, die in jedem Zug dem Klischee der verantwortungslosen Mutter widerspricht. Sie schließt sich dem Gaunerduo an und gemeinsam macht sich diese Schicksalsgemeinschaft auf die Suche nach geeigneten Eltern für So-youngs Sohn.
Auf dieser Reise in einem klapprigen Van durch ein sozial zerrüttetes Korea, in dem die extremen Unterschiede zwischen Oben und Unten – hier die vermögenden Kinderlosen, da die ums Überleben kämpfenden Gauner – sichtbar werden, wachsen die beiden Gauner, die junge Mutter und ein aufgeweckter Junge aus einem Waisenheim zu einer Ersatzfamilie zusammen. Sie alle kennen das Gefühl, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, erkennen sich darin und stehen füreinander ein.
Während diese bezaubernde Wahlfamilie herrlich chaotisch durch das Land reist, sind ihr zwei Ermittlerinnen der Sozialbehörden auf der Spur, die sie als illegale Kinderhändler auffliegen lassen wollen. Bae Doona, bekannt aus Filmen wie »Cloud Atlas« oder »Sympathy for Mr. Vengeance« oder »The Host«, und Lee Joo-young spielen dieses ungleiche Ermittlerpärchen.
In seinem berührenden und empathischen Gesellschaftsdrama geht Kore-eda den Motiven seiner ebenso bemitleidens- wie liebenswerten Figuren auf den Grund. Er zeigt die Ursprünge ihrer prekären Situation, macht ihre Beweggründe sichtbar und stellt die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt in einer Gesellschaft, in der jeder auf sich allein gestellt und Glück eine Frage finanzieller Möglichkeiten ist.
Einfachen Antworten verweigert sich dieser zutiefst humanistische Film. Vielmehr ist »Broker – Familie gesucht« durchzogen vom bittersüßen Ton der Ironie, mit der Kore-eda die gesellschaftlichen Zu- und Missstände in Südkorea offenlegt. Dabei zeigt er einmal mehr, dass Familie keine Blutsbande braucht, sondern einer Wahlverwandtschaft entspricht, die auf Vertrauen und Verantwortung basiert.
Eine kürzere Version des Beitrags erschien zum Kinostart im Rolling Stone Magazin.