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James Baldwin und das Amerika nach der Bürgerrechtsbewegung

1980 blickt der Schriftsteller James Baldwin auf die Bürgerrechtsbewegung zurück und fragt sich, was aus den Vereinigten Staaten geworden ist. Dick Fontaines restaurierter Dokumentarfilm »I heard it through the Grapewine« ist Zeitgeschichte und ein Dokument der Schwarzen Emanzipation.

1979 begann der amerikanische Autor James Baldwin ein Buch über die Jahre 1963 bis 1968 zu schreiben, die ihn besonders prägten. In diesen fünf Jahren wurden Malcolm X, Martin Luther King jr. und Medgar Evers erschossen. Medgar, Malcom, Martin, sie alle seien tot, hört man ihn nun in dem Dokumentarfilm »I heard it through the Grapewine« von Dick Fontaine aus dem Jahr 1982 sagen. Der Film wurde nun in einer restaurierten und um neues Material aus dem Harvard Film Archive ergänzten Fassung auf der Berlinale gezeigt.

Es ist der zweite Baldwin-Film mit Bezug zum Thema, 2017 wurde auf der Berlinale die eindrucksvolle Doku »I’m not your Negro« von Raoul Peck gezeigt, der es seither sogar bei Netflix eine Weile lief. Peck hatte für seinen Film Baldwins Überlegungen zu dem eingangs erwähnten Buch verfilmt und mit Archivaufnahmen von Baldwin und der Bürgerrechtsbewegung laut darüber nachgedacht, was die damals wie heute bestehenden Verhältnisse über die amerikanische Nation aussagen.

Dick Fontaine konnte für seinen Film gemeinsam mit Baldwin durch das Land reisen und ihn dabei filmen, wie er mit Weggefährten über den Zustand Amerikas spricht. Diese Archivaufnahmen ergänzte er um historische Bild- und Tonaufnahmen, die den grassierenden Rassismus Mitte des 20. Jahrhunderts veranschaulichen. Es sind Aufnahmen, die einen immer wieder fassungslos machen, die zeigen oder hören lassen, wie sich Weiße zu Mobs versammelten, um Schwarze mit rabiaten Mitteln aus Bars, Restaurants, Bussen, Schulen und von anderen öffentlichen Plätzen zu prügeln – immer wieder mit der unverhohlenen Unterstützung der Polizei.

»I Heard It through the Grapevine« von Dick Fontaine | © Dick Fontaine, courtesy of the Dick Fontaine Collection, Harvard Film Archive

1980, knapp 30 Jahre später, sprach Baldwin mit seinem Bruder David Baldwin, dem Professor Hosea Williams, dem Verleger Hoyt W. Fuller, dem Bürgerrechtler und späteren Minister Charles Sherrod, dem ehemaligen Anführer der Schwarzen Studentenschaft Lonnie King sowie mit lokalen Aktivist:innen wie Oretha Castle in New Orleans, Jerome Smith in Mississippi oder David J. Dennis in Alabama. Er fragt sie, was aus dem Land geworden sei, ob sich Dinge verbessert haben, und die Antwort fällt eindeutig aus. An der Oberfläche hätten sie nun zwar die gleichen Rechte, aber praktisch betrachtet habe sich nichts getan. Die Integration, um die sie sich nach den Protesten bemüht hätten, sei das Dümmste gewesen, was sie machen konnten, sagt einer seiner Gesprächspartner. Denn so habe man der Bewegung die Kraft genommen. Der jungen Generation fehle ein Bewusstsein dafür, »woher wir kommen und wo wir sind«.

Dieses Bewusstsein schafft dieser spannende Film, auch weil er zentrale Ausgangspunkte der Bürgerrechtsbewegung noch einmal in Erinnerung ruft, weil Baldwin die damaligen Schauplätze bereist. Er fährt nach Birmingham, wo in den 50er Jahren so viele Anschläge auf Schwarze Gemeinden verübt wurde, dass man schon von Bombingham sprach. Dort begegnet er Aktivisten wie dem Pfarrer Fred Shuttlesworth, der in den 50ern gegen die Rassentrennung an Schulen vorging und dafür von einem Dutzend Klansmännern am helllichten Tag überfallen wurde. Nur knapp entkam er dem Tod. Von dort fährt er nach Selma weiter, an den Wäldern vorbei, in denen tausende Schwarze gehängt wurden. Später wurde in Selma für das Wahlrecht der Schwarzen protestiert, die Stimmung habe sich aber bis heute nicht wesentlich verändert, bekommt er von den Weggefährten zu hören.

»I Heard It through the Grapevine« von Dick Fontaine | © Dick Fontaine, courtesy of the Dick Fontaine Collection, Harvard Film Archive

Die bis in die Gegenwart anhaltende Straffreiheit hat das Land und die Menschen geprägt. »Die Weißen wussten, sie kommen davon, und die Schwarzen verloren den Glauben an das System«, sagt David J. Dennis im Film zu Baldwin. Das Land habe den falschen Weg eingeschlagen. Newark in New Jersey war damals das Sinnbild für diesen falschen Weg. Als Baldwin die verwahrlosten Schwarzen Viertel der Stadt besucht, sagt er fassungslos: »Ich habe Kriegsgebiete gesehen, in denen es besser aussah.«

Fontaine hat zwischen die verschiedenen Stationen der Reise Bilder montiert, die Schwarze Musiker:innen in Aktion zeigen. So erklingen immer wieder Blues-, Gospel- und Jazztöne, die die enge Verbindung der Bürgerrechtsbewegung mit der Schwarzen Kultur symbolisieren. Nicht umsonst hat sich Fontaine den Titel seines Films von Marvin Gaye geliehen.

Am Ende sieht man Baldwin, dessen Werk auch hierzulande gerade wiederentdeckt wird, wie er mit dem nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe in St. Augustin (Florida) den alten Markt besucht, wo vor nicht einmal 50 Jahren KKK-Horden bei ihren Aufmärschen von der weißen Bevölkerung bewundert wurden und Schwarze in Handschellen an ihre neuen Besitzer weitergegeben wurden. Als er dort am Abend bei einer öffentlichen Veranstaltung spricht, wird er von einem rassistischen Zwischenruf unterbrochen. Baldwin gerät in Rage. »Es ist nicht mehr wichtig, was sie denken«, entgegnet er lautstark, »denn die Doktrin der weißen Vorherrschaft ist vorbei«. Baldwin wusste, dass aus ihm eher die Hoffnung als die Wirklichkeit sprach. Dick Fontaines Film »I Heard It through the Grapevine« legt davon eindrucksvoll Zeugnis ab. Es ist zu hoffen, dass er einen Verleih findet.

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