Film

Alles besser als Knast

Christoph Hochhäuslers queerer Film Noir »Bis ans Ende der Nacht« schließt den Wettbewerb der Berlinale. Noch einmal geht es um die Suche der eigenen Identität inmitten traumatisierter Seelenlandschaften.

Im vergangenen Jahr eröffnete die Berlinale mit François Ozons Hommage an Rainer Werner Fassbinder, in diesem Jahr schließt sie mit einer atmosphärischen Verneigung vor dem Kino des Münchener enfant terrible. Christoph Hochhäuslers in Frankfurt/Main angesiedelte Ermittler-Story ist in das Zwielicht von Fassbinders Sozialdramen getaucht und dreht sich um zwei queere Figuren, die voneinander abhängig sind, aber auch nicht voneinander lassen können.

Zu Beginn des Films sehen wir zunächst den Aufbau einer doppelten Kulisse – der, in der weiter Teile des Films spielen, und jener, in der Robert und Leni einer gefakten Ehe nachgehen. Robert Demand (Timocin Ziegler) ist ein verdeckter Ermittler, der mit Hilfe von Leni Malinowski (Thea Ehre) das Vertrauen eines Kriminellen erlangen soll. Denn Frankfurts Unterwelt ist in Bewegung, die Drogenclans bekommen Konkurrenz von einem Unternehmen, dass eine Art sichere Lieferkette für Drogen aller Art bietet. Es weiß nur niemand, wie genau das funktioniert. Der ehemalige DJ Victor Arth (Michael Sideris) gilt als Schlüsselfigur in dem System, Leni kennt ihn noch aus alten Zeiten.

In diese Undercover-Story strickt Hochhäusler, der für das Spiel mit Genregrenzen bekannt ist, eine ungewöhnliche Liebesgeschichte sowie ein Sozialdrama ein, die er in den Figuren anlegt. Robert steht auf Männer, Leni hat eine Transition zur Frau hinter sich. Beide sind als ambivalente Figuren angelegt, die einerseits noch mit ihrer Identität ringen (auch andernorts ein Thema auf dieser Berlinale), andererseits aber genau zu wissen scheinen, was sie wollen. Entsprechend hat ihre Beziehung ein inneres Spannungsverhältnis, das sich immer wieder zwischen den beiden Figuren entlädt. Seinen Höhepunkt hat dies zweifellos in der überraschendsten Sexszene, die diese Berlinale zu bieten hat.

»So ein Typ wie du hat für Liebe keinen Sinn«, hört man auf der Tonspur, als der Film dieses Paar einführt. Schnell versteht man, dass mit diesem Du der Ermittler gemeint ist, und das hat nichts mit seiner geschlechtlichen Identität zu tun. Denn Robert ist ein Vulkan, in dem es brodelt. »Du bist nicht draußen, deine Zelle ist nur ein bisschen größer«, ist einer der ersten Sätze, den Robert an Leni wendet. Viel freundlicher wird er zunächst nicht. So wird schnell deutlich, dass Lenis Zutun Teil eines Deals ist, der ihr die erhoffte Freiheit bringt. Es gibt hier also auch jenseits der Erotik ein Machtgefälle, dass diesem Film auch soziale Aspekte abringt.

Thea Ehre in »Bis ans Ende der Nacht« von Christoph Hochhäusler | © Heimatfilm

Robert und Leni werden sich mit Victor und dessen Frau (Ioana Jacob) anfreunden und Einblicke in dessen Geschäfte erhalten. Roberts Chefin (Rosa Enskat) geht es allerdings nicht schnell genug, so dass sie von oben Druck macht. Zugleich wird Victor nervös, denn die Clans machen Druck und die Dinge geraten auf eine schiefe Bahn.

»Was mich interessiert«, erklärte Hochhäusler gegenüber dem Magazin von Film und Medien NRW, »ist das Spiel mit Erwartungen, in dem der Zuschauer eine selbstbewusste Rolle hat. Wenn jeder weiß, wie es sein soll, gewinnt die Differenz an Sichtbarkeit. Aber die Frage nach der Balance zwischen dem Kriminal-Plot und der melodramatischen Liebesgeschichte hat uns immer wieder beschäftigt. Es gab Drehbuchfassungen, die viel stärker in Richtung Polizeifilm gingen.«

Dass sich am Ende die Liebesgeschichte in diesem düster funkelnden Film Noir durchgesetzt hat, liegt an den Figuren und den beiden Schauspieler:innen, die sie eindrucksvoll verkörpern. Timocin Ziegler hat die melancholisch-schroffe Ausstrahlung des jungen Fassbinder, von Thea Ehre geht eine faszinierend androgyne, schwer greifbare Präsenz aus. Für beide ist es die erste Hauptrolle in einem Film dieses Formats, es wird ganz sicher nicht die letzte sein.

Christoph Hochhäuslers Film, der fünfte und letzte deutsche Beitrag im Wettbewerb, Noir spielt mit den Genres und geht mit den Mitteln von Licht, Kamera, Schnitt und Musik über viele Grenzen hinweg. Vielleicht sind es am Ende auch ein paar zu viel, nicht alle der aufgenommenen Fäden werden zu Ende erzählt. Übelnehmen will man das diesem Film nicht. Statt realitätsnahes Kino zu simulieren geht Hochhäuslers »Bis ans Ende der Nacht« entschlossen in den Bereich des magischen Realismus.

Wieviel Vorleben von der abgekarteten Geschichte von Robert und Lenis Ehe tatsächlich abgemacht und was erlebt ist, wird nämlich im Laufe des Films immer unklarer und eine Geschichte hinter der Geschichte tritt zum Vorschein. In der hat Robert einen Anteil daran, dass Leni überhaupt in den Knast gekommen ist. Um den endlich hinter sich zu lassen, lässt sie sich auf diese Fake-Beziehung und noch viel mehr ein. Denn alles ist besser, als nochmal in den Bau zu wandern.

3 Kommentare

  1. […] Kulturen Celine Songs »Past Lives«. Und auch Newcomerin Thea Ehre hinterließ als Trans*Frau in »Bis zum Ende der Nacht« einen bleibenden Eindruck. Dazu kommen die beiden weiblichen Kinderdarstellerinnen in Lila Avilés […]

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