Film

Wahnsinn und Genie zum Start der 72. Berlinale

Denis Ménochet in »Peter von Kant« von François Ozon | © C. Bethuel / FOZ

François Ozons Fassbinder-Hommage »Peter von Kant« ist ein unterhaltsamer und vielversprechender Auftakt in eine umstrittene Präsenz-Berlinale, die auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle startet.

So wie sich die meisten im grauen, regennassen Berliner Winter den Sommer herbeiwünschen, so groß ist auch die Sehnsucht nach Normalität. Aber so wenig wie man im Februar den Sommer herbeireden kann, kann man Normalität verordnen. Die Leitung der Berlinale, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, ignoriert diese Binse großzügig, mit Impfnachweis, Schnelltest und halbvollen Kinos meinen sie, die Berlinale zu einem sicheren Präsenzfestival zu machen. Schließlich seien die Kinos auch offen, jede:r könne entscheiden, ob er Filmkultur haben will oder nicht, so die Begründung. Oder anders formuliert: die Risikoabwägung liegt beim Publikum. Dass es sich dabei auch die Bundes- und Landespolitik leicht gemacht haben, die sich mit Kultur schmücken, aber keine Verantwortung (wie auch in anderen Feldern) übernehmen wollen, sei zumindest erwähnt.

Dass jede:r selbst entscheiden kann, sich unzähligen Kontakten auszusetzen, während Omikron durch das Land fegt, stimmt nur bedingt. Denn wenn man zum Pressetross gehört, der die Strahlkraft der Berlinale in die Welt tragen soll, hat man keine Wahl. Da die Festivalleitung auf Online-Angebote verzichtet hat, sind professionelle Filmkritiker:innen gezwungen, sich dem Risiko unzähliger Kontakte aussetzen, wollen sie ihrem Job nachkommen. Und da ein positiver Schnelltest aufgrund der Berliner Infektionsschutzverordnung von der weiteren Teilnahme ausschließt, sind viele internationale Kolleg:innen gar nicht erst angereist. Alle anderen spielen »Russisch Roulette«, wie Anna Wollner treffend beim rbb schrieb.

Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian | © Dirk Michael Deckbar / Berlinale 2022

Nun könnte man sagen, dass es der Presse da nicht anders geht als den Angestellten im Einzelhandel oder in der Pflege. Aber gäbe es für die eine Alternative, niemand würde sie ihnen wohl verweigern. Dass es anders geht, haben Festivals wie Sundance erst unlängst bewiesen. Da Online-Sichtungen längst gängige Praxis sind, hätte ein gutes digitales Medienangebot perspektivisch mehr Platz für das Publikum geschaffen. Zwar werden auch künftig einige Kolleg:innen auf eine Pressevorführung im Kino bestehen, aber einige – und vor allem jene, die aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen nicht kommen können – wären wohl mit Screenern zufrieden. Nicht weniger der Säle, die aktuell für Pressevorführungen gesperrt werden, stünden dann dem Publikum zur Verfügung. Diese zeitgemäße Anpassung hat die Festivalleitung einmal mehr verpasst.

Auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle startet nun also die Berlinale als Präsenz-Festival. So beklagenswert das ist, der Eröffnungsfilm von François Ozon entschädigt für so manches, denn er bietet alles, was man sich für ein Festival wünscht. Große Unterhaltung, prächtige Bilder, freche Dialoge und kluge Anspielungen an die Filmgeschichte.

Der Franzose war zuletzt 2018 beim Festival und gewann dort mit seinem Film »Grace à Dieu« den Großen Preis der Jury. Ozon ist in Berlin ein Stammgast, 2012 war er Teil der Jury. Seinen Durchbruch feierte er bereits 2000 mit der Verfilmung eines Fassbinder-Bühnenstücks »Tropfen auf heiße Steine«. Zweiundzwanzig Jahre später kehrt er zu Fassbinder und seiner Vorliebe für dessen Wer zurück.

Denis Ménochet, Isabelle Adjani in »Peter von Kant« von François Ozon | © C. Bethuel / FOZ
Denis Ménochet, Isabelle Adjani in »Peter von Kant« von François Ozon | © C. Bethuel / FOZ

»Peter von Kant« ist eine gewitzte Hommage an Rainer Werner Fassbinder. In seiner freien Adaption seines Films »Die bitteren Tränen der Petra von Kant«, in dem sich eine Modedesignerin unglücklich in eines ihrer Modelle verliebt, ersetzt Ozon die Designerin Petra, unwiderstehlich gespielt von Margit Carstensen, mit einem Regisseur, den Denis Ménochet mit seinem intensiven Spiel so nah es geht an Fassbinder anlehnt. Peter von Kant lebt in Köln mit seinem Assistenten Karl zusammen, den er genauso abschätzig behandelt wie Petra von Kant ihre Assistentin Marlene.

Eines Tages stellt die Schauspielerin und Sängerin Sidonie, in Anspielung auf Ingrid Caven wunderbar gespielt von Isabelle Adjani, ihrem Freund und Förderer Peter den jungen Amir vor, dem der Regisseur verfällt, erliegt und an ihm zugrunde geht. Die Geschichte ist aus Fassbinders Vorlage bekannt, es braucht hier keine Repetition in anderen Rollen.

Ozon nimmt sich ganz im Sinne Fassbinders die Freiheit, in seiner Hommage auf dessen Leben anzuspielen. Der junge Amir, schillernd gespielt von Khalil Ben Gharbia, ist unverkennbar eine Anspielung auf El Hedi Ben Salem, der nicht nur in Fassbinders bekanntestem Film »Angst Essen Seele auf« den marokkanischen Einwanderer Ali spielte, sondern auch zeitweise dessen Geliebter und Lebensgefährte war. Hanna Schygulla, die in Fassbinders Vorlage dass Mannequin Karin spielt, in das sich Petra von Kant unsterblich verliebt, tritt hier als »Mutti« des Starregisseurs auf.

Begleitliteratur zu Rainer Werner Fassbinder

Der lebt einen barocken Lebensstil, der zu seiner bajuwarischen Herkunft passt. Zwischen Caravaggio-Engeln und barocken Sofas gibt er sich seinen Lastern und Lüsten hin, dass es nur so scheppert. Übergriffig beschreibt die Art, wie er Freundschaft und Liebe lebt, nicht ansatzweise. Die französischsprachige Inszenierung passt perfekt zu dieser abgehobenen Welt.

Ménochet spielt seine Fassbinder-Figur als Dramaqueen mit allem, was er hat. Er säuselt, schwärmt, lästert, brüllt und heult, wälzt sich über Betten und Sofas, trinkt sich durch Tag und Nacht und tobt durch seine Gemächer. Genie und Wahnsinn liegen bei dieser Figur nicht nur eng beieinander, sie tanzen innig vereint zu Chansons. Peter von Kant liebt das Leben und die Liebe, und leidet an beidem gleichermaßen. So wie er vorgibt, die Liebe als Freiheit leben zu wollen, so sehr klammert er sich an die Menschen, die ihn umgeben. Seine Launen lässt er an Karl aus, den Stefan Crepon nur mit Mimik und Gestik in einer eindrucksvollen Präsenz spielt, sodass man ihm schon jetzt einen Bären für die beste stumme Rolle der Berlinale verleihen möchte.

François Ozon verneigt sich mit seiner immer unterhaltsamen Hommage nicht nur vor dem deutschen Regisseur, sondern auch vor der Filmkultur. Cineast:innen und Liebhaber:innen werden an den zahlreichen Anspielungen auf Klassiker der Kinogeschichte ihre Freude haben. Zugleich ist »Peter von Kant« keine blinde Verneigung vor Fassbinder, sondern eine ironische Ehrerweisung, die den bayerischen Lebemann nicht in zu helles Licht stellt. Oder wie es ihm im Film Sidonie an den Kopf wirft: »Du bist ein großer Regisseur, aber als Mensch ein Schwein.«

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