Film

Wer A sagt, kann noch lange nicht sprechen

Nicolette Krebitz’ »A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe« ist eine witzige, kluge und leichtfüßige Liebesgeschichte zwischen einem ungestümen jungen Mann und einer selbstkontrollierten reifen Frau. Sophie Rois glänzt im zweiten deutschen Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale.

»Alles Gute fängt mit A an«, erklärt die verdiente Schauspielerin Anna in Nicolette Krebitz wunderschönem Liebesfilm aus dem Off. A wie Adrian, der junge Mann, der sie kraftvoll aus dem Trott des Alltags reist. Wenngleich er zunächst ganz andere Pläne hat, als er ihr im noblen Teil Westberlins auf der Straße die Handtasche aus der Hand reißt. Ein junges Paar stürmt dem 17-Jährigen hinterher und bringt Anna ihre Tasche zurück. Die sitzt inzwischen mit ihrem Vermieter in einer Bar und stillt ihr aufgewühltes Gemüt an einem gepflegten Glas Champagner.

Einige Tage später begegnet Anna dem jungen Mann wieder, dessen unstetes Temperament im Film mit den Worten »Adrian kam nicht an im Leben« erklärt wird. Ein Bekannter engagiert nun Anna als Sprachcoach. Sie soll einem jungen Mann Sprechtraining geben, damit er bis zur schulischen Theaterprüfung sein Nuscheln abstellt. Bei diesem Mann handelt es sich, wie kann es anders sein, um den Straßendieb. Eine reizvolle Aufgabe für die alleinstehende Diva, die fortan mehrmals in der Woche Besuch von dem jungen Mann bekommt. Aus dem Lehrerinnen-Schüler-Verhältnis entwickelt sich bald schon eine Amour-Fou, die dieses ungleiche Paar vollkommen gefangen nimmt.

© Reinhold Vorschneider / Komplizen Film

Der zweite deutsche Film im Wettbewerb der 72. Berlinale neben Andreas Dresens »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush« ist so etwas wie die weibliche Antwort auf den Eröffnungsfilm von François Ozon. Die Story ist der wunderbaren Sophie Rois – an deren Seite Altstar Udo Kier und mit Milan Herms der Volksbühnen-Nachwuchs in ganz unterschiedlichen Rollen glänzen – wie auf den Leib geschrieben. Wenngleich ihre Figur eine Diva wie die des Peter von Kant ist, ist sie die klügere, souveränere und reifere dieser beiden Figuren. Sie gibt sich nicht unnötig der Illusion hin, dass dieses Verhältnis zu dem jungen Mann irgendeine Zukunft hätte. Aber es hat eine Gegenwart und die kostet sie voll aus. Anna schnappt sich den jungen Mann, reist mit ihm nach Cannes und genießt dort unbeschwerte Tage voller Leidenschaft.

Nicolette Krebitz begeisterte zuletzt Kritik und Publikum mit ihrer famosen Geschichte »Wild«, die von einer Liebe zwischen einer Frau und einem Wolf erzählt. Die Berlinerin ist eine viel zu kluge Filmemacherin, um hier nur einfach eine nette oder tragische Liebesgeschichte zu erzählen, die tatsächlich, wie es der Titel verspricht, die Liebe von A wie Anfang bis Z wie Zerrüttung durchdekliniert. Das überlässt sie gelassen den französischen Filmen dieser Berlinale, die wenig überzeugen.

© Reinhold Vorschneider / Komplizen Film

Stattdessen stellt sie ihrer bürgerlichen Diva einen Lausejungen an die Seite, der seine Langfinger nicht in den Griff bekommt und auch sonst nicht vernünftig sein will. Intuitiv spürt er, dass die Unmittelbarkeit seiner Gefühle ausschlaggebend ist. Anna fühlt sich bei ihm lebendig, wie schon lange nicht mehr.

Wer fürchtet, dass diese Geschichte ins Klischee eines Sozialdramas kippt, in dem eine verdiente Schauspielerin einen jungen Mann aus seinem Elend holt, der verkennt sowohl die Kunstfertigkeit der Regisseurin als auch die Vorliebe ihrer Hauptdarstellerin für aberwitzige Rollen. Denn auch Anna hat es faustdick hinter den Ohren, ohne Chuzpe und Dreistigkeit wäre sie wohl auch kaum in der Lage, sich ohne Einkommen weiterhin ihre großzügige Altbauwohnung in Charlottenburg und den täglichen Kelch Champagner in der Bar um die Ecke zu leisten.

© Reinhold Vorschneider / Komplizen Film

Rois spielt diese Frau vertraut kratzbürstig und kühl, entwickelt im Laufe des Films aber mehr und mehr eine faszinierend verletzliche und zarte Seite. Aus dem Off kommentiert sie die eigene Erzählung in wunderbar pointierten Sätzen, die spätestens bei den Szenen in Cannes anspielungsreich auf die Nouvelle Vague verweisen. Udo Kier glänzt in der ungewöhnlich weichen Rolle als Vertrauter und Dandy und Milan Herms beeindruckt in unverschämter Tolpatschigkeit, die er seiner Figur einschreibt.

Nicolette Krebitz beobachtet in ihrem neuen Film einmal mehr eine ungewöhnliche, eine wilde Liebe und gibt einer der besten deutschsprachigen Schauspielerinnen eine große Bühne, die die sexuelle Freiheit der Frau mit verschmitztem Grinsen feiert.