Film

Die unsichtbaren Wunden des Terrors

Noémie Merlant, Nahuel Pérez Biscayart in »Un año, una noche« von Isaki Lacuesta | © 2022 UNA NOCHE LA PELICULA A.I.E – BAMBU PRODUCCIONES, S.L – MR. FIELDS AND FRIENDS CINEMA, S.L – LA TERMITA FILMS, S.L – NOODLES PRODUCTIONS, S.A.R.L

Der spanisch-französische Film »Un Año, Una Noche« begleitet ein Paar, das den Anschlag auf das Bataclan in Paris überlebt hat. Eindrucksvoll und klug komponiert geht der Film der Traumatisierung von Menschen auf den Grund.

Die Menschen, die am 13. November 2015 das Bataclan-Theater besuchten, werden diesen Abend nie vergessen. Mitten im Konzert der amerikanischen Rockband Eagles of Death Metal betraten Islamisten mit Maschinengewehren bewaffnet den Konzertsaal und schossen wild in die Menge. 130 Menschen wurden ermordet, über 350 Menschen verletzt.

Golden glitzert das warm flirrende Licht im Bataclan, mit dem der Film beginnt. Später erfährt man, dass nicht Staub, sondern Schießpulver in der von den Ausdünstungen der Leichen bewegten Luft lag.

Céline und Ramón gehören zu den Überlebenden des islamistischen Anschlags, zu Beginn von Isaki Lacuestas Drama »Un Año, Una Noche« sieht man sie, wie sie mit gold glitzernden Wärmedecken um die Schultern sich gegenseitig stützend durch Paris irren. Busse mit anderen Überlebenden fahren an ihnen vorbei, bevor sie bei ihrer Wohnung ankommen und versuchen, etwas Schlaf zu finden. Als sie am nächsten Tag aufwachen, ist die Welt eine andere. Und auch sie haben sich verändert. Während Céline sich in Arbeit stürzt, wird Ramón von Albträumen und Angstattacken geplagt und nimmt eine Auszeit.

Der Film des spanischen Regisseurs Isaki Lacuesta basiert auf den Aufzeichnungen von Ramón Gonzalez, der den Anschlag auf das Bataclan überlebt hat. Er beobachtet ein Paar dabei, mit den Bildern im Kopf einen Umgang zu finden und sich dabei nicht zu verlieren. Denn schnell wird deutlich, dass dieses Paar keine Sprache findet, um das Erlebte gemeinsam zu verarbeiten. Während Ramón Angst hat, irgendein Detail zu vergessen und ständig darüber reden muss, was er gesehen und erlebt hat, verdrängt Céline konsequent das Erlebte und will nicht darüber reden.

Diese Konstellation sorgt dafür, dass sich das Paar zunehmend entzweit. Im Versuch, irgendwie weiterzuleben, verlieren sie sich Stück für Stück gegenseitig. Denn Ramón will den Anschlag zum Teil seines Lebens machen, ihn akzeptieren und annehmen als etwas, das ihn auf ein neues Gleis setzt. Ganz anders Céline, die diesen Abend am liebsten aus ihrem Leben streichen möchte.

Die Französin Noémie Merlant spielt diese um Selbstkontrolle und Normalität ringende Frau wie schon in Céline Sciammas Drama »Porträt einer jungen Frau in Flammen« mit großer Energie. An ihrer Seite der Argentinier Nahuel Pérez Biscayart, der in Berlin zuletzt an der Seite von Lars Eidinger in »Persischstunden« zu sehen war. Er gibt seiner Figur eine physische Verletzlichkeit, mit der Ramón gegenüber Céline um Anerkennung seines Traumas kämpft.

Lacuestas erzählt diesen Prozess der Auseinandersetzung in Vor- und Rückblenden und bringt so die Bilder in den Köpfen von Ramón und Céline auf die Leinwand. Dabei geht es nicht darum, das Attentat voyeuristisch nachzustellen, wie es Erik Poppe mit seinem Drama »Utøya« vorgeworfen wurde. Der spanische Regisseur will den emotionalen Verlauf des Abends und die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Erinnerungen in seinem Film abbilden. Über Alltagsgeräusche und Lichteffekte werden Erinnerungen wieder hochgeholt, die an die Atmosphäre im Bataclan anschließen.

In dieser Architektur des Films liegt auch seine Qualität, denn die zeitlichen Sprünge zurück und nach vorn lassen keinen Rückschluss darauf zu, was Vorstellung oder Wahrheit ist. Das Ausmaß der Verschiebung der Wirklichkeit wird erst deutlich, als Céline nach Monaten während der Arbeit zusammenbricht. Erstmals redet sie darüber, was sie an dem Abend erlebt und gesehen hat. Wenn es stimmt, was sie da sagt, dann stellt sich die Geschichte von Ramón und Céline in einem anderen Licht dar.

Plötzlich ergeben sich zwei Lesarten dessen, was man bislang über dieses Paar erfahren hat, die beide in sich logisch und psychologisch nachvollziehbar sind. So gibt der spanische Regisseur der Traumatisierung und psychischen Erschütterung eine umwerfende filmische Wirklichkeit.

1 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.