Film

Von Posern und Impostern

Kristoffer Borglis schwarze Komödie »Sick of Myself« geht dahin, wo es weh tut. Seine skurrile Heldin will ihre Mittelmäßigkeit hinter sich lassen und geht dafür radikale Wege. Ein satirischer Genre-Mix, der keine Angst hat, den Body-Horror unserer Zeit im Schaufenster des Kinos bloßzustellen.

»Wenn du erfolgreich sein willst, musst du narzisstisch sein«, erklärt die junge Kellnerin Signe bei einer Party einer Bekannten. Sie selbst sei zum Glück nicht narzisstisch, neben ihrem Freund Thomas gebe es dafür ohnehin keinen Platz. Der bastelt als Künstler gerade an seiner Karriere und greift dabei zu unkonventionellen Methoden. Dreist schleppt er aus exklusiven Einrichtungshäusern wertvolle Möbel, um die dann künstlerisch in Szene zu setzen. Offenbar trifft er damit einen Nerv und wird zum Coverboy der Kunstwelt. Signe passt das gar nicht, auch weil es in ihrer Beziehung an Augenhöhe fehlt.

Ohnehin hat sie die Nase gestrichen voll von ihrer eigenen Mittelmäßigkeit und sucht selbst den Weg auf die Titelseiten. Über einen alten Schulfreund bestellt sie online dubiose Pillen, die Medienberichten zufolge seltsame Hautirritationen auslösen. Nach einigen Wochen tritt der gewünschte Effekt ein und Signe muss mit einem schrecklich entstellten Gesicht ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Ärzte sind ratlos, die Sorge von Signes Freund:innen ist groß. Selbst der so eigensinnige Thomas legt seine Arbeit zur Seite und wendet sich seiner gezeichneten Freundin zu.

Einmal (durchaus auch im wortwörtlichen Sinne) Blut geleckt will Signe mehr. Sie macht weiter, schluckt eine Pille nach der anderen und treibt ihre Selbstzerfleischung munter voran. Medien berichten von ihrem Schicksal und bald schon ist sie eine landesweite Sensation. Da meldet sich eine Agentur für Inklusionsmodelle, die die junge Frau zum It-Girl einer neuen Zeit abseits von Schönheits- und anderen Idealen macht.

Nun ist Signes Zeit gekommen. Wo auch immer sie auftaucht, (über)inszeniert sie sich und ihre Krankheit, in Tagträumen imaginiert sie sich als vom Schicksal geschlagenes Opfer, dem die Herzen zufliegen. Je länger das geht, desto dünner wird das Eis, auf dem sie wandelt, denn im Rampenlicht wird es immer schwieriger, ihr dunkles Geheimnis zu bewahren.

Kristoffer Borgli: Sick of Myself. Mit Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther. 97 Minuten. MFA+. Hier bestellen.

Der norwegische Regisseur Kristoffer Borgli hat mit »Sick of Myself« einen ebenso bissigen wie zeitgemäßen Film auf die blendende Welt von Instagram und Political Correctness gedreht. Kristine Kujath Thorp überzeugt in der Hauptrolle der ebenso notorischen wie egozentrischen Lügnerin, die ohne Skrupel ihre Gesundheit ruiniert, um endlich die Aufmerksamkeit zu bekommen, nach der sie dürstet.

Hinter dem Film, der bei den 75. Filmfestspielen in Cannes zum Kritikerliebling avancierte, stecken die Macher von Joachim Triers erfolgreicher Komödie »Der schlimmste Mensch der Welt«. Borgli nimmt darin mit einer gehörigen Portion schwarzem Humor, was mitunter auch an Ruben Östlunds preisgekrönte Kapitalismussatire »Triangle of Sadness« erinnert, die Oberflächlichkeit der zynischen Gegenwart auf den Kieker und veranschaulicht die selbstzerstörerischen Abgründe, die sich hinter den blendenden Fassaden der Sozialen Medien auftun. »Sick of Myself« ist eine gelungene Satire, die beim Zuschauen weh tut.

Eine kürzere Version des Textes ist zum Kinostart im Rolling Stone erschienen.