Literatur, Roman

Hardware, Software, Notwehr

© Thomas Hummitzsch

In Dietmar Daths neuem Roman »Skyrmionen oder: A Fucking Army« kommt das digitale Zeitalter an sein Ende und eine neue Welt beginnt. Angesichts der autoritären und faschistoiden Techtopien von Peter Thiel, Curtis Yarvin und Co. klingt diese Vision eines Neuanfangs fast vielversprechend.

Mehr als ein dutzend Kinder soll Elon Musk haben, so genau weiß das keiner. Spätestens nach dem skurrilen Auftritt mit seinem vierjährigen Sohn X Æ A-Xii im Oval Office fragt man sich, was aus so einem Kid mal werden soll. Wird Lil X der beklemmenden Mission seines Vaters folgen und uns in die Welt der Cyborgs führen? Oder führt die fehlende Erfahrung von Empathie und Miteinander zu einer Sehnsucht nach Geborgenheit und Wärme?

Dietmar Dath: Skyrmionen oder: A Fucking Army. Matthes & Seitz Berlin 2025. 966 Seiten. 38,- Euro. Hier bestellen https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/skyrmionen.html
Dietmar Dath: Skyrmionen oder: A Fucking Army. Matthes & Seitz Berlin 2025. 966 Seiten. 38,- Euro. Hier bestellen.

Diese Frage hat Dietmar Dath in seinem neuen Pageturner »Skyrmionen oder: A fucking Army« durchgespielt. Die böse Heldin Renate Hofer stammt aus einer Tech-Dynastie. Ihr Vater, der Schweizer Ueli Hofer, hat mit digitalem Zeugs und Data-Kram ein Vermögen gemacht, seine Tochter hat er dabei fast vergessen. Als Kind fällt sie in einen Tank mit Kühlwasser, stundenlang strampelt sie in der mit Neuropeptiden angereicherten Brühe ums Leben. Ihr Bad im Zaubertrank verleiht ihr besondere kognitive Fähigkeiten. Die nutzt sie, um eine Maschine zu bauen, die nicht nur die Welt verändert, sondern auch das Erbe ihres Vaters und eine Stadt namens Berlin unter sich begräbt.

So eine Maschine entsteht nicht nebenher, weshalb Dath etwas tut, was er noch nie getan hat. Er folgt mehr oder weniger konsequent seiner Anti-Heldin aus der fragmentierten Gegenwart, der sogenannten Bruchwelt, in eine mehr oder weniger designte Zukunft, die hier Stetwelt genannt wird. Die Handlung führt sprunghaft aus der Schweiz nach Amerika und China bis auf den Mond und zurück, Krieg der Welten inklusive. Um sich gegen die dekadenten Kräfte der autoritär-geldgeilen Tech-Giganten durchzusetzen, braucht Renate Hofer neben Folter, Mord und Totschlag eben auch jene »fucking army«, von der im Titel die Rede ist. Derlei Widerstände und Störungen bilden die grausamen Schatten in diesem sich immer wieder selbst überschlagenden Prosagebilde.

Die Abgründe des Digitalen und der Horror der künstlichen Intelligenz sind in der Erzählung allgegenwärtig, aber darum geht es Dath nicht. Im Zentrum seines opulenten und wild durch Geschichte, Philosophie, Wissenschaft und Spieltheorie mäandernden Romans steht die Frage, wer wir Menschen im Schatten der digitalen Revolution eigentlich sind, sein wollen und sein können. Es geht um das soziale Miteinander, um Kommunikation und alles, was sich um dieses Problemfeld anordnet. Oder um es mit Hanno Rautenberg zu formulieren, der angesichts einer Ausstellung der Künstlerin Laura Prouvost unlängst über die besonders zufälligen Zufälle von Quantencomputern nachdachte und fragte: »Warum bitte schön sollten wir es den Teilchen nicht gleich tun? Uns frei fühlen, ungebunden sein, unbeeindruckt von der immerzu dräuenden Weltlage und sonstigen Unannehmlichkeiten?«

Ja, warum eigentlich nicht und »Skyrmionen« geht dem theoriegesättigt und assoziativ auf den Grund. Aber »ein Erzähltext ist kein Beweis, oder? Ist das Leben einer? Ist das Leben eher Beweis oder eher Erzählung?« Mit solchen Kaskaden bringt der deutsche SciFi-Papst nicht nur seine jüngste Dathenflut zum Kochen, sondern unterläuft auch ständig die eigene Erzählung.

Geschriebenes aus dem Dietmarvers

Wenn Sprache tatsächlich Wirklichkeit schafft, was ist dann noch die Welt? Diese Frage spielte schon bei »Gentzen oder: Betrunken aufräumen« und anderen Werken aus Daths Schreibwerkstatt eine Rolle. Nun wabern deren Gedanken und Theorien subkutan in diesen Roman hinein – von den Pseudomenschen aus seinem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman »Die Abschaffung der Arten« über die ebenso wilden wie pessimistischen Perspektiven auf politische Ideologien und (quasi)religiöse Glaubensregime bis hin zum Abgesang auf die Menschheit, den er beispielsweise in »Venus siegt« gehalten hat.

»Pessimismus ist Unterwerfung, Optimismus ist Idiotie«, legt der Autor seiner Hauptfigur immer wieder in den Mund. Dazwischen tobt das Leben. Daths neue Anti-Dystopie ist ein ebenso herausfordernder wie überwältigender Schlüsselroman, der Fans mit unzähligen Verweisen unterhält und Neulingen den perfekten Einstieg ins Dietmarvers bietet. Grammatiken natürlicher Sprachen spielen dabei eine ebenso große Rolle wie die Strukturen von Computercode oder Large Language Models. Sie sind der Ausgangspunkt von sich überlagernden Gedanken über die kapitalistischen Macht- und Produktionsverhältnisse, Sexualität und Gewalt, Wissenschaft und Idiotie, Schreiben, Sprechen, Wissen und Meinen sowie über Leben, Sterben und die Unendlichkeit. Das mündet mal in plottgetriebenen Dialogen, dann wieder in quasi-wissenschaftlichen Essays über die Möglichkeiten und Grenzen von Physik, Mathematik oder Logik.

Wie meist ist das keine einfache Lektüre, aber eine, die sich lohnt, wenn man sich auf den Sog der Geschichte ein- und vom Ehrgeiz, alles zu verstehen, ablässt. Seit nunmehr dreißig Jahren konfrontiert sich Dath mit der Gegenwart und ihren Versprechen, um im Sturm der Meldungen eine kritische Haltung zu bewahren. Sein Erzählen verläuft wie ein Möbiusband, alles ist Innen und Außen zugleich. So schafft er Welten, die realistisch und spekulativ zugleich sind. Er verwickelt die Wirklichkeit mit der Fiktion, ohne dass man sie noch voneinander trennen kann. Wenn es einen gibt, dem man zutraut, mit der Geschwindigkeit und dem Scope von ChatGPT Schritt zu halten, dann Dietmar Dath.

Im Spielfeld der Physik hat das Skyrmion seinen Auftritt. Dabei handelt es sich um ein physikalisches Modell für »Wirbel in Material, das kein Material ist, sondern Nicht-Material«, wie es im Roman heißt. Dieses magnetische Modell ist mit der Kernphysik obsolet geworden, als potentielles Speichermedium ist das Skyrmion aber wieder in aller Munde. Die Theorie ist tot, es lebe die Praxis. So läuft das oft in Daths Universum, dem das Weltwissen der science-fiktionalen »Niegeschichte« zugrunde liegt. Er gießt die Welt mit all ihren paradoxen physikalischen Phänomenen und besonders zufälligen Zufällen, die keiner erklären kann, in seine anspielungsreichen Erzählungen, deren Figuren mit den Folgen dieser fatalen Wirbel zurechtkommen müssen.

Neben der visionären Multimilliardärin und »Magnetin« Renate Hofer, an der sich die Wirbel dieser Romanwelt entfalten, sind das hier vor allem ein geheimnisvoller Afroamerikaner, Hofers eigensinnige Kinder und ein traumatisierter Skeptiker, der Sprache für eine Idiotie hält und energisch gegen Hofers Maschine zu Felde zieht. Dazu kommen alte Bekannte wie die Dichterin Cordula Späth oder Daths Alter Ego sowie zahlreiche sphärische Wesen und Klon-Figuren, die als »Diffpersonae« in der Maschinenzukunft mit ihren Originalen die Potenziale für ein besseres Leben jenseits der tollen Technik heben.

»Skyrmionen oder: A Fucking Army« endet für Dath-Verhältnisse ungewöhnlich versöhnlich. Glaubt da also noch jemand an die Menschheit? »Lies nicht buchstäblich«, warnt einer der Hofer-Sidekicks im Buch. Und »lass dich nicht von deiner Perspektive verführen«. Oder anders gesagt: »Wenn die Lebenszusammenhänge der Menschen verblöden, liegt’s nicht an den Maschinen, mit denen diese Zusammenhänge produziert und reproduziert werden.« Einen radikaleren Roman zur digitalen Gegenwart wird man in diesem Jahr nicht mehr in die Hand bekommen.

Eine kürzere Version des Beitrags ist im Rolling Stone 5/2025 erschienen.

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