Comic

Relativ kafkaesk

© Thomas Hummitzsch

Nachdem der New Yorker Cartoonist über Hannah Arendt philosophiert hat, nimmt er sich nun Albert Einstein vor. In Prag lässt er ihn nicht nur an seiner Relativitätstheorie feilen, sondern auch auf einen berühmten Sohn der Stadt treffen.

Ken Krimstein hat keine Angst davor, Ikonen vom Sockel zu stürzen. Das hat er schon in seinem bemerkenswerten Comic »Die drei Leben der Hannah Arendt« bewiesen, in dem er das bewegte (Liebes-)Leben und facettenreiche Denken der deutsch-jüdischen Theoretikerin ins Bild setzte. Auf fast 250 Seiten ließ er dort Arendt über ihr Leben sprechen, zum Teil im gedoppelten Selbstdialog, zum Teil als biografische Nacherzählung. Beeindruckend war vor allem, wie tief er sich in das Leben seiner Figur eingearbeitet hat.

Ken Krimstein: Einstein in Kafkaland. Aus dem Amerikanischen von Nadine Püschel. Kjona Verlag 2025. 224 Seiten. 25,- Euro. Hier bestellen https://www.kjona.eco/products/ken-krimstein-einstein-in-kafkaland?
Ken Krimstein: Einstein in Kafkaland. Aus dem Amerikanischen von Nadine Püschel. Kjona Verlag 2025. 224 Seiten. 25,- Euro. Hier bestellen.

Diese Gründlichkeit in der Recherche gilt auch für seinen neuen Comic »Einstein in Kafkaland«, eine überaus kluge und unterhaltsame Fiktion einer möglichen Begegnung von Albert Einstein und Franz Kafka in Prag. Beide sind noch weit von ihrem Ruhm entfernt, Einstein malocht als Patentprüfer und Kafka langweilt sich in den Räumen der Böhmischen Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt. Auf der Basis von Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und anderen Quellen rekonstruiert Krimstein echte Ereignisse, nur um sie zu dieser unerhört atemberaubenden Fantasie neu anzuordnen. So sieht man im vielfachen Sinne einer Welt im Werden zu.

Im April 1911 zieht Albert Einstein mit seiner Frau, der Mathematikerin und Physikerin Mileva Marić, und den beiden Söhnen von Zürich nach Prag, wo er eine Stelle als ordentlicher Professor für theoretische Physik in der heutigen Karls-Universität antreten wird. Etwas mehr als ein Jahr wird er in der Stadt leben und forschen, hier wird er die wichtigsten Schlussfolgerungen für die Relativitätstheorie treffen. Von der ist es dann nur noch ein Katzensprung zur relativen Wahrscheinlichkeit dieser Erzählung.

Ken Krimstein: Die drei Leben der Hannah Arendt. Aus dem Amerikanischen von Hanns Zischler. dtv Verlag 2019. 244 Seiten. 20,- Euro. Hier bestellen https://www.dtv.de/buch/die-drei-leben-der-hannah-arendt-28208
Ken Krimstein: Die drei Leben der Hannah Arendt. Aus dem Amerikanischen von Hanns Zischler. dtv Verlag 2019. 244 Seiten. 20,- Euro. Hier bestellen.

Die Ereignisse, die zwischen Einsteins Ankunft in Prag und seiner erneuten Abreise liegen, stehen im Mittelpunkt dieses unterhaltsamen Comics, das von Nadine Püschel in ein Deutsch mit Wortwitz und spielerischer Leichtigkeit übertragen wurde. Den Reiz dieser Geschichte macht der Umstand aus, dass Albert Einstein und Franz Kafka zur selben Zeit in Prag lebten und sich zum Teil in ähnlichen Kreisen bewegten.

Der amerikanische Cartoonist, der bei dem renommierten Magazin The New Yorker arbeitet, lässt sie in einem Salon aufeinandertreffen und in imaginierten Gesprächen über die Wahrheit sinnieren. Was sie sich dabei zu sagen gehabt hätten, darüber spekuliert Krimstein in dieser Geschichte. Dabei geht es vor allem um die Wahrheit hinter den Dingen und Worten, schließlich suchten beide in ihren jeweiligen Disziplinen Zeit ihres Lebens nach der Wirklichkeit.

Wer in dem Band eine nachgereichte Kafka-Lektüre zum Kafka-Jubiläum im letzten Jahr vermutet, irrt. Denn insgesamt bleibt der Comic näher an Einstein als an Kafka dran, wenngleich so manch kafkaesker Moment auch die Biografie des Literaten aufscheinen lässt. Während Einstein geistig durch das Universum schwimmt, geht Kafka etwa mit seinem Freund Max Brod baden. Einstein wiederum philosophiert nicht nur mit Kafka, sondern auch mit seinem Freund Paul Ehrenfest oder seinem Widersacher Max Abraham. Am besten ist der Comic aber dann, wenn Einstein seine komplexen Fragen mit seiner Familie diskutiert und auf das einfachste herunterbricht.

»Einstein in Kafkaland« ist eine spielerische Annäherung an zwei Genies und ihren Blick auf die Welt. In Krimsteins Aquarellzeichnungen fließen die echte und die fiktive Welt ineinander. Ein viel genialerer Schachzug, als man auf den ersten Blick meint, denn so wird auch grafisch die Relativität der Wirklichkeit für das Auge erfassbar. Oder um es mit Herakles zu sagen: panta rhei, alles fließt.