Comic

Großes Kopfkino

© Thomas Hummitzsch

Am 25. Juli werden auf der San Diego Comic Con die renommierten Eisner Awards vergeben. Der Wahl-Berliner Olivier Schrauwen kann sich Hoffnungen auf drei Comic-Oscars machen. Sein nominiertes Album »Sonntag« ist eine faszinierende Reise in den Kopf eines Mannes, der auf seine Fernbeziehung wartet.

Kaum eine Szene ist international so vernetzt wie die der Neunten Kunst, dennoch ist es keine Selbstverständlichkeit, wenn sich europäische Künstler:innen auf dem nordamerikanischen Comicmarkt durchsetzen. Der Wahl-Berliner Olivier Schrauwen ist aktuell einer der vielversprechendsten Künstler, der sich anschickt, auch auf der anderen Seite des Atlantiks Erfolge zu feiern. Sein grafisch spektakulärer Comic »Sonntag« wurde nicht nur von der New York Times und der Washington Post zu einer der besten Graphic Novels des letzten Jahres gekürt, sondern kann sich noch Hoffnungen auf gleich drei Auszeichnungen bei den renommierten Eisner-Awards, den so genannten Comic-Oscars, machen.

Olivier Schrauwen: Sonntag. Aus dem Englischen von Christoph Schuler. Edition Moderne 2025. 472 Seiten. 45,- Euro. Hier bestellen https://www.editionmoderne.ch/buch/sonntag/
Olivier Schrauwen: Sonntag. Aus dem Englischen von Christoph Schuler. Edition Moderne 2025. 472 Seiten. 45,- Euro. Hier bestellen.

In dem Album erzählt er in spektakulärer Grafik von einem ganz normalen Sonntag im Leben eines Allerweltstypen. Tatsächliche Ereignisse kollidieren dabei mit imaginären Ausflügen, persönliche Gedanken mit dem Weltenlauf. »Sonntag«, in der Übersetzung von Christoph Schuler erschienen, ist ein sensationelles Album, spielerisch, überraschend, komisch und tragisch in einem. Es ist ein wilder Psychotrip, den Schrauwen als sequentielles Daumenkino in den Kopf eines ganz normalen Menschen angelegt hat.

Auszug aus »Sonntag« von Olivier Schrauwen

Das Vorbild für jenen Thibault, dessen Gedankenwelt der in Belgien geborene Künstler auf den Grund geht, ist Schrauwens Cousin. Er bleibt also in der Familiengeschichte, nachdem er mit »Arsène Schrauwen« die kafkaeske Afrikareise seines Großvaters spektakulär ins Bild gesetzt hatte. Thibault nun verbringt mit Mitte 30 einen ganz normalen Sonntag verbringt und am Abend die Rückkehr seiner Freundin erwartet. Wie Marcel Proust, James Joyce oder David Foster Wallace in ihren Werken den Innenwelten ihrer Figuren auf den Grund gehen, folgt Schrauwen in sensationellen Bildern, die mitunter an so manchen Klassiker der neunten Kunst erinnern, dem stream of consciousness seines Antihelden. Der kommt im Laufe des Tages von Hölzchen auf Stöckchen, sinniert über Nachbarn und Freunden wie über die lokale Tierwelt. Schrauwen betreibt hier nichts weniger als Weltenbau, im wahrsten Sinne des Wortes.

Und während er sich die Zeit mit Nichtstun totschlägt, entwickelt er ein geradezu paranoides Misstrauen gegenüber seiner Beziehung, während sich seine Partnerin Migali gerade auf dem Rückweg aus Gambia befindet. Die Medien, denen er sich im Laufe des Tages hingibt, lenken mal davon ab, an anderer Stelle befeuern sie die Neurosen von Schrauwens Helden. Alkohol und Drogen tragen nicht unwesentlich dazu bei.

Auszug aus »Sonntag« von Olivier Schrauwen

Das fast 500 Seiten zählende Album ist in den Kategorien Best Graphic Album (u.a. neben den amerikanischen Ausgaben von Charles Burns »Daidalos«-Epos und Emil Ferris »Am liebsten mag ich Monster 2«) und Best U.S. Edition Of International Material (u.a. neben den amerikanischen Ausgaben von Paco Rocas »Rückkehr nach Eden« und Sole Oteros »Naphtalin«) nominiert, Schrauwen konkurriert mit Charles Burns, Emil Ferris, John Macy, Paco Roca und Maria Sweeney um den Eisner Award als Best Writer/Artist.

Schrauwens Konkurrenz bei den Eisner-Awards in deutscher Übersetzung

Schlecht stehen seine Chancen nicht, zumindest diesen Titel abzuräumen. Wie schon in seinen vorangegangenen Alben überzeigt Schrauwen mit seiner stilistischen Herangehensweise, die Ansätze aus verschiedenen Kunstrichtungen miteinander verbindet. Sechs Jahre hat er an dem Comic gearbeitet, vorab wurden die einzelnen Episoden im Risographendruck als Kunstcomic bei Colorama publiziert. Diese Technik beschränkt die Farbpalette im Wesentlichen auf zwei Farben, Schrauwen spielt damit auf höchstem Niveau. Dem meist in Rot- und Blautönen gehaltenem Album fügt er über die Ausführung der Zeichnungen und den Farbauftrag eine weitere Dimension hinzu.

Titelseiten der Colorama-Kunstdruck-Ausgaben

»Erinnerungen werden in einer helleren Farbe dargestellt. Hypothetische Darstellungen werden in einfachen, etwas naiven Strichzeichnungen entworfen«, schreibt er in der Einleitung. So führt er die Leser:innen nicht nur tief hinein in die Gedankenwelt seines Antihelden, sondern in den elementaren Entstehungsprozess gedanklicher Abläufe, wenn sich Erinnerungen, Assoziationen und Spekulationen zu Ideen fügen oder als Hirngespinsten in die Abgründe der Seele führen.