Politik, Sachbuch

Unter Verdacht

Der amerikanische Pflichtverteidiger Steven T. Wax schildert, wie die Bush-Regierung unter dem Deckmantel des Antiterrorkampfes mit unschuldig Verdächtigen umgeht. Nahezu lückenlos dokumentiert er das zunehmende Aufbäumen der amerikanischen Justiz gegen die eigene Regierung.

Es ist nicht nur ein Anzeichen der Komplexität der amerikanischen Rechtsprechung in Zeiten des Antiterrorkampfes, dass der Strafverteidiger Steven T. Wax für die Darstellung seiner Erfahrungen insgesamt 500 Seiten benötigt. Es ist auch ein Signal fehlender Beschränkung angesichts zweier aufregender Geschichten. Der Pflichtverteidiger für das US-Bundesgericht schildert in seiner Streitschrift Kafka in Amerika das Schicksal von zwei Mandanten, die, obwohl sie nachweislich unschuldig und inzwischen wieder in Freiheit sind, plötzlich zu vermeintlichen Terroristen wurden.

Der US-amerikanische Rechtsanwalt Brandon Mayfield geriet in Terrorverdacht, weil nach den Madrider Bombenanschlägen im März 2004 angeblich seine Fingerabdrücke auf einem Müllbeutel mit Sprengstoff gefunden wurden. Obwohl zahlreiche Indizien für Mayfield sprachen, wurde er auf Basis der Antiterrorgesetze erst überwacht und schließlich inhaftiert. Der Sudanese Adel Hamad wurde sogar völlig ohne Grund zum potentiellen Terroristen abgestempelt. Eines Morgens wurde der Mitarbeiter einer saudischen Hilfsorganisation von Sicherheitskräften aus seiner Wohnung in Afghanistan entführt und als Outlaw nach Guantanamo verschleppt. Mehr als vier Jahre wurde er dort grundlos gefangen gehalten.

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Steven T. Wax: Kafka in Amerika. Wie der Krieg gegen den Terror Bürgerrechte bedroht. Aus dem Englischen von Werner Roller. Hamburger Edition 2009. 496 Seiten. 29,90 Euro. Hier bestellen

In der Dokumentation der rechtlichen Vertretung dieser beiden Männer beschreibt Wax eindrucksvoll, in welch surrealer Situation sich seine Mandanten, stellvertretend für viele andere, befunden haben. Ohne genaue Kenntnisse, warum sie eigentlich inhaftiert wurden, sahen sie sich mit Vorwürfen und vermeintlichen Beweisstücken konfrontiert, deren Herkunft sie sich nicht erklären konnten. Diese kafkaeske Situation ermöglichte nur die amerikanische Antiterrorgesetzgebung und die enorme Einflussnahme der Bush-Administration auf die amerikanische Rechtsprechung, meint Wax. Kleinteilig nimmt er diese auseinander und erläutert deren rechtliche Folgewirkungen. Indem er diese historisch einordnet, gelingt ihm zugleich ein Parforceritt durch die amerikanische Rechtsgeschichte.

Der Strafverteidiger belässt es aber nicht dabei, die Antiterrormaßnahmen seiner Regierung zu beklagen. Nahezu lückenlos dokumentiert er das zunehmende Aufbäumen der amerikanischen Justiz gegen die eigene Regierung.

Dabei verliert er jedoch des Öfteren die Kontrolle über seine Schrift. Seine Ausführungen ziehen sich durch private Anekdoten sowie nahezu fachwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit einzelnen Rechtsfragen unnötig in die Länge. Die weitreichenden legislativen Veränderungen Barack Obamas, von denen auch seine Mandanten profitiert hätten, sind hingegen nur in einem knappen Nachwort berücksichtigt.

Dennoch ist Kafka in Amerika ein lesenswertes Buch. Es ist ein mitunter sehr persönliches Dokument unbeugsamer Menschlichkeit in Zeiten staatlicher Paranoia. Es macht das verheerende Ausmaß und die individuellen Folgen der amerikanischen Antiterrorpolitik greifbar und ruft den Wert eines funktionierenden Rechtsstaats in Erinnerung.

Dieser Beitrag erschien in der Wochenendausgabe der taz – die tageszeitung vom 2.10.2009