Film

Raus aus der Wüste

Filmstill aus »Raving Iran« von Susanne Regina Meures | Foto: Susanna Regina Meures

Arash und Anoush machen Musik, die dem iranischen Regime nicht gefällt. Der Film »Raving Iran« erzählt von ihrem Leben im Untergrund und ihrer Flucht nach Europa.

Dass Menschen vor Krieg, Hunger und Verfolgung fliehen, ist kein Geheimnis. Dass es in der arabischen Welt Regime gibt, die Menschen verfolgen, weil sie Musik machen, schon. Der Film Raving Iran legt Zeugnis davon ab, denn er erzählt die Geschichte der beiden DJs »Blade & Beard«, die seit zwei Jahren in der Schweiz leben und vor kurzem ihre Aufenthaltspapiere erhalten haben.

Aber springen wir ein paar Jahre zurück, mitten hinein in den Film der jungen deutschen Regisseurin Susanne Regina Meures. Zu sehen ist ein breites Wüstenpanorama, dann der Zoom auf etwa zwei dutzend müde Hipster, die müde unter der heißen Sonne Irans dösen. Bierflaschen und technisches Equipment stehen verloren im Wüstensand, manch einer verkriecht sich in den Schatten der Lautsprecherboxen. Vor wenigen Stunden tanzten sie alle noch vor der romantischen Kulisse der kargen Wüstenlandschaft wild zu den wummernden Bässen des Duos. Jetzt ist die Party vorbei, eine schweißige Katerstimmung macht sich breit.

Wer im Iran elektronische Musik hören will, wird in die Wüste geschickt – so muss man diese Bilder verstehen. Sie erzählt darin die Geschichte des 26-jährigen Anoosh und seines zwei Jahre älteren Freundes Arash, die nichts weiter machen wollen als das, was ihnen am Herzen liegt: Musik. Doch westliche Musik ist im Iran grundsätzlich verboten, »es drohen Haftstrafen für alle, die damit irgendwie in Kontakt kommen«, erklärt Anoosh via Skype. Der jüngere der beiden DJs spricht mehr als der ältere, sein Englisch sei besser, erklärt die Agentur. Er scheint aber auch grundsätzlich der offenere der beiden zu sein. »Vor allem Musik, die zum Tanzen ausgelegt ist, ist den Behörden zuwider«, ergänzt er. »Denn sie gibt den Menschen ein Gefühl, einen Groove, vor dem sich die Regierung fürchtet. Sie mag den Lifestyle nicht, das Gefühl der Freiheit, das damit verbunden ist.« Deshalb agieren die beiden jungen Männer im Untergrund. Sie feiern illegale Partys in der Wüste, produzieren ihre Musik abseits der offiziellen Kanäle und bewerben sich heimlich bei Festivals im Ausland. Als eine Einladung aus der Schweiz ins Haus flattert, stehen sie vor eine großen Entscheidung.

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Der Film wühlt auf, denn er wirft das kolportierte Bild einer sich liberalisierenden iranischen Gesellschaft über Bord. Zwar ist man als Zuschauer auch Gast auf einer der so angesagten Privatpartys in Teheran, die meiste Zeit aber wird man zum Beobachter einer in ständiger Angst gefangenen Gesellschaft, die kafkaeske Züge aufweist. Als die beiden DJs etwa versuchen, eine Kompilation ihrer Musik ins Ausland zu schicken, verlangt der Postbeamte eine Genehmigung des Kulturministeriums. Dort wird das Ansinnen der beiden jungen Männer abgelehnt, noch bevor es überhaupt um die (ohnehin verbotene) Musik geht. Denn das selbstgestaltete Cover ihrer CD verstößt gegen zahlreiche Vorschriften der islamischen Republik. »No Make-Up! No Women! No western signs! No naked skin!«, erklärt ihnen der erboste Beamte mit drohendem Zeigefinger. Jede Nachfrage, die sie stellen, um zu verstehen, was sie anders machen müssten, bringt ihn mehr in Rage. Schließlich ziehen sich die beiden DJs zurück, um sich einer möglichen Verhaftung zu entziehen. Bei der Post versuchen sie es einfach nochmal ohne Genehmigung, mit ein bisschen Bakschisch klappt das dann auch.

Nichts von dieser Szene ist gestellt, Meures Abschlussfilm für ihr Studium an der Zürcher Hochschule der Künste arbeitet mit Material, das es eigentlich nicht geben darf. Sie sind ohne Genehmigung entstanden und aus dem Land geschmuggelt worden. Nicht wenige davon haben ihre Protagonisten selbst gemacht, mit dem Handy gemacht. »Es war wirklich gefährlich«, erinnert sich der zurückhaltende Arash. »Ich trug mein iPhone mit laufender Kamera in der Brusttasche vom T-Shirt und musste mich entsprechend vorsichtig bewegen, um einerseits nichts zu verwackeln und um uns andererseits nicht zu verraten.« Entsprechend beklemmend sind die unmittelbaren Aufnahmen, gewissermaßen kriecht den Zuschauer eine embedded angst an.

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Was auch immer das Duo »Blade & Beard« unternimmt, um voranzukommen, ständig lauert die Gefahr, aufzufliegen oder an die Behörden verraten zu werden. In halbdunklen Zimmern und leeren Straßenkaffees treffen sie sich mit Mittelsmännern, um die nächste Party, den Andruck der neuen CD oder die Grafik des CD-Covers zu organisieren. Als sie auf der Suche nach Verkaufsstellen für ihre Musik sind, klappern sie im Schutz der Dunkelheit Musikshops, Technikläden und Cafés ab, in der Hoffnung, irgendwo ein paar CDs hinterlegen zu können. Veranstalter und Gäste einer aufgelösten Party finden sich schon mal in einer Zelle mit Schwerverbrechern und Mördern wieder, der Willkür der Untersuchungsrichter ausgeliefert. »Will man selbst Musik produzieren und an die Leute bringen, ist man ganz auf sich allein gestellt. Und man muss sich gut überlegen, ob man das Risiko eingehen will. Musik zu produzieren ist verboten. Sie zu promoten oder zu verkaufen ist verboten.«

Dass es zu dem romantischen Wüsten-Rave im Film überhaupt kommt, ist tatsächlich ein Wunder. »Man muss mit allem vorsichtig sein. Wenn irgendjemand, der es nicht wissen sollte, einen Wink davon erfährt, dann gibt es keine Party mehr. Ganz im Gegenteil, dann drohen drastische Strafen. Wir haben deshalb angefangen, nur unsere engsten Freunde einzuladen, die dann wiederum ihre engsten Freunde eingeladen haben, denen sie einhundertprozentig vertrauen konnten. Am Ende waren es dann vierzig bis einhundert Leute, die uns zugesagt haben und für die wir dann alles inklusive Notstromaggregat in die Wüste transportiert haben.«

Die allgegenwärtige Paranoia erinnert an Mani Haghighis grandiosen Film A Dragon Arrives, der bei der diesjährigen Berlinale lief. Die Mischung aus der Leichtigkeit des Absurden und des Gewichts der realen Bedrohung weißt aber auch Parallelen zu Jafar Panahis halbdokumentarischem Kino auf. Kein Wunder, dass Meures Studienabschlussfilm (HDK Zürich) zunächst beim Dok-Film-Festival in Nyon und seither auch bei zahlreichen anderen Festivals ausgezeichnet wurde.

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Schon lange hätten sie darüber nachgedacht, ins Ausland zu gehen, erklärt Anoosh in der Videokonferenz. Sie hätten an Australien oder London gedacht, die Schweiz hatten sie nie im Sinn. Doch die Organisatoren der Street Parade in Zürich seien die einzigen gewesen, die auf ihre CD reagiert hätten. Der Einladung folgte die nächste Runde Klinkenputzen bei den Behörden, um eine Ausreisegenehmigung für einen Auftritt zu bekommen, der im Iran verboten ist. In der Schweiz werden sie als Scoop von einer Radioshow zur nächsten weitergereicht. »Uns hat das total unsicher und nervös gemacht, weil alles gegen uns oder unsere Familien verwendet werden konnte«, erinnert sich Anoosh. Zugleich sorgt die Unsicherheit, ob sie bleiben und Asyl beantragen oder zurückfliegen sollten, für Spannungen.

Meures Film erzählt von diesem Dasein im Ausnahmezustand, der mit der Flucht in die Schweiz nicht ein Ende, sondern nur eine andere Gestalt gefunden hat. »Wir wollten anderen Menschen weltweit einfach nur zeigen, was es für normale Leute wir uns heißt, im Iran zu leben. Was es heißt, wenn man das machen will, was man liebt – und wenn es so etwas Simples ist wie Musik. Dabei kann sich jeder selbst ein Bild vom Iran machen, in dem so etwas harmloses wie Musik als Bedrohung gilt«, erklärt Anoosh.

Für die beiden Iraner soll es jetzt aufwärts gehen. Sie planen eine neue EP und suchen eine Agentur, die sie dabei unterstützt, weitere Gigs zu bekommen. Einer steht schon, im Januar 2017 beim CTM-Festival in Berlin. Das Leben mit und für die Musik ohne die Angst im Nacken kann nun kommen.