Gesellschaft, Politik, Sachbuch

Das miese Geschäft der Humanitären

Bilder von ausgemergelten Kindern mit aufgeblähten Bäuchen haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Sie werden sofort abgerufen, geht es um humanitäre Hilfe. Sie öffnen Herzen und Portemonnaies. Dies macht sich eine Branche zu nutzen, die die niederländische Journalistin Linda Polman als »Mitleidsindustrie« bezeichnet.

Grundsätzlich nehmen wir an, dass humanitäre Organisationen in den Krisengebieten dieser Welt notleidenden Menschen helfen wollen. Doch wir erliegen einem Irrtum, wie Polman in ihrem gleichnamigen Buch schreibt. Darin zeigt sie, wie Warlords mit Hilfslieferungen ihre Kriegsgeschäfte fortsetzen und Staaten die eigene Infrastruktur teuer an Hilfsorganisationen vermieten. Man könnte meinen, die Helfer würden am Helfen gehindert, doch weit gefehlt. Sie nehmen dies und Schlimmeres stillschweigend hin, weil sie sich in einem »Vertragsfieber« befinden, das jede Ethik vermissen lässt. Um die lukrativsten Aufträge nicht zu verlieren, verkaufen sie sich an skrupellose Regierungen und gewalttätige Milizen.

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Linda Polman: Die Mitleidsindustrie. Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen. Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg. Campus-Verlag 2010. 264 Seiten. 19,90 Euro. Hier bestellen

Polmans Wissen schöpft sich aus ihren langjährigen Erfahrungen als Korrespondentin in zahlreichen Konfliktgebieten. Dabei hat sie auch erlebt, wie religiöse Splittergruppen unter dem humanitären Deckmantel Missionsarbeit betreiben. Insbesondere die amerikanischen evangelikalen Bewegungen und Sekten wie Scientology haben in der humanitären Hilfe eine neue Form des religiösen Kolonialismus entdeckt. Babtisten, Pfingstgemeinden und Wiedererweckungskirchen geben sich in den Krisenländern die Klinke in die Hand. Meist ohne Qualifikation und Sachkenntnis machen sich diese selbsternannten Helfer auf den Weg, um in Gottes Namen »Hoffnung« zu verbreiten – die Ergebnisse sind fatal.

Humanitären Helfern geht es nicht um nachhaltige Hilfe, denn sie leben vom menschlichen Leid, das die Spendenmaschine am Laufen hält. Und wer sägt schon gern am Ast, auf dem er sitzt? Polmans Buch ist ein klassischer Fall des modernen Enthüllungsjournalismus, der viele empörende Fakten sachlich zu einem Bild verdichtet, welches den Leser in Rage versetzt. Zugleich ist Die Mitleidsindustrie ein provozierendes Schwarzbuch der humanitären Hilfe, das eine längst überfällige Diskussion anstößt.

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