Film

Berlinale eröffnet politisch

Etienne Comars Biopic über den Jazz-Pionier und Sinti Django Reinhardt ist eine solide inszenierte Musikergeschichte, die vor allem als politischer Appell in einem nach rechts rückenden Europa überzeugt.

Weder Blues- noch Molltöne, keine Synkopen, ein Solo darf nicht länger als fünf Sekunden dauern und wer mit dem Fuß im Takt wippt, ist ein toter Mann. Das ist die Ansage, die Django Reinhardt und seine Band bekommt, bevor sie vor einer Versammlung hochrangiger Nazis spielen sollen. Wer jemals die Musik des französischen Jazz-Pioniers gehört hat, weiß, dass diese Vorgaben einem Spielverbot gleichkommen. Doch Reinhard und Band spielen und die Masse der kriegsmüden Nazischergen lässt sich mitreißen von der Musik, die natürlich die Verbote ignoriert. Denn Reinhardt schert sich im nichts, weder um Bitten noch um Drohungen, wenn es um seine Musik geht. Als sich unter den Klängen die ach so deutsche Disziplin und Ordnung auflösen, schreitet der Nazigastgeber ein und beendet das bunte Treiben abrupt. Von diesem Moment an steht das Leben der Musiker auf Messers Schneide.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Handlung von Etienne Comars Regiedebüt, das die 67. Berliner Filmfestspiele am Donnerstagabend eröffnet hat, schon weit fortgeschritten. Der Gipsy-King des Jazz Django Reinhardt, nonchalant gespielt von Reda Kateb (Die schönen Tage von Aranjuez) ist bereits mit seiner schwangeren Frau Naguine (Beata Palya) und seiner resoluten Mutter Negros (Bim Bam Merstein) aus Paris an die Schweizer Grenze geflohen und wartet auf die Chance, sich und seine Familie über die Grenze zu bringen. Denn inzwischen hat er erkannt, dass Hitler mehr als ein Clown mit einem miesen Schnurrbart ist und die Existenz seiner Familie und Freunde auf dem Spiel steht. Reinhardts Bandmitglieder hat es nebst Familien längst in alle Winde zerstreut und seine geheimnisvolle On-Off-Geliebte Louise (Cécile de France) muss ein schmieriges Arrangement mit einem Hitler-Diener eingehen, um den Krieg zu überstehen.

© Roger Arpajou

Dass Django nicht einfach nur ein großartig in Szene gesetzter Musikfilm, sondern auch ein Vermächtnis an die lebensfrohe Sinti-Kultur sein will, wird schon in den ersten Szenen deutlich. Da sitzt eine Gruppe Zigeuner in einem verschneiten Wald um ein Lagerfeuer und musiziert. Ein bärtiger Blinder leiht den mitreißenden Klängen seine kräftige Stimme. Als Kind, so erfahren die Zuschauer später, lauschte Django Reinhardt diesem Mann oft stundenlang. Er wird nie wieder die Möglichkeit haben, denn der blinde Sänger wird in diesem Wald mit einer Kugel in der Stirn sterben. Das Zigeunerlager wird von deutschen Soldaten überfallen.

Es folgt ein harter Schnitt und die Erzählung trägt die Zuschauer in die lebendige Musikszene von Pigalle. Dort tritt das legendäre »Quintett du Hot Club de France« auf und bringt mit seinen mitreißenden Rhythmen das kriegsmüde französische Publikum zum tanzen. Wie dabei der virtuose Umgang der Musiker mit ihren Instrumenten abgebildet wird, lässt jedes Expertenherz höherschlagen. Dem deutschen Vertreter in Paris, der dem Konzert ebenfalls beiwohnt, gefällt die »Negermusik« der Band gar nicht. Deshalb macht er dem Zigeunerkönig unter den Jazzmusikern vorgaben für dessen anstehende Deutschlandtournee, bei der er den demoralisierten deutschen Truppen Abwechslung verschaffen soll. Doch noch ignorieren Reinhardt und seine Musiker die Drohungen und geben sich ganz der Freude an die Kunst hin. Es wird nicht lange so bleiben.

Etienne Comars Betrachtung von Django Reinhardt in den Kriegsjahren widmet sich nur am Rande dem exzentrischen Musiker. Das mag auch an dem Spiel von Reda Kateb liegen, der dem Musiker meist die Aura des ungreifbaren Traumtänzers verleiht. Das könnte geheimnisvoll sein, wirkt angesichts der allzu konkreten Bedrohungen aber immer wieder auch blass. Vor allem, weil Bim Bam Merstein als energische Managerin des Musikers Kateb in ihrem souveränen Spiel überragt. Mit ihr werden unwiderstehlich immer wieder die gesamte Musik- und Zigeunerkultur sowie deren Bedrohung durch das Dritte Reich ins Zentrum des Films gerückt.

© Roger Arpajou

Als Reinhardt seine Privilegien verliert und irgendwann mit Frau und Mutter in eine Wagensiedlung ziehen muss, ist das keineswegs ein Abstieg, sondern eine Art Heimkehr. Die Wagenburg ist – trotz der politischen Verbote und Auflagen – ein Hort des Lebens und der Freude, in ihr findet Reinhardt heraus aus der inneren Emigration. Er wird aktiv und sucht sich neue Musiker, die mit ihm in der dörflichen Kneipe auftreten. Bis es zu dem eingangs erwähnten Konzert und dem finalen Fluchtversuch in die Schweiz kommt.

Wer dachte, die Berlinale würde mit einem Musikerfilm ähnlich unterhaltsam starten, wie in den vergangenen Jahren mit der Hollywood-Hommage Hail, Caesar! der Coen-Brüder oder Wes Andersons Fin de Siecle-Klamotte Grand Budapest Hotel, der wurde eines Besseren belehrt. Comars Biopic erinnert eher an Isabel Coixets langatmiges Nordpoldrama »Nobody wants the night«.

Allerdings kommen die Berliner Filmfestspiele mit Comars Regiedebüt einmal mehr ihrem Ruf als dem politischsten aller Filmfestivals nach. In einer Zeit, in der öffentliche Kunst als »entartet« beschimpft wird, eröffnet die Berlinale mit einem Beitrag, in dem die Lebensfreude der Musik als »entartete Kunst« in Misskredit gebracht wird, aber am Ende triumphiert.

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