Film

Tierisch überzeugend

Nach einem Drittel des Wettbewerbs bei der Berlinale fällt auf, dass das Politische und das Animalische eng miteinander verbunden sind. Rehe, Affen und Zebrapferde sind bislang die stillen Helden der diesjährigen Filmfestspiele. Ein arbeitsloser Kulturjournalist, ein mürrischer Künstler und eine bezaubernde Mannfrau machen hingegen laut auf sich aufmerksam.

Vielleicht hätte man es schon beim Eröffnungsfilm ahnen können, dass es in diesem Jahr im Wettbewerb tierisch komisch, tierisch gemein und tierisch intensiv werden könnte. Denn an der Seite des blassen Reda Kateb in der Rolle des weltentrückten Musikers Django ist ein kleiner Affe, der in seiner stillen Präsenz mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als der Hauptdarsteller des vorwiegend politisch ausgefallenen und von der Kritik ambivalent bewerteten Biopics von Etienne Comar.

Keine zwölf Stunden nach der Eröffnung des Festivals sind es wieder Tiere, die wesentlich zum Gelingen des Wettbewerbsbeitrags On Body and Soul. Die ungarische Kultregisseurin Ildikó Enyedi erzählt darin von einer zarten Liebe in einer rauen Umgebung. Der körperlich beeinträchtige Endre und die psychisch angeschlagene Mária lernen sich in einem Schlachthaus in Budapest kennen. Den fotorealistischen Eindrücken der blutrünstigen Tötens stellt Enyedis Kameramann Máté Herbai fast märchenhafte Impressionen gegenüber, in denen sich zwei Hirsche in einem verschneiten Wald beschnuppern.

Die Annäherung, die Endre und Mária unter den Kollegen nur schwer gelingt, gelingt ihnen im Schlaf. Denn sie träumen synchron von der Annäherung der beiden Tiere, aber auch vom gegenseitigen Verlust. Man kann diese naturalistische Allegorie als Weltflucht deuten oder aber als konzentrierte gesellschaftliche Anordnung, die die Verletzlichkeit und Sensibilität der beiden Akteure in einer Gesellschaft verdeutlicht, in der es keinen Platz für sie gibt.


Agnieszka Mandat, Miroslav Krobot in »Pokot« von Agnieszka Holland | © Robert Paêka
Agnieszka Mandat, Miroslav Krobot in »Pokot« von Agnieszka Holland | © Robert Paêka

Die polnische Regieikone Agnieszka Holland verortet die Geschichte ihres Krimis Pokot inmitten der Wildnis. Unzählige Rehe, Füchse und Wildschweine ziehen durch die tiefgrünen Wälder im tschechisch-polnischen Grenzgebiet, weshalb die Jagd in der Region eine fest verankerte Tradition ist. Dem stellt sich die naturverbundene Duszejko entgegen. Der Mord an Tieren ist für sie ein Verbrechen wie der Mord an einem Menschen, weshalb sie energisch gegen die lokalen Jäger und Wilderer vorgeht. Bei den Behörden stößt sie auf taube Ohren, Unterstützung findet sie bei denen, die in der hier regierenden Schießgesellschaft keinen Platz finden. Als mit dem animalischen Bodycount plötzlich auch der humane steigt, beginnen sich auch die Behörden für die seltsamen Ereignisse im Wald zu interessieren.

Agnieszka Mandat brilliert in diesem spannenden Ökowestern als besessene (und an Hellen Mirren in ihren besten Rollen erinnernde) Naturschützerin, deren selbstlosen Einsatz für die Tiere man mit Bewunderung verfolgt. Drehbuchautorin Olga Tokarczuk und Agnieszka Holland wollen den Film nicht als Weltflucht verstanden wissen. Vielmehr sei er höchst politisch, denn die Natur sei das erste, was unter autoritären Regimes in Gefahr gerät. Demokratie sei nicht möglich, wenn die Schwächsten darin nicht geschützt würden. Jetzt befänden sich die demokratischen Gesellschaften in einer Phase, in der geklärt werden müsse, worum und wofür wir kämpfen. Es gelte, die intellektuelle Krise im Umgang mit den totalitären Regimen zu überwinden. Der Film sei ein möglicher Beitrag, den man dabei leisten könne, erklärten sie unisono in der Pressekonferenz zum Film.


© Andolfi
»Félicité« von Alain Gomis | © Andolfi

In Alain Gomis kongolesischem Drama Félicité geht es zunächst einmal um die Abbildung der Welt, in der die stolze Sängerin, die dem Film den Titel gibt, lebt. Es sind die Armenviertel in Kongos Hauptstadt Kinshasa, in denen der Müll auf der Straße brennt und die aussortierten Elektrogeräte der ersten Welt entsorgt werden. Als der Sohn der auf sich allein gestellten Sängerin (Véro Tshanda Beya) bei einem Motorradunfall schwer verletzt wird, gerät ihr leidlich sortiertes Leben aus den Fugen. In unwiderstehlichem Trotz versucht sie alles, um das Geld für die notwendige Operation aufzutreiben.

Ihre Suche nach Hilfe ist ein atemloser Streifzug durch eine Stadtgesellschaft, die von bitterster Armut, Gewalt, Alkohol, Betrug und Ausbeutung geprägt ist. In ihren Träumen droht die introvertierte Félicité in all dem unterzugehen, bis ein gleichermaßen eigenwilliges wie entschlossenes Wesen – halb Mann, halb Zebrapferd – sie von ihrer Einsamkeit befreit. Ähnlich wie der ungarische Kameramann Máté Herbai stellt Gomis Kamerafrau Céline Bozon den rauen Verhältnissen in Kinshasa – eine Stadt, die sie in beeindruckenden Bildern eingefangen hat – fantastische Szenen gegenüber, die eine Auszeit von der aufreibenden Hektik der Stadt zulassen.


Armie Hammer, Geoffrey Rush in »Final Portrait« von Stanley Tucci | © Parisa Taghizadeh
Armie Hammer, Geoffrey Rush in »Final Portrait« von Stanley Tucci | © Parisa Taghizadeh

Es gab im bislang weitgehend sehenswerten Wettbewerb der Berlinale aber auch echte Charakterköpfe zu sehen. Etwa Geoffrey Rush in der Rolle des mürrischen und an sich selbst zweifelnden Alberto Giacometti in Stanley Tuccis Biopic Final Portrait (außer Konkurrenz) Der Film erzählt von der nicht enden wollenden Session für eines der wenigen Porträts, die Giacometti angefertigt hat. »Ein Porträt ist niemals fertig«, gesteht der in Paris lebende Schweizer Künstler seinem Modell noch vor der ersten Sitzung, der noch unzählige folgen werden. Man erlebt Giacometti fluchend, schimpfend, maulend und wütend auf sich selbst und seine Umwelt, wird Zeuge, wie er seine Frau Annette immer wieder mit der Prostituierten Caroline betrügt und ansonsten wie ein Derwisch durch sein Atelier fegt.

Rush, der in Berlin für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, verkörpert den schlechtgelaunten Künstler par excellence. Die Dialoge sind bissig, allerdings nur beim ersten Mal. Und damit ist man schon beim Hauptproblem des Films: Tucci findet nur kein Ende. Erst bildet er jeden einzelnen Tag ab, um nach der gefühlt einhundersten Wiederholung des immergleichen Abbruchs einer Sitzung dann drei Tage zusammenzufassen. Es fehlt diesem Biopic an Handlung, daran ändert auch Rushs wunderbare Schlechtlaunigkeit nichts.


© WEGA Film
»Wilde Maus« von Josef Hader | © WEGA Film

Einem formidablen Misanthropen begegnet man auch in Josef Haders tragikomischem Regiedebüt Wilde Maus. Hader selbst gibt darin den Musikjournalisten Georg, der aus seiner Wiener Redaktion wegrationalisiert wird. Seiner Frau Johanna sagt er davon nichts, um sie nicht zu beunruhigen, zumal er unter Druck steht, denn Johanna (Pia Hierzegger) will ein Kind von ihm. So führt Georg ein Doppelleben: zuhause mimt er den gestressten Kulturjournalisten, tagsüber sammelt er Rachepläne, um es seinem ehemaligen Chef (Jörg Hartmann) heimzuzahlen.

Wenn er diesen nicht nachgeht, vertreibt er sich im Prater die Zeit. Dort trifft er auch auf den einfach gestrickten Erich (Georg Friedrich), einen ehemaligen Schulkameraden, und dessen Freundin Nicoletta (Crina Semciuc), in denen er erst Unterstützer für seinen Rachefeldzug und dann zweifelhafte Geschäftspartner für einen Fuhrbetrieb findet. Dessen All das lässt sich nur noch mäßig vor Johanna verbergen, die ihrerseits eigene Wege zu gehen beginnt und es dabei auch mit Georgs ehemaligem Chef zu tun bekommt.

All das muss natürlich katastrophal eskalieren – nach dem Job droht Georg auch noch seine Ehe zu verlieren –, so dass der verzweifelte Ex-Journalist am Ende nicht nur mit einer Pistole in die Berge fährt, sondern auch nackt im Schnee sitzt und auf den Tod wartet. Leider gibt es noch immer keinen Berlinalebären für den unterhaltsamsten Film mit Tiefgang. Wenn doch, wäre Haders Wilde Maus der absolute Favorit.


Daniela Vega in »Una mujer fantástica« von Sebastián Lelio | Berlinale
Daniela Vega in »Una mujer fantástica« von Sebastián Lelio | Berlinale

Last but not least konnte man in Sebastián Lelios Drama Una mujer fantástica mit Daniela Vega eine außergewöhnliche Schauspielerin entdecken, die mit großer Würde die Rolle von Marina Vidal, die vor Jahren einmal Daniel hieß, ausfüllt. Lelio hat ein Händchen für Geschichten von außergewöhnlichen Frauen, vor vier Jahren triumphierte er mit seinem Porträt der unwiderstehlichen, die Liebe suchenden Gloria auf dem Festival. Marina ist die neue Partnerin von Orlando, der nach einer liebestollen Nacht an einem Schlaganfall stirbt. Fortan muss Marina mit Orlandos Ex-Frau und ihrer Familie kämpfen, denn der silberne Sugardaddy hat als Chef eines großen Unternehmens auch noch nach dem Tod einen Ruf zu verlieren. Marina kämpft nach Orlandos Tod um jeden Zentimeter ihrer Beziehung und ihr Recht, um den Mann ihres Lebens trauern zu dürfen.

Vega füllt diese Rolle in bewundernswerter Kraft aus. Sie macht die Verletzlichkeit der schockierten Witwe ebenso glaubhaft wie die rasende Wut der einmal mehr um Anerkennung und Akzeptanz kämpfenden Frau, in der alle noch den Mann sehen. Im Gegensatz zu Pedro Almodóvar, der den Identitätskonflikt von Transgender-Menschen in seinen Filmen immer wieder meisterhaft sichtbar gemacht hat, konzentriert sich Lelio in seinem Film auf die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz beziehungsweise Ablehnung und zeigt, wie schnell die gesellschaftliche Toleranz bei Fragen der Moral, von Leben und Tod, an ihre Grenzen gerät.

Auch wenn Marina gelernt hat, für sich selbst zu kämpfen, ist sie einer ihr Wesen ablehnenden Gesellschaft gegenüber machtlos. In Sebastio Lelios Film wird deutlich, dass wir als demokratische Gesellschaft scheitern, wenn es uns nicht gelingt, die Schwächeren zu schützen. Ja, mehr noch, wenn es uns nicht gelingt, sie als gleichwertigen Teil der Gesellschaft zu akzeptieren

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