Mit Witz, Mut und Schlagfertigkeit stellte Charlie Chaplin die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit auf den Kopf und sah den Turbokapitalismus unserer Zeit gewissermaßen voraus.
Ausgebeulte Hose, enges Jackett, riesige Schuhe, Spazierstock (zugleich Taktstock und Prügel), Schnurrbart und Melone – so kennt man ihn, den Tramp, mit dem Charlie Chaplin Filmgeschichte schrieb. In unverwechselbarer Manier hat diese allzu menschliche Figur ein Millionenpublikum zum Lachen gebracht, weil sie ständig mit Autoritäten in Konflikt gerät, Polizisten narrt, Monarchen in den Hintern tritt oder dem Großkapital den Spiegel vorhält. Dabei erzählen Chaplins Filme eher Dramen als Komödien – was zweifellos auch an seiner Herkunft liegt.
Chaplin ist im England der Industrialisierung groß geworden, die erbärmliche Armut, von der Charles Dickens in seinen Romanen erzählt, prägte seine Kindheit. Der Vater Alkoholiker, die Mutter geisteskrank, wuchs er in schwierigen Verhältnissen auf, trieb sich viel auf der Straße herum. Diese Erfahrung als »ausgestoßenes Waisenkind« (Béla Balász) zieht sich durch sein Gesamtwerk und prägt besonders die frühen Kurzfilme sowie das Langfilmdebüt »Der Vagabund und das Kind«. Diesem komödiantisch inszenierten Sozialdrama stellte er das Motto »Ein Film mit einem Lächeln. Und vielleicht einer Träne« voran und lässt damit tief in seine verletzte Seele blicken.
Chaplin spielte seit Kindertagen auf Londoner Bühnen kleinere Varieté-Rollen. Wie sehr ihm dabei selbst zum Lachen zumute war, darüber streiten sich die Kunsthistoriker und Psychologen. Die Psychologin Alice Miller, die Kindheitserfahrungen als grundlegend für späteres erwachsenes Verhalten ansieht, mutmaßt in ihrer Untersuchung »Der gemiedene Schlüssel«, das Chaplins frühe und unfreiwillige Bühnenerfahrung als Pausenclown dazu geführt habe, dass er zwar im Gesicht ein Lächeln getragen habe, dieses jedoch nie mit einem Glücksgefühl, sondern vielmehr mit einer tiefen Depression verbunden gewesen sei.
In dem Film »The Tramp« verarbeitete Chaplin einige dieser Kindheitserfahrungen. Bis zu welchem Grad der Film eine Kindheitsbiografie ist, lässt sich schwer vermuten. Seine Tochter Geraldine Chaplin aber vermutete dies einst in einem Interview mit Die Zeit. Da sagte sie: »Mit Sicherheit hat seine berühmteste Filmfigur The Tramp mit dieser Kindheit zu tun. Ein völlig mittelloser Vagabund, der dennoch Würde und Manieren hat. Für mich war diese Figur immer eine Art verklärte Kindheitserzählung meines Vaters: die Verkörperung eines Humanismus, der sich nicht kleinkriegen lässt. Ein Mann, der immer wieder aufsteht. Und der sich einen Sinn für Schönheit und Romantik bewahrt.«
Mit Anfang 20 ging Chaplin mit einer Theatergruppe nach Amerika und sorgt dort mit seinem Spiel für Begeisterung. 1914 engagierten ihn die Keystone Studios, wo er innerhalb eines Jahres vom engagierten Schauspieler zum Autor und Regisseur seiner eigenen Filme aufstieg. Bis in die zwanziger Jahre entstanden dutzende Kurzfilme, darunter Kassenschlager wie »Gewehr über!« oder die Klassenstudie »Die feinen Leute«, in der Chaplin die besondere Mischung aus Slapstick, Empathie und Melancholie seiner Tramp-Figur perfektionierte. Diese Filme bilden die Grundlage seines späteren Erfolgs.
Chaplin arbeitete mit jedem Film an der Revolution des Kinos, die Zuschauer wurden zu Verbündeten seiner tragischen Figuren. Dass seine Charaktere trotz aller Komik nicht als Clowns herhalten, macht er in der den eigenen Werdegang reflektierenden Komödie »Der Zirkus« deutlich. Darin wird der in Schwierigkeiten geratene Tramp zufällig zur Hauptattraktion in einem Wanderzirkus. Als Clown soll er die Leute zum Lachen bringen, doch er verpatzt all die Gags, die ihn als Zaungast gerade noch zum Lachen gebracht haben. Er findet die Rolle des Clowns (die er später vielschichtig und wehmütig in »Rampenlicht« reflektiert) nicht lustig, wenn er sie selbst ausfüllen soll. Als Zuschauer lacht man wiederum darüber, mit welcher innerer Überzeugung er die Rolle als Opfer des Lachsacks ablehnt. Will man im sozialen Kino des »ersten Autorenfilmers vor dem Herrn« (Alexander Kluge) nicht den Humanisten erkennen, dann muss man dies spätestens in dieser Geste der Empathie mit seinem tragischen Helden tun.
Während Chaplin das Kino mit seiner besonderen Erzählweise maßgeblich vorantrieb, revolutionierte die Tonspur auf technischer Ebene das Medium. Behauptungen, Chaplin wäre generell gegen den Tonfilm gewesen, sind falsch. Seine Vorbehalte waren inhaltlich begründet. Der Tramp sollte nicht sprechen, was hätte er über das, was er pantomimisch darstellte, auch sagen sollen. Dass er seine beiden nächsten Filme »Lichter der Großstadt« und »Modern Times« dennoch als Stummfilme (wenn auch mit eigener Tonspur und ersten Stimmexperimenten) produzierte, war durchaus ein Risiko. In seinem letzten Stummfilm verabschiedet er den Tramp – nicht jedoch, ohne ihm noch einmal einen großen Auftritt zu gönnen. Mit den leuchtenden Augen des Anarchisten spielt dieser in »Modern Times« an den Hebeln, die die Welt des Großkapitals bedeuten, bis er als außer Rand und Band geratener Mechaniker die Maschine explodieren lässt.
Mit diesem Kommentar auf die prekären Arbeitsverhältnisse befindet man sich schon mitten im politischen Kino Chaplins, in der er vom Kampf des kleinen Mannes gegen die Mächtigen erzählt. Der Humanismus seines Kinos liegt in der schonungslosen Analyse der Verhältnisse seiner Zeit und der Kritik daran. Wenn man so will, kann man Chaplin als den populärsten Aufklärer des frühen 20. Jahrhunderts im Clownsgewand bezeichnen. Selbst in den schlimmsten politischen Umständen ist es ihm gelungen, die Menschen zum Lachen zu bringen, ohne dabei Haltung zu verlieren oder gar ins niveaulose abzudriften. Mit seiner humanistischen Haltung geriet er in den Fokus der faschistischen Bewegung. Sie beschimpften ihn als Juden – aus Solidarität gegenüber den verfolgten Juden Europas widerlegte er diese Falschbehauptung nie. »Der große Diktator«, seine clowneske Persiflage auf Adolf Hitler, hat wohl auch hier ihre Wurzeln. Mit diesem Geniestreich an Film kommentierte er genial satirisch den europäischen Faschismus, so dass sein russischer Kollege Sergej Eisenstein vom »Sieg des menschlichen Geistes über die Unmenschlichkeit« sprach und Walter Benjamin Chaplin kurzerhand zum »größten Komiker« erklärte.
In seinen Nachkriegsfilmen wie »Monsieur Verdoux« kritisierte Chaplin die Ausbeutung des Menschen durch den Kapitalismus, in »Ein König in New York« rechnete der inzwischen aus den USA geflohene mit der McCarthy-Ära ab. Und auch wenn diese Filme nie an den Ruhm von »Modern Times« oder »Der große Diktator« heranreichen sollten, ist seine Gesellschaftskritik darin doch kaum weniger scharf und treffsicher.
»Chaplin hat sich in seinen Filmen an den zugleich internationalsten und revolutionärsten Affekt der Massen gewandt, das Gelächter«, schrieb einst Walter Benjamin. Mit einer neuen Filmbox von ARTHAUS Filmcollection, in der das Frühwerk leider arg kurz kommt, dafür aber einiges an Bonusmaterial enthalten ist, kann man über 18 Stunden diesem Gelächter auf den Grund gehen. Es ist kein kaltes, kalkulierendes Lachen, sondern eines, das von Herzen kommt. Eine Wohltat in diesen verbitterten Zeiten.
[…] Köhlmeier (nach 2007 zum zweiten Mal) mit seinem Roman über Zwei Herren am Strand, die sich als Charlie Chaplin und Winston Churchill entpuppen, Gertrud Leutenegger mit seinem Eyjafjallajökull-Roman Panischer […]
[…] Hier meine ausführliche Kritik. […]
[…] einen »Zustand zarter Verwahrlosung« geraten, schreibt sie später, und räumt ein, dass sie sich wie Charlie Chaplin an den Stundenzeiger klammere, »um die Uhr-Zeit anzuhalten« und »lange Listen von, jenen […]