Literatur, Lyrik

»dasz die Sprache VERWUNSCHEN war«

Die 96-jährige Österreicherin Friederike Mayröcker beobachtet in ihrem letzten Buch radikal die eigene Wirklichkeit und Gedankenwelt. Alltagsbeobachtungen und Lebenserinnerungen einer der Avantgarde Verschriebenen geben sich hier in anarchischen Sprachspielen die Klinke in die Hand.

»was souffliert uns NATUR ? was souffliert uns die Kunst ?«, fragt sich Friederike Mayröcker im Januar 2019 und bringt damit einen Ansatz auf den Punkt, der sich in ihren mehr als 80 Büchern immer wieder findet: das Mit- Neben- und (von ihr sortierte) Durcheinander von Kunst und Natur.

In ihrem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Werk »da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete« sortiert sie aber mehr als dieses Durcheinander. Vielmehr scheint diese Mischung aus Prosa und Poesie – »ich schreibe PROEME« schreibt Mayröcker an einer Stelle, »ich schreibe Prosa mit einem lyrischen touch« an anderer – ein ganzes Leben an seinem Abend sortieren zu wollen. Alltagsbeobachtungen treffen hier auf Kindheitserinnerungen, Rückblicke auf geführte Kunstdiskurse auf die Wirkung der Kunst im Kopf der Autorin, radikale Naturbeobachtungen (Modewort »nature writing«) auf Sprachspiele, die den Kopf explodieren und einen mitunter auch rätselnd zurücklassen.

Wie der auf die Grammatik pfeifende Titel dieses letzten Proems schon zeigt, sind diese Blicke auf die Gegenwart keine gewöhnlichen. Sie sind durchdrungen von dem Bestreben, »in meinem Werk Avantgardismus und Klassizismus zu verquicken!«. Zu diesem Willen gehört, die unendliche Farbpalette der Kunst in die Sprache zu überführen und in den Texten leuchten zu lassen. »Flehentliches Gelb« trifft auf »stürmisches Rot«, »lichtgrüne Phantome« auf »kobaltblaue Flügel«, die Mayröcker dann der Sprache angedeihen und sie in luftige Höhen tragen lässt. Dem reinen Weiß steht immer wieder auch ein tiefdunkles Schwarz gegenüber, Farbassoziationen, die in Sprache überführt werden.

Dabei führen ihre proemischen Collagen schreibsinnierend zu den Avantgardisten von Kunst und Sprache. Sie tritt mit ihnen in einen gedanklichen Austausch oder erinnert sich an das, was war. Das sind im Kunstbetrieb natürlich die Surrealisten und ihre Vorläufer, angefangen bei Hieronymus Bosch über Salvador Dali, Max Ernst, Fernando Botero, Marcel Duchamp, Man Ray und Cy Twombly, aus den Untiefen der Literatur befördert sie unter anderem Jean Paul, Kurt Schwitters, Sarah Kirsch und Marcel Beyer an die Oberfläche. Mit ihnen tritt sie noch einmal in – mal echte, mal fiktive – Dialoge, denen nachzugehen sich lohnt.

Friederike Mayröcker: da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete. Suhrkamp Verlag 2021. 201 Seiten. Hier bestellen.

Diesen, ja was, monologischen Dialogen wohnt etwas zutiefst Existenzielles inne. Denn sie sind nachgereicht, nicht mehr verifizierbar. Mayröckers Avantgardisten grüßen aus dem Jenseits und erreichen die große Autorin in Abschiedsstimmung. »einsam bin ich, mein Kamerad eine alte Hündin. ich Debütantin des Todes, steinig mein letzter Weg wohin sind Mutter und Vater und Freund usw.«, schreibt die österreichische Lyrikerin. Sie sei in einen »Zustand zarter Verwahrlosung« geraten, schreibt sie später, und räumt ein, dass sie sich wie Charlie Chaplin an den Stundenzeiger klammere, »um die Uhr-Zeit anzuhalten« und »lange Listen von, jenen Wörtern die mir ABHANDEN! kommen und gekommen…« schreibe. Diese Eingeständnisse der eigenen Schwäche und Vergänglichkeit sind in ihrer radikalen Ehrlichkeit ebenso bewundernswert wie berührend.

Zu diesen existenziellen Eingeständnissen passen die Erinnerungssplitter, die Mayröcker – mitunter auch ungläubig – immer wieder einflicht. »es kommt mir vor, dasz ich mich an die Stunde meiner Geburt erinnern kann den Anblick meiner schönen jg. Mutter sowie an die Ausrufe der Hebamme »Engelgotteskind« : es war ein Nachmittag im Winter `24.«

Sprachlich schwanken Mayröckers »Proeme« zwischen einem hohen Grad an Konkretisierung und dem Willen zur maximalen Assoziation. »Die Worte als Worte ausstellen, ohne ihren Sinn zu entfalten« beschreibt die Wiener Autorin ihren Ansatz. Dabei kommt auch immer wieder eine kleine Schere zum Einsatz, mal sprachlich, mal konkret bildlich als gezeichnetes Symbol im Text. Dieses Instrument ist Grundlage der Mayröcker’schen Textcollagen, in denen sie Text-, Bild-, Gedanken- und Wirklichkeitssplitter so arrangiert, dass es um Nichts und um Alles zugleich geht.

Oder wie Mayröcker selbst schreibt: »es geht um den Knall den Knall der Verliebtheiten, Vergeblichkeiten, Phantasien Tagträume oder wie EvS flüstert »am Morgen also im ersten Morgenlicht den Kopf vergraben auf Küchentisch und erstes Tränenvergieszen, dann WUNDERLICH! … also mit tausend Armen die Sprache locken heranlocken«

Mit tausend Armen die Sprache locken, um ihre verwunschene Dimension hervorzubringen – kann es ein schöneres Bild für dieses Werk geben? Wohl kaum. Dass sich die österreichische Avantgardistin dabei nie den herkömmlichen Regeln der Sprache untergeordnet hat, ist nur konsequent. »Wie Sternschnuppen fielen die Wörter mir ein« und wie Sternschnuppen fallen sie in blauer Tinte aufs Papier. Das Ergebnis ist ein tiefdunkel leuchtender Nachthimmel mit Ewigkeitsanspruch.


Aktualisierung am 4. Juni 2021: Friederike Mayröckers Verlag Suhrkamp teilt heute mit, dass die 96-jährige Autorin heute in Wien gestorben ist.

3 Kommentare

  1. […] für den Preis der Leipziger Buchmesse gekrönt ist. Sollte sie den Preis – für den auch Friederike Mayröcker, Judith Hermann, Iris Hanika und Christian Kracht nominiert sind – tatsächlich erhalten, wird […]

Kommentare sind geschlossen.