Film

Ein Mann auf den Knien

Ulrich Seidl porträtiert in »Rimini« einen Schlagersänger über seinem Zenit, der an der Adria mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft. Dabei bebildert der österreichische Filmemacher auch das sozialpolitische Elend, das die Festung Europa an der Adria produziert.

Richie Bravo war in den Achtzigern eine große Nummer an der Adria. Inzwischen ist der von Michael Thomas großartig gespielte Schmonzettensänger nur noch ein Schatten seiner selbst. Aus dem Leim gegangen tritt er vor pensionierten Pauschaltouristen in billigen Hotels auf. Das bisschen Geld, dass er dabei einnimmt, verzockt er Wodka saufend (weil man den nicht riecht) am nächsten Spielautomaten.

Weil davon keiner leben kann, verschachert er bei seinen traurigen Auftritten Karten, Kissen und anderen Kitsch in Eigenregie. Außerdem vermietet er seine abgewohnte Richie-Bravo-Villa an ergebene Fans und gibt in heruntergekommenen Hotelzimmern so manchem Groupie ein unkeusches Solo. Bravo ist ein Aufschneider, wohl auch schon immer gewesen. Hoch muss sein Stern mal gestiegen sein, nun fällt und fällt und fällt er.

Zwar kann man an der Adria in den weichen Sand fallen, aber nicht bei Ulrich Seidl. Der hatte vor allem mit seiner »Paradies«-Trilogie und seinen Erkundungen der österreichischen Keller für Aufsehen gesorgt, weil er darin die Abgründe seiner Zeit schonungslos ausgeleuchtet hatte. Wenngleich man das mit Vorsicht genießen muss, da schließlich alles inszeniert sei, selbst der Dokumentarfilm, wie Seidl in einem Interview zu seiner »Paradies«-Trilogie erklärte.

© Ulrich Seidl Filmproduktion

Seinen neuen Spielfilm, der im Wettbewerb um die Bären konkurriert, hat der Wiener Regisseur im Winter in dem italienischen Urlaubsort Rimini gedreht. Die Bettenhochburg wird so zu einer gespenstischen, abweisenden und leeren Kulisse. Geschlossene Hotels, heruntergelassene Fensterläden, verlassene Strände, der Regen peitscht erbarmungslos, später weht der Schnee fies ins Gesicht. Das süße Leben, la dolce vita, ist aus dieser Stadt längst ausgezogen.

Seidl bebildert hier auch den Abgrund der Festung Europa, der sich im Umgang mit unzähligen irregulären Arbeitsmigranten zeigt. Während die in der Hochsaison als Schwarzarbeiter den Tourismus am Laufen halten, indem sie Hotels putzen, an Pizzaöfen stehen oder mit Sonnenbrillen, Schmuck und anderem Tand den Strand auf- und ablaufen, sitzen sie außerhalb der Saison nutzlos in der Stadt herum und warten, Wind und Wetter ausgesetzt, auf den nächsten Sommer.

Richie Bravo macht der heruntergekommene Zustand dieser Stadt scheinbar nichts aus. Mit dickem Mantel, Cowboystiefeln, Goldkette und Feinrippshirt – Einiges an diesem Mann und seiner Geschichte erinnert an Mickey Rourke in Darren Aranofskys Drama »The Wrestler« – stapft er einsam und entschlossen durch die Straßen, als könnte ihm die Tristesse dieser in die Jahre gekommenen Stadt nichts anhaben. Ich bin ein Mann, nichts und niemand kann mich kleinkriegen, strahlt er aus. Nur wenn er seine Schlager singt, gibt er sich weich wie Butter. Als eines Tages eine junge Frau vor ihm steht, zwingt das Leben den Gigolo in die Knie. Nun muss er Saiten aufziehen, auf die er gern verzichtet hätte.

© Ulrich Seidl Filmproduktion

Michael Thomas spielt diesen in die Jahre gekommenen Schlagerstar mit umwerfender Energie, egal ob er auf der Bühne steht, einer der alten Damen an die Wäsche geht oder besoffen am Boden liegt. In seinem facettenreichen Spiel versteht er es nicht nur, zu verführen und zu berühren, sondern auch abschreckend und abstoßend zu wirken. Ulrich Seidls Kamera hält dabei immer erbarmungslos drauf, lässt kein Detail aus, um diesen gescheiterten Typen mit all seinen Facetten inmitten dieser traurigen Kulisse einzufangen.

Das Schicksal seines abgehalfterten Antihelden verbindet Seidl mit der Last der Geschichte, die er in kurzen Szenen in einem Altersheim einfängt. Dort lebt der demente Vater von Richie Bravo, in dessen Kopf die alten SA-Lieder und Erinnerungen an die Kindheit durcheinander gehen. Mit den Männern dieser Familie kann es nicht würdevoll zu Ende gehen, scheinen diese Szenen zu sagen. Sicher sein kann man aber erst, wenn der letzte Vorhang fällt.

2 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.