Film

Träume und Tristesse

Clemens Meyer und Thomas Stuber erzählen einmal mehr von Menschen, die im Abseits der Aufmerksamkeit stoisch ihre Kreise ziehen. »Die stillen Trabanten« handelt von Menschen, die sich Illusionen nicht leisten können, aber dennoch Träume, Ängste und Sehnsüchte in sich tragen. Jetzt erscheint der Film fürs Heimkino.

Jeden Abend kreuzen sich die Bahnen von Erik und Marika. Er geht seine Runde um den Block, sie schaukelt im Dunkel der Nacht und träumt von fernen Welten. Ihre Begegnungen sind so zart wie flüchtig, die Sprache spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Wachmann Erik (Charly Hübner) und die junge Ukrainerin Marika (Irina Starshenbaum) erkennen einander. »Pass auf sie auf«, rät Hans (Peter Kurth) seinem jüngeren Kollegen, »Heimatlose sind so verloren, … so verletzlich.«

Peter Kurth in »Die stillen Trabanten« | © 2022 Warner Bros. Ent. / Felix Abraham

So unscheinbar, wie dieser Satz daherkommt, sagt er doch eine Menge aus. Heimatlos sind irgendwie alle Figuren in Thomas Stubers Episodenfilm, getreu dem Titel kreisen sie einsam durch die Weite ihres Universums, mal nähert sich ihnen ein anderer Trabant, dann entfernt er sich wieder. Der Satz spricht aber auch für einen Wandel, denn dem knorrigen Hans haben die Ausländer nicht immer gepasst. Ihm imponiert aber, wie weit sie zu gehen bereit sind, um zu (über)leben. »Und dann sind sie am Ziel und dann stirbt ein Kind«, sagt er fassungslos und hadert mit dem, was man nur allzu schnell Schicksal nennt.

Clemens Meyer: Die stillen Trabanten. Fischerverlage 2018. 272 Seiten. 13,- Euro. Hier bestellen.

Mit der Geschichte eines toten Kindes beginnt Thomas Stubers Episodenfilm, in dem er drei Kurzgeschichten aus dem gleichnamigen Erzählband von Leipzigs renommiertesten Schriftsteller Clemens Meyer gekonnt arrangiert. Dessen Stories handeln von Menschen, die am Rande der Gesellschaft stoisch ihre Kreise ziehen. Die in warmen Erinnerungen schwelgen, um die Härte der Gegenwart zu ertragen. Mit der Unbarmherzigkeit der Wirklichkeit wird Hans zu Beginn konfrontiert. Er ist Teil einer Gruppe Hilfskräfte, die Straßenränder bereinigen. In einer Pause werden sie von einem Flüchtling angesprochen, der um Hilfe bittet. Sie gehen ihm skeptisch hinterher, bis sie am Rande eines Feldes auf eine Kleinfamilie stoßen, deren Mutter panisch ihr lebloses Kind beweint.

Der ebenfalls in Leipzig lebende Regisseur kennt Meyers Geschichten aus dem Effeff, er hat bereits andere Erzählungen von Meyer auf die Leinwand gebracht. Sein bewegendes Langfilm-Debüt »Herbert« handelte von einem ehemaligen Boxer (Peter Kurth), der an Muskelschwund leidet und sich mit seiner Tochter (Lena Lauzemis) versöhnen will. Im Mittelpunkt seines nachdenklichen Melodrams »In den Gängen« steht der Arbeiter Christian (Franz Rogowski), der in einem Großmarkt Gabelstapler fährt und sich in seine Kollegin (Sandra Hüller) verliebt.

Albrecht Schuch und Lilith Stangenberg in »Die stillen Trabanten« | © 2022 Warner Bros. Ent. / Felix Abraham

In »Die stillen Trabanten« bekommen erneut die einfachen Leute die Bühne, Menschen wie Jens (Albrecht Schuch), der mit seinem Kumpel Mario (Andreas Döhler) einen Imbiss in Leipzigs Innenstadt betreibt und am Abend über den Dächern der Stadt eine letzte Zigarette raucht. Dabei verliebt er sich in seine konvertierte Nachbarin Aischa (Lilith Stangenberg), deren gläubiger Mann Hamed (Adel Bencherif) dem jungen Koch unter die Arme greift.

Oder er wendet sich Figuren wie Christa (Martina Gedeck) zu, die in einem der besten DDR-Hotels ihre Ausbildung gemacht hat, aber nicht gut durch die Wendejahre gekommen ist und nun als Putzfrau vollgekotzte Waggons bei der Bahn schrubbt. Den Schmerz und die Verbitterung über ihre Situation ertränkt sie in der Bahnhofskneipe. Dort trifft sie auf die Friseurin Birgitt (Nastassja Kinski), die noch einmal ihr Herz aufgehen lässt.

Martina Gedeck und Nastassja Kinski in »Die stillen Trabanten« | © 2022 Warner Bros. Ent. / Felix Abraham

Thomas Stuber fängt in kleinen, alltäglichen Momenten die Porträts von Menschen ein, die das Leben aller Illusionen beraubt hat und die dennoch nicht aufhören, an das Gute zu glauben. Er wendet sich den mit Niedriglöhnen abgespeisten Arbeitern zu, den Imbissbetreibern, Reinigungskräften und Nachtschichtlern, die in der Dunkelheit der Tagesränder arbeiten, wenn alle anderen schon den Feierabend genießen. Die in den Trabantenstädten am Rand der urbanen Räume leben, wo das Glück meist nur ein kurzes Flackern in der Ferne ist.

Thomas Stuber: Die stillen Trabanten. Mit Martina Gedeck, Nastassja Kinski, Albrecht Schuch, Charly Hübner, Andreas Döhler, Peter Kurth, Irina Starshenbaum und Lilith Stangenberg. 120 Minuten. Zorro Medien.

Stuber hat die seine Figuren umgebende Tristesse in tollen Bildern eingefangen, die einerseits das Leben in prekären Zuständen abbilden, andererseits aber genug Wärme und versteckte Schönheit enthalten, um die niemals endende Sehnsucht nach mehr zu begründen. »Die stillen Trabanten« ist ein überwältigender Film über gescheiterte Existenzen, die ihr Glück in den kleinen Dingen finden. Nachdem der Film im letzten Corona-Winter in den Kinos etwas unterging, ist er jetzt endlich für das Heimkino zu haben.