Literatur, Roman

Friedenspreisträger 2023: Der unbeugsame Salman Rushdie

Der in Mumbai geborene und in den USA lebende Schriftsteller Salman Rushdie, Autor von Bestsellern wie »Die satanischen Verse«, »Joseph Anton« und »Quichote« wurde zum diesjährigen Träger des Friedenspreises gewählt. Unter hohen persönlichen Risiken verteidige er die Freiheit des Denkens und der Sprache, heißt es in der Begründung. Seit Jahrzehnten lastet auf Rushdie ein Todesurteil der Ayatollahs, im August vergangenen Jahres wurde er bei einer Lesung lebensbedrohlich attackiert. Seither ist er auf einem Auge blind, seine Schreibhand wurde ebenso nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen.

Salman Rushdie, der heute seinen 76. Geburtstag feiert, fühlte sich geehrt und dankbar für diese wichtige Auszeichnung. »Ich kann der Jury nur für ihre Großzügigkeit danken. Ich weiß, wie bedeutsam dieser Preis ist, und ich bin ein wenig eingeschüchtert von der Liste der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger, zu der sich mein Name nun gesellen wird. Ich freue mich wirklich sehr«, sagte er im Interview mit dem Börsenblatt des Deutschen Buchhandels.

Die deutschen Ausgaben von Salman Rushdies Romanen »Die satanischen Verse«, »Quichotte« und »Victory City« | Foto: Thomas Hummitzsch

Sir Salman Ahmed Rushdie, am 19. Juni 1947 in Mumbai geboren, gehört zu den bedeutendsten Schriftsteller:innen der englischsprachigen Gegenwartsliteratur. Immer wieder wird sein Name genannt, wenn es um den Literaturnobelpreis geht. Insbesondere im vergangenen Jahr, nachdem er kurz nach der Vollendung seines Romans »Victory City« bei einer Veranstaltung am 12. August 2022 im Bundesstaat New York von einem Angreifer auf der Bühne niedergestochen und lebensgefährlich verletzt wurde, galt er nicht nur bei den Buchmachern, sondern auch unter Kritiker:innen weltweit als Favorit auf den Titel. Dieser ging letztlich an die französische Schriftstellerin Annie Ernaux.

Nun folgt der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie dem ukrainischen Schriftsteller und Musiker Serhij Zhadan, der simbabwischen Autorin Tsitsi Dangarembga und dem indischen Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen, die vor ihm den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten haben. Die Auszeichnung Rushdies ist ein wichtiges, längst überfälliges Zeichen und ein Triumph der Freiheit. Es strahlt aus bis in den Iran, wo die Menschen auf der Straße für die Freiheit kämpfen, die Rushdie sich mit dem Schreiben seiner Bücher im Ausland genommen hat.

Seit 1950 wählt der Stiftungsrat des Friedenspreises jedes Jahr eine Persönlichkeit aus, die einen wichtigen Beitrag zum Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker geleistet hat. Hier zu sehen die ausgezeichneten Persönlichkeiten der 2020er Jahre.

»Seit seinem 1981 erschienenen Meisterwerk ‘Mitternachtskinder’ beeindruckt Salman Rushdie durch seine Deutungen von Migration und globaler Politik«, heißt es in der Begründung des neunköpfigen Stiftungsrats, der Rushdie zum diesjährigen Friedenspreisträger gewählt hat. »In seinen Romanen und Sachbüchern verbindet er erzählerische Weitsicht mit stetiger literarischer Innovation, Humor und Weisheit. Dabei beschreibt er die Wucht, mit der Gewaltregime ganze Gesellschaften zerstören, aber auch die Unzerstörbarkeit des Widerstandsgeistes Einzelner.«

Besonders imponierte der Jury, dass Rushdie unter hohen persönlichen Risiken das freie Wort verteidige. Darstellungen des Propheten Mohammed in Rushdies viertem Roman »Die Satanischen Verse« nahm der damalige Oberste Führer des Iran, Ruhollah Chomeini, 1989 zum Anlass, den Schriftsteller mittels einer Fatwa zum Tode zu verurteilen. Rushdie und sein berufliches Umfeld wurden seitdem zum Gegenstand zahlreicher Morddrohungen und Attentate durch Extremisten. Er selbst lebte jahrzehntelang unter Polizeischutz im Untergrund. Die deutsche Übersetzung der »Satanischen Verse« erfolgte aus Sicherheitsgründen ohne Nennung der Übersetzer:innen.

Salman Rushdie: Die satanischen Verse. Penguin Verlag 2017. 720 Seiten. 14,- Euro. Hier bestellen.

Erst im vergangenen Herbst wurde Rushdie mit dem Bruno-Kreisky-Preis für sein publizistisches Gesamtwerk ausgezeichnet. Sein Name und sein Werk seien »Symbol für die universelle Kraft der Freiheit des Wortes und für den Preis, den man dafür bezahlen kann«, hieß es in der Begründung. »Rushdie ist ein Meistererzähler, der mit seiner literarischen Kraft, die Magisches und Reales verbindet, alle Schleier von Lüge, Propaganda und Torheit provokant durchdringt und uns vor Augen führt, wie trügerisch, provisorisch und hinfällig die menschliche reale Welt doch ist.«

Rushdies 15 Romane, seine Autobiografie »Joseph Anton« sowie seine Kurzgeschichten, Reiseberichte, Essays und journalistische Beiträge, die in bis zu über 40 Sprachen übersetzt wurden, verknüpfen häufig magischen Realismus mit historischer Fiktion. Sie handeln von Verbindungen, Migration und Brüchen zwischen östlichen und westlichen Zivilisationen und sind oft auf dem indischen Subkontinent angesiedelt.

Salman Rushdie: Mitternachtskinder. Aus dem Englischen von Karin Graf. Penguin Verlag 2018. 736 Seiten. 14,- Euro. Hier bestellen.

Rushdies Werk ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Booker Prize 1981 für »Mitternachtskinder«. Der Roman wurde 2008 zum besten Roman aller bisherigen Booker-Gewinner gewählt. Außerdem erhielt er 1992 den Österreichischer Staatspreis für Europäische Literatur, 1996 den British Book Award, 2008 den James Joyce Award, 2010 den Golden PEN Award, 2014 den PEN-Pinter-Prize und 2019 den Welt-Literaturpreis.

Wirkungsvoll beteiligt sich Rushdie an Debatten über Zensur, Meinungsfreiheit und religiös motivierte Gewalt, über Migration und das Annehmen des Anderen. Er setzt sich in seinem Schaffen für die friedliche Koexistenz von Kulturen ein. Von 2004 bis 2006 war Rushdie Präsident des PEN American Center und anschließend für zehn Jahre Vorsitzender des PEN World Voices International Literary Festival. Für sein literarisches Schaffen und sein gesellschaftliches Engagement wurde Salman Rushdie mit zahlreichen internationalen Preisen bedacht. Im Jahr 2007 erhob Queen Elizabeth II. den Schriftsteller in den Ritterstand.

Salman Rushdie: Quichotte. Aus dem Englischen von Sabine Herting. Penguin Verlag 2020. 464 Seiten. 12,- Euro. Hier bestellen.

Salman Rushie sei trotz der persönlichen Bedrohung »nach wie vor einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache – und zwar nicht nur seiner eigenen, sondern auch der von Menschen, deren Ansichten er nicht teilt. Unter hohen persönlichen Risiken verteidigt er damit eine wesentliche Voraussetzung des friedlichen Miteinanders.«

Zuletzt erschienen (in der deutschen Übersetzung von Sabine Herting) der in den USA spielende Schelmenroman »Quichotte« und (vor wenigen Wochen in der deutschen Übersetzung von Bernhard Robben) die in Indien angesiedelte matriarchalische Utopie »Victory City«. Während er in »Quichotte« seinen Helden durch ein von Rassismus, Opiodkrise und Trumpismus geprägtes Amerika reisen und die fiktionale Kraft der Literatur als Antidot gegen die Fake-Kultur verteidigen lässt, handelt »Victory City« vom Aufstieg und Fall eines wundersamen hinduistischen Reiches, in dem Menschen jeder politischen, religiösen oder sexuellen Orientierung willkommen sind und die Menschen friedlich miteinander leben. Im Mittelpunkt steht die Erzählung einer »Poetin, Wundertätigen und Prophetin« namens Pampa Kampana, deren Geschichte der Königinnen und Könige dieses Reiches Rushdie nacherzählt. Das poetologische Programm wird am Ende des Romans offengelegt:

Salman Rushdie: Victory City. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin Verlag 2023. 416 Seiten. 26,- Euro. Hier bestellen.

»Ich, Pampa Kampana, bin die Verfasserin dieses Buches. Ich habe gelebt und sah ein Reich aufsteigen und untergehen. Wie wird man sich künftig an sie erinnern, an diese Könige, diese Königinnen? Sie existieren nur noch in Worten. Während die Königinnen und Könige lebten, waren sie Sieger oder Besiegte oder beides. Jetzt sind sie weder noch. Worte sind die einzigen Sieger. Was sie taten, dachten, fühlten, gibt es nicht mehr. Es bleiben nur meine Worte, die dies beschreiben. Man wird sich an sie erinnern, wie ich sie beschrieben habe. Von ihren Taten wird man allein wissen, was hier davon festgehalten wurde. Sie werden die Bedeutung haben, die ich ihnen zu geben wünschte. Ich selbst werde nun auch zu nichts. Was bleibt, ist die Stadt der Worte. Worte sind die einzigen Sieger.«

Der Satz »Worte sind die einzigen Sieger« wirkt wie ein vorweggenommener Kommentar auf das Attentat, dessen Opfer er nach Abschluss des Romans wurde. Trotz massiver körperlicher und psychischer Folgen, mit denen er noch immer ringt, schreibt er weiter. Anfang Juni 2023 kündigte Salman Rushdie an, ein Buch über das auf ihn verübte Attentat schreiben zu wollen. Nicht zuletzt diesen unerschütterlichen Widerstandsgeist zeichnet die Friedenspreisjury aus, womöglich mehr, als sein literarisches Werk. »Wir ehren Salman Rushdie für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert.«

Salman Rushdie: Joseph Anton. Aus dem Englischen von Bernhard Robben und Verena von Koskull. Penguin Verlag 2012. 720 Seiten. 24,99 Euro. Hier bestellen.

In seiner nach seinem Decknamen benannten Autobiografie »Joseph Anton« beschreibt Rushdie den Weg der Literatur und ihr (über)mächtiges Eigenleben:

Verlässt ein Buch den Schreibtisch des Autors, verändert es sich. Noch ehe jemand anderes es gelesen hat, noch ehe der Blick eines anderen Menschen auch nur auf einen einzigen Satz fiel, hat es sich unwiderruflich verändert. Es wurde zu einem Buch, das gelesen werden kann, das nicht mehr allein seinem Verfasser gehört. Es besitzt nun gleichsam einen freien Willen und wird seine Reise durch die Welt antreten, dagegen kann der Autor nichts mehr machen. Ja, er selbst liest jetzt, da seine Worte von anderen gelesen werden können, die eigenen Sätze anders, sobald er einen Blick ins Buch wirft. Sie kommen ihm wie fremde Sätze vor. Das Buch ist hinaus in die Welt gegangen, und die Welt hat es umgestaltet.

Salman Rushdie: Joseph Anton
(in der Übersetzung von Verena von Koskull und Bernhard Robben)

Die Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels findet am Sonntag, den 22. Oktober 2023, zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse in der Frankfurter Paulskirche statt und wird live im ZDF übertragen. Hier gehts zum Interview mit dem Preisträger.

+++ Aktualisierung vom 23. Juni 2023 +++

Wie das internationale literaturfestival berlin bekanntgab, wird es Salman Rushdie bei seiner 23. Ausgabe begrüßen können. Am 10. September wird im Großen Haus des Berliner Ensembles Salman Rushdies aktueller Roman »Victory City« vorgestellt. Für das Gespräch mit Daniel Kehlmann und Bernhard Robben wird Salman Rushdie live aus den USA zugeschaltet. Es wird das erste Mal sein, dass Rushdie in der deutschen Öffentlichkeit zu sehen ist, nachdem er im August 2022 von einem Attentäter auf offener Bühne in New York lebensgefährlich verletzt wurde und ein Auge verlor. Ein Coup, den die neue Leiterin des ilb, die Kulturwissenschaftlerin Lavinia Frey, in ihrer ersten Saison gelandet hat.


Beitrag über Serhij Zhadan anlässlich der Auszeichnung mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2022.
Beitrag über Tsitsi Dangarembga anlässlich der Auszeichnung mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2021.

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