Comic, Interviews & Porträts

»Jeder hat sofort ein Bild von Kafka«

Seit Jahren nimmt der Wiener Comiczeichner Nicolas Mahler die Hochkultur auseinander. Als Freibeuter im Meer der Weltliteratur macht er sich ein Werk nach dem anderen zu eigen. Zum 100. Todestag von Franz Kafka sind gleich zwei Arbeiten von ihm erschienen. Ich konnte mich mit ihm bereits im Herbst letzten Jahres, bevor er zum Leiter der Wiener Schule für Dichtkunst berufen wurde, mit Mahler über Faszinierendes und Skurriles in Leben und Werk des Prager Schriftstellers austauschen.

Nicolas, Du hast Dich schon einmal mit dem Mythos Franz Kafka befasst, »Franz Kafkas nonstop Lachmaschine«, zum 100-jährigen Todestag legst Du nun eine Biografie und einen illustrierten Band mit ulkigen Textauszügen vor. Was macht für Dich den Menschen Franz Kafka aus?
Kafka war natürlich ein großer Zweifler und Grübler, gespickt mit einem tröstlichen Sinn fürs Absurde. Und vor allem ein harter Beobachter und Selbstbeobachter, im Handeln wahrscheinlich weniger virtuos.

Kafka ist ein Gigant, nicht der erste, an dessen Werk und Leben Du Dich heranwagst. Ich bin geneigt, in Dir einen zeichnenden Gipfelstürmer der Literatur zu sehen, auch weil Du die Kunst des Kürzens und Weglassens wie kein anderer beherrscht. Was braucht man am meisten, um sich an Größen wie Franz Kafka, James Joyce, Thomas Bernhard, Robert Musil, Arno Schmidt oder Marcel Proust zu wagen?
Das wichtigste ist, das eigene Werk zwar ernsthaft weiterzuverfolgen und ständig auszuweiten, es gleichzeitig dabei nicht allzu ernst zu nehmen. Klingt gespalten, ist es wahrscheinlich auch. Meine Versionen ersetzen die Ursprungswerke nicht, sondern sind kleine Fußnoten für die, die sich heranwagen. Wenn das einmal klar ist, lässt sich’s ungeniert Plündern. Irgendwann, wenn man sich sehr lang mit den einzelnen Texten beschäftigt, sind sie sowieso nicht mehr Werke von Giganten, sondern nur mehr Material für das eigene Buch. Anders geht es nicht.

Was ist das Geheimnis der Reduktion? Warum funktioniert das so gut bei diesen Autoren, für die es mehr Stoff gibt, als man überhaupt zur Kenntnis nehmen kann?
Wenn es viel Material gibt, findet man immer etwas, das man brauchen kann. Ich denke, das ist schon das Geheimnis.

Gab es bei diesen Projekten jemals einen Moment des Zweifels, nach dem Motto »Was habe ich mir denn dabei gedacht«?
Natürlich, aber sobald der Verlagsvertrag unterschrieben ist, gibt es kein zurück. Und die Überforderung und der Wahnwitz bei manchen Unternehmungen haben ja auch seinen Reiz.

Nicolas Mahler: Komplett Kafka. Suhrkamp Verlag 2023. 127 Seiten. 18,- Euro. Hier bestellen.

Jetzt also Kafka. Wann bist Du Kafka das erste Mal begegnet?
Ich denke so mit 16 oder 17. Da hab ich im Sommerurlaub viel gelesen, aber wie meist in dem Alter, wenig verstanden.

Deine Kafka-Biografie besticht in ihrer Einfachheit, Du willst gar nicht in Konkurrenz zu Reiner Stach oder David Mairowitz treten. Worauf kam es Dir bei der Comic-Biografie an?
Natürlich war vor allem das Mairowitz/Crumb-Buch eine Hürde, einfach aus dem Grund, weil es auch gezeichnet ist. Mit einer geschriebenen Biografie wie der von Reiner Stach kann man eine gezeichnete sowieso nicht vergleichen, schon weil man mit der Fülle an Information nicht mithalten kann. Ich hab das Crumb-Buch mit zittrigen Fingern dann doch gelesen, aber erst nachdem ich mein Skript schon geschrieben hatte. Eigentlich wollte ich es ja gar nicht lesen, um unbeeinflusst zu sein.

Ich war dann aber sehr erleichtert, dass viele Anekdoten, die mir sehr wichtig waren, bei Mairowitz/Crumb gar nicht vorkommen. Da hat vor allem der Texter echt viele Gags liegen lassen, wofür ich ihm sehr dankbar bin! Zum Beispiel, dass Kafka eine Reihe von Reiseführern plante. Auch die Fortsetzung der »Verwandlung« kommt nicht vor, eigentlich eine Todsünde. Aber bei mir ist das jetzt alles drin. Die Biografie von Stach war teilweise ein Widersacher, weil viele gute Anekdoten, die ich aus anderen Quellen hatte, bei ihm durch seine genaue Recherche widerlegt wurden.

Eignet sich Kafka gut für eine Comicbiografie oder ist er ein eher schwieriger Kandidat?
Gut ist natürlich, das jeder sofort ein Bild von Kafka vor sich hat. Im Comic arbeitet man ja, vor allem wenn man einfach und humoristisch zeichnet wie ich, sehr mit Abziehbildern und Archetypen. Da ist jemand wie Kafka natürlich ideal. Da muss man kein Bild mehr erfinden, sondern kann gleich loslegen, und mit dem schon vorhandenen Bild spielen. Interessant war auch, damit umzugehen, dass es von Kafka auch diese hervorragenden Zeichnungen gibt. Ich habe also den Stil seiner Zeichnungen mitgenommen, was mir wirklich leicht gefallen ist

Sind es eher Kafkas Texte, die Dich inspiriert haben, oder waren Biografien und Sekundärliteratur ausschlaggebender für Deine Arbeit?
Beides natürlich, wobei die Briefe und Tagebücher natürlich eine besonders ergiebige Quelle für die Biografie sind.

Hat sich bei Deinen Recherchen Dein Bild von Kafka noch einmal verändert? Was für Entdeckungen hast Du bei den Recherchen gemacht, was hat Dich besonders bewegt, was fandest Du besonders skurril?
Skurril waren Kleinigkeiten, wie Kafkas Wunsch, Bestseller zu schreiben (die Reiseführer eben), aber auch die Kollegenbeschimpfungen (Else Lasker-Schüler und Arthur Schnitzler kommen schlecht weg) waren überraschend. Dass er Wien so gehasst hat, wusste ich vorher auch nicht.

Kafka waren seine Werke zum Teil selbst ein Rätsel, schreibst Du in der Biografie und zitierst ihn dort. Bist Du denn aus den Werken schlau geworden?

Schlau würde ich nicht sagen, ich denke auch nicht so viel drüber nach, was ich aus einem »Werk« mitnehme. Ich bin ja auch sehr für Bücher, die keinen wirklichen Nutzen haben und die man nicht so richtig erklären kann.


Welche liegen Dir besonders am Herzen? Warum spielen vermeintlich weniger beachtete Geschichten wie der unvollendete Roman »Der Verschollene« oder »Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse« in Deiner Biografie so eine prominente Rolle?
Ja, das ist mir auch aufgefallen. »Der Verschollene« eignet sich einfach wegen der Charaktere und skurrilen Situationen gut zum Zeichnen und vereint viele von Kafkas Hauptthemen, auch wenn es bestimmt nicht sein gelungenstes Buch ist. Und Josefine ist eben eine Maus, die kann man als Comiczeichner sowieso nicht umgehen. Seinen Roman »Der Prozeß« kennen andererseits alle, deshalb nimmt er bei mir so einen kleinen Platz ein.

Nicolas Mahler: Kafka für Boshafte. Insel Verlag 2023. 127 Seiten. 12,- Euro. Hier bestellen.

In »Kafka für Boshafte« hast Du Textauszüge gesammelt, die die Ironie und den (schwarzen) Humor des Autors aufzeigen. Ist Humor etwas Boshaftes oder wie ist der Titel zu verstehen?
Das Buch ist Teil der schon klassischen Reihe aus dem Insel-Verlag. Da gab es schon
»Heine für Boshafte«, »Mark Twain für Boshafte«, et cetera. Die Reihe gab es schon zu meinen Studentenzeiten, deshalb hat es mich besonders gefreut, da einen Band beizusteuern. Einen Titel musste ich mir auch nicht ausdenken, weil er eben schon vorgegeben war.
 Boshaft war Kafka wohl nur in gewissem Maße, aber da ließ sich schon einiges finden.

Wann ist Kafka für Dich am stärksten?
Wahrscheinlich schon in den Tagebüchern, als Beobachter und Selbstbeobachter. Manche Passagen verfolgen mich bei meinen inneren Monologen eigentlich täglich, weil da so wie in Stein gemeisselte Sätze stehen die man sich sofort merkt. Wie zum Beispiel »Wäre ich ein Fremder, der mich und den Verlauf meines Lebens beobachtet, müßte ich sagen, daß alles in Nutzlosigkeit enden muß, verbraucht in unaufhörlichem Zweifel, schöpferisch nur in Selbstquälerei. Als Beteiligter aber hoffe ich.« (Tagebücher, 25. Februar 1915). Oder: »Was für Abende, Spaziergänge, Verzweiflung im Bett und auf dem Kanapee (7. Februar) stehn mir noch bevor, ärger als die schon überstandenen!« (Tagebücher, 5. Februar 1912). Oder: »Früher, wenn ich einen Schmerz hatte und er verging, war ich glücklich, jetzt bin ich nur erleichtert, habe aber das bittere Gefühl: wieder nur gesund, nicht mehr.« (Tagebücher, 9. März 1922). Man findet einiges davon im boshaften buch.