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Zamonien auf Speed

Walter Moers hat »Qwert« einen weiteren Zamonien-Roman abgeliefert. Diesmal schickt er eine mittlerweile 15 Jahre alte Idee auf eine Abenteuerreise durch ein komplett durchgeknalltes Setting aus immer neuen Abenteuern. Im Zentrum steht noch mehr als in den bisherigen Büchern das Erzählen als solches und seine Auswirkung auf die Realität.

Qwert Zuiopü findet sich nach einem Sturz durch ein Dimensionsloch einer Wiese wieder und ist entsprechend mitgenommen. Der Gallertprinz aus der 2364. Dimension stellt überrascht fest, dass er im Körper und der Rüstung des athletisch-attraktiven Ritters Kaltbluth steckt, den er aus Trivialromanen kennt. Viel Zeit, sich auf die neuen Umstände einzustellen, bleibt ihm nicht: Er muss, ein dreiköpfiges Monster töten, das aus einer Höhle kommt und ihn hindern will, eine gefesselte junge Frau zu befreien. Die wiederum entpuppt sich nach der Befreiung aber als ziemlich verschlagene Janusmeduse, also eine Art Harpyie mit einem freundlichen und einem bösen Gesicht, die ihn gleich mal verschleppt und bei erster Gelegenheit wieder fallen lässt, und zwar mitten in einen ganz besonders tückischen Treibsand, aus dem ihn sein Knappe rettet, aber dann müssen die beiden fliehen, weil…

Walter Moers: Qwert. Penguin Verlag 2025. 592 Seiten. 42,- Euro. Hier bestellen https://www.penguin.de/buecher/walter-moers-qwert/buch/9783328604273
Walter Moers: Qwert. Penguin Verlag 2025. 592 Seiten. 42,- Euro. Hier bestellen.

Der Zeichner und Autor Walter Moers legt mit »Qwert« einen weiteren Roman aus seiner fiktiven Welt um Zamonien vor. Zuletzt hatte er mit »Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte« eine Sammlung von Kurzgeschichten veröffentlicht, deren Ende er jeweils konsequent gegen mögliche Erwartungen baute, zumeist mit schlechtem Ausgang für die Hauptfigur. Das war zum Teil sehr lustig, aber in Summe dann doch ein bisschen erwartbar – und erinnerte darin an die TV-Serie »Game of Thrones«. »Qwert« ist da anders: Das Ende mag absehbar sein, ist aber egal, denn dazwischen passiert so viel, dass man gar nicht dazu kommt, sich über den Ausgang der Geschichte Gedanken zu machen.

An »Qwert« hat Moers nach eigenen Angaben 15 Jahre lang immer wieder gearbeitet. Die Grundidee sei gewesen, eine Welt zu schaffen, die aus purem Abenteuer bestehe, wie ein Actionfilm oder ein Videospiel, aber ohne Pausentaste, eine Art Turboversion von Zamonien. Diese Idee ist ganz klar umgesetzt: Der eigentlich eher träumerisch-zurückhaltende Qwert stolpert in hoher Geschwindigkeit von einem Abenteuer ins nächste, unterhaltsam und reich an Anspielungen, wie man es von Walter Moers gewohnt ist. Der nennt die Kapitel des Buches »Aventiuren« und setzt mit diesem mittelhochdeutschen Begriff für »ritterliche Bewährungsprobe« den Ton. Immer hart an der Grenze zur Kolportage entlang – ohne diese aber zu überschreiten – geben sich gefährliche Ritter, Kristallskorpione, per Gedankenübertragung sprechende Fleischberge und debile Eisriesen die Klinke in die Hand.

Blöd für den kampfunerfahrenen Gallertprinzen Qwert, dass in diesem Zamonien auf Aufputschmitteln so ziemlich alle Beteiligten einen gewaltigen Groll gegen Prinz Kaltbluth hegen, weil dieser offenbar alle vor den Kopf gestoßen hat – und Qwert, der so gut wie niemanden überzeugen kann, dass jetzt ein anderer in Ritter Kaltbluth steckt, muss damit umgehen. Und über alle dem schwebt die in Rittergeschichten unabdingbare Romanze. Die allerdings ist mit dem Beziehungsstatus »ziemlich kompliziert« nur unzureichend beschrieben, denn Qwert verliebt sich ausgerechnet in die unzuverlässige und mordlustige Janusmeduse.

Manchmal aber motiviert und leitet Qwert eine Stimme in seinem Kopf und verwandelt ihn zusammen mit seinem unsichtbaren Schwert in eine Kampfmaschine. Nur wegen dieser Eingebungen kann Qwert wenigstens das eingangs erwähnte dreiköpfige Monster töten und andere Heldentaten vollbringen.

Mit »Qwert« weicht Moers von seiner Praxis ab, seine Werke dem fiktiven Autor Hildegunst von Mythenmetz unterzuschieben und für sich selbst lediglich die Rolle des Herausgebers zu beanspruchen. Hier schreibt der Schriftsteller noch selber, zumindest glaubt man das erst mal. Dass der Name Ormea auf das »Orm« anspielt, die in den Zamonienromanen immer wieder beschworene Eingebung und Inspiration eines Schriftstellers, sollte aber, wie der Umstand, dass hier niemand schlafen oder essen muss, ein Hinweis sein, dass es so einfach nicht sein wird. Und schließlich ist die Hauptfigur, ein Gallertwesen, das äußerlich so unbestimmt ist wie sein Name – für »Qwert Zuiopü« müssen Sie nur die oberste Buchstabenzeile Ihrer Computertastatur einmal von links nach rechts abfahren – eine Art erzählerischer Rohmasse, ein Ausgangspunkt für eine Figur und ihre Abenteuer.

Die Zamonien-Abenteuer von Walter Moers

Tatsächlich ist Ormea eher ein Versuchsaufbau als eine Nebenwelt zu Zamonien. Nicht nur, weil Moers wie oben beschrieben eine Abenteuer-Hochgeschwindigkeitswelt erschaffen hat. In Ormea geht es noch mehr als sonst bei Moers um das Erzählen und den Bezug der Erzählung zum Autor. Ritter Kaltbluth zum Beispiel ist zwar eine Figur, die vielen Personen in Ormea persönlich bekannt ist, genau so aber kennen auch alle die gleichnamigen Romane des zamonischen Autors Graf Zamoniak Klanthu zu Kainomaz. Und niemand stört sich daran, dass die Fiktion eigenartigerweise Realität wurde.

Ganz deutlich wird es aber durch den gottgleichen »Einsamen Denker«, der von Teilen der Figuren als das Wesen verehrt wird, das die Geschicke Ormeas lenkt. Qwert gewinnt den Eindruck, dass die Stimme, die ihn in Gefahrensituationen lenkt, eine Eingebung des einsamen Denkers ist und bricht zu seinem hohen Turm auf – nur um dort auf Hildegunst von Mythenmetz zu treffen, der ebenfalls nach einem Sturz durch ein Dimensionsloch in dem hohen Turm gefangen ist und sich mit den Schreiben von Abenteuerromanen über Prinz Kaltbluth die Zeit vertreibt. Und natürlich hat Mythenmetz die Abenteuer beziehungsweise die Voraussetzungen für die Abenteuer geschaffen, die man bis dahin gelesen hat. Ormea wird dadurch zu einer Welt, in der Geschichten, die eigentlich nur erzählt werden, tatsächlich wahr sind, immer schon wahr gewesen sind, Autor aber in den selben Zwängen lebt wie die anderen Bewohner. Mit diesem Kniff schafft Moers ein Kuddelmuddel an Rückbezüglichkeiten zwischen Geschichte, handelnden Figuren und ihrem Autor, das seinesgleichen sucht.

Walter Moers: Qwert. Ungekürzte Lesung mit Andreas Fröhlich. Der Hörverlag 2025. 19 Stunden 8 Minuten. 41,95 Euro. Hier bestellen https://presse.penguinrandomhouse.de/qwert/978-3-8445-5535-6
Walter Moers: Qwert. Ungekürzte Lesung mit Andreas Fröhlich. Der Hörverlag 2025. 19 Stunden 8 Minuten. 41,95 Euro. Hier bestellen.

Das Ganze ist dabei über nahezu alle Seiten ein wunderbares Buch. Nicht nur, weil ständig etwas passiert, nicht nur wegen der vielen Ebenen der Bezüge zwischen Figuren, Werk und Autor. Moers schafft es erneut, seinen Einfallsreichtum auf eine Geschichte los zu lassen, die anderen vielleicht schon mit deutlich weniger gut genug gewesen wäre. Mit Anleihen aus allen Ecken, von antiken Mythen über Fantasyfilme, über die Nibelungen und Don Quichote kommen ständig neue Aspekte. Und nicht zuletzt schafft es Moers mehr noch als in seinen jüngsten Werken, mit seinem Humor und dem ihm eigenen Dialogwitz die Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, dass man nicht mehr aufhören möchte zu lesen.

Ein Beispiel unter vielen für den Humor der Geschichte ist, dass Mythenmetz nach seinem Besuch von Qwert unter seinen eigenen Einfällen leiden muss. Denn eine unausgegorene Idee, trotzdem niedergeschrieben, wird zum Problem: Ein Riesenmonster hat von ihm keine Schwachstellen mitbekommen, ist damit unbesiegbar und bedroht nun ganz Ormea. Und auch ihr Schöpfer kann nichts tun. Das Monster wird dennoch besiegt, aber auf eine sehr an »deus ex machina« erinnernde Art und Weise – womit sich der wahre Autor – Walter Moers- dann doch noch ins Spiel bringt

Dass am Ende sich alles in Wohlgefallen auflöst und alle wieder in ihre Dimension zurückkehren können, versteht sich da von selbst. Doch der Weg dahin, der lohnt sich.