Film

Die Hölle auf Erden

Der kambodschanische Autor und Filmemacher Rithy Panh ist unter Pol Pot durch die Hölle gegangen. Sein Leben lang hat er sich daran abgearbeitet. Bei der Berlinale präsentiert er seinen neuen Dokumentarfilm, der in seiner Vermessung der Abgründe des Menschen Lanzmann‘sche Ausmaße hat.

»Ich weiß, wo der tiefste Punkt der Erde liegt. Es ist der Mensch.« Dieser Satz fällt ziemlich früh in Rithy Panhs erschlagenden Dokumentarfilm »Irradiés«, was soviel heißt wie »Die Bestrahlten«. Es ist eine Montage von Bildern die zeigen, was der Mensch sich im 20. Jahrhundert angetan hat. Sie beginnt in den Gräben von Verdun, führt über die Vernichtungslager der Nationalsozialisten zu Hiroshima und Nagasaki, in den Napalmhagel in Vietnam und auf die Killing Fields in Kambodscha.

Der Völkermord in Kambodscha ist Panhs Lebensthema, ein großer Teil seiner Familie starb in den Arbeitslagern der Roten Khmer. Es ist also nur konsequent, dass es in seinem großen Dokumentarfilm, der nicht weniger ist als ein Lebenswerk, eine zentrale Rolle spielt und er immer wieder dahin zurückkehrt.

Der Film hat Lanzmann‘sche Ausmaße, nicht in seiner Länge, aber in seiner Fülle an Dokumenten zur Zerstörungswut des Menschen. Die erstreckt sich keineswegs nur über die Schlachtfelder der Kriege des vergangenen Jahrhunderts, sondern führt bis in die Experimentierkammern der Kriegstreiber. Unzählige Dokumente medizinischer und pseudomedizinischer Studien hat er in seinen Film einfließen lassen, die zeigen, wie skrupellos der Mensch seiner eigenen Spezies gegenüber ist, wenn er Viren und Bakterien am lebenden Objekt testet. Die Hölle auf Erden ist dem Menschen immer noch der Mensch selbst.

»Irradiés« von Rithy Panh | FRA, KHM 2020, Wettbewerb | © Rithy Panh

Natürlich wirft der Film in seiner Montage die Frage auf, ob man Verdun, Hiroshima, Nagasaki, Nanking, Hanoi und Sarajevo in einem Atemzug mit Auschwitz nennen kann, ohne die Einzigartigkeit des Holocaust infrage zu stellen. Kann man, wenn man es wie Panh macht, der keine Vergleiche anstellt, sondern zeigt, wie ähnlich die Methoden totalitärer Regime sind. Dafür hat er Unmengen an Bild- und Filmmaterial aus Archiven zusammengetragen, soviel, dass man »wahnsinnig wird«, wie er auf der Pressekonferenz einräumte, weil es »so unglaublich viel Material in den Archiven« gibt.

Zwischen die Archivaufnahmen sind theatrale Szenen geschnitten, in denen stark geschminkte Künstler wie Dämonen aus der Vergangenheit durch das Bild tanzen. In einer Szene sieht man, wie der komplett weiß geschminkte Ausdrucksartist flache Steine stapelt. Diese Szene versinnbildlicht das Vorgehen von Rithy Panh im Schnitt, wodurch der Film seine besondere Wirkung entfaltet. Die Leinwand ist für den kambodschanischen Dokumentarfilmer Fläche und Raum zugleich. Er verwendet sie, um seine Informationen neben- und übereinander anzuordnen, um sie zu stapeln. Und auch wenn der Stapel wackelt, hält er.

Genau das passiert mit seinem Material, dass niemals eins zu eins aufeinander passt, aber dennoch dem Film Halt und Struktur gibt, wenn es auf dem Split-Screen zueinander in Beziehung tritt. Dieses In-Beziehung-Treten bietet die Möglichkeit, einen Schritt zurückzumachend und sich vom unmittelbaren Eindruck des Visuellen zu distanzieren, um der Manipulationskraft des Bildes nicht zu erliegen. Das ist angesichts der immer wieder auch erdrückenden Archivaufnahmen aus den Laboren des Bösen des 20. Jahrhunderts auch unbedingt notwendig.

»Irradiés« von Rithy Panh | FRA, KHM 2020, Wettbewerb | © Rithy Panh

Das Böse bestrahlt auch die kommenden Generationen, heißt es in Rithy Panhs Film, der ein unter die Haut gehender Schrei wider diese Bestrahlung ist. Quasi eine Befreiung durch Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die in die Gegenwart hineinragt. Der kambodschanische Autor und Regisseur will seinen Film daher auch als hoffnungsvollen Beitrag verstanden wissen, als einen Aufruf zum Nachdenken und Ausdruck von Liebe.

»Überleben ist unsäglich. Aber man muss leben«, heißt es im Film. Rithy Panh beweist, dass er diese Aufgabe angenommen hat. Mehrere Filme und Bücher sind das Ergebnis seines Lebens, dass zwischen 1975 und 1979 in Scherben zersprungen ist. Nachdem er die erst viele Jahre einzeln wieder zusammengefügt hat, nimmt er die nun wieder auseinander, um sie zu einem größeren Bild hinzuzufügen. Ein Bild, in dem er kein Überlebender ist, sondern ein Lebender.

3 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.