Interviews & Porträts

Übersetzende sind ansprechbar

Thomas Weiler bei der Verleihung des Paul-Celan-Preises 2024 | © Thomas Hummitzsch

Eine Buchmesse wie in diesem Frühjahr wird Thomas Weiler so schnell nicht wieder erleben. Für seine Übersetzung der »Feuerdörfer« erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse. Seine mit dem Celan-Preis ausgezeichnete Übertragung des Romans »Europas Hunde« stand ebenfalls im Fokus, weil der belarusische Autor Alhierd Bacharevic den Preis der Leipziger Buchmesse für Europäische Verständigung erhielt. Bei der literaturkritischen Betrachtung von Übersetzungen vermisst Weiler eine echte Stilkritik und wundert sich, warum so selten die Chance genutzt wird, das Wissen der Übersetzenden zu nutzen.

Wie würdest Du den Stand der Übersetzungskritik in Deutschland beschreiben?

Ich freue mich über die wachsende Zahl an Kritiken, die zumindest kenntlich machen, dass es sich beim besprochenen Text um eine Übersetzung handelt. Kritiken, die darüber hinausgehen, die tatsächlich Stilkritik betreiben und möglicherweise sogar anschauliche Beispiele anführen, bleiben mir in Erinnerung, auch die Namen der Rezensent:innen. Luft nach oben ist reichlich, aber sie ist doch ein bisschen dünner geworden.

Welche Wendung oder Floskel zur Übersetzung, welche journalistische Strategie ärgert Dich in der Übersetzungskritik am meisten? 


Mir ist bewusst, dass die wenigsten Kritiker mit meinen Ausgangssprachen (Belarussisch, Russisch, Polnisch) etwas anfangen können, entsprechend groß ist die Vorsicht, sich überhaupt zur Übersetzung zu äußern. Ich versuche inzwischen, mich nicht mehr über »gut lesbar« und Co. zu ärgern. Jede Rezension bringt ein Stückchen Aufmerksamkeit für den besprochenen Titel, das ist erst einmal zu begrüßen. Ungehalten werde ich, wenn ich merke, dass die Kritik nur aus der flüchtigen Lektüre von Klappentext und anderen Kritiken gestrickt wurde. Oder wenn Moderatoren in Gesprächen zur Übersetzung nichts weiter einfällt als die Frage nach der größten Schwierigkeit und dem zeitlichen Aufwand.

Aktuelle Übersetzungen von Thomas Weiler

Worauf legst Du bei einer Übersetzungskritik wert? Und was kommt aus Deiner Sicht oft zu kurz?

Auch Übersetzungen, deren Ausgangssprache die Rezensent:innen nicht beherrschen, können qualifiziert besprochen werden. Ich bin ansprechbar und freue mich sogar, wenn mir vorab kluge Fragen gestellt werden. Vielfach habe ich in Arbeitsjournalen (TOLEDO, fussnoten.eu) Hintergründe zu meiner Arbeit ausgebreitet, die dürfen gerne als Quelle genutzt werden. Ich möchte aus einer Kritik erfahren, inwiefern der deutsche Text stilistisch, rhythmisch oder in seiner Bildsprache überzeugt. Und gerne auch, an welchen Stellen der Kritiker hängengeblieben ist und weshalb. Oft kommen Positivbeispiele zu kurz, »Klöpse« lassen sich besser in die Pfanne hauen.

Was würdest Du hingegen viel öfter über Übersetzungen lesen wollen?


Was für ein Geschenk, eine derart versierte, originelle Autorin entdecken zu dürfen.

Welche Übersetzung einer:eines Kolleg:in hat Dich zuletzt vom Hocker gehauen?

»Vi på Saltkråkan« (1964) kann ich nicht im Original lesen. Thyra Dohrenburg (1898-1972) hat den umfangreichsten Astrid-Lindgren-Roman vor genau 60 Jahren ins Deutsche geholt. Ich lese ihre »Ferien auf Saltkrokan« seit Jahren jeden Sommer der Familie vor. Das ist der ultimative Härtetest: Ein Übersetzer liest einen Roman laut vor kritischem Publikum, immer wieder. Und immer wieder ist es furchtbar spannend, herrlich komisch, herzzerreißend, kommen einem die Figuren und die Kräheninsel so nah, muss man beim Vorlesen schlucken. Da scheint etwas gelungen zu sein. Was für ein Geschenk, eine derart versierte, originelle Autorin entdecken zu dürfen. Und wie bedrückend die Vorstellung, was einem alles entgangen wäre, hätte hier nicht die künstlerische Intelligenz der Übersetzerin gewirkt, sondern die künstliche »Intelligenz« einer Maschine einen deutschen Durchschnittstext ausgespuckt.

Astrid Lindgren: Ferien auf Saltokran. Aus dem Schwedischen von Thyra Dohrenburg. Oetinger Verlag 2021. 336 Seiten. 18,- Euro. Hier bestellen https://www.oetinger.de/buch/ferien-auf-saltkrokan/9783789141195
Astrid Lindgren: Ferien auf Saltokran. Aus dem Schwedischen von Thyra Dohrenburg. Oetinger Verlag 2021. 336 Seiten. 18,- Euro. Hier bestellen.

1 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.