Verena von Koskull war mit ihrer Übersetzung von Gian Marco Griffis Schelmenroman »Die Eisenbahnen Mexikos« für den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 nominiert. Gerade sind die Debütromane »Die Insel und die Zeit« von Claudia Lanteri und »Verehrung« von Alice Urciuolo in ihrer Übertragung erschienen, im Frühjahr erscheint der letzte der fünf Mussolini-Romane von Antonio Scurati. Von einer echten Übersetzungskritik wagt sie kaum zu sprechen, der literaturkritische Blick auf die Texte reiche dafür nicht aus. Begeistern lässt sie sich regelmäßig von der Leidenschaft ihrer Kolleg:innen, die auf geradezu masochistische Weise für ihre Berufung brennen.
Wie würdest Du den Stand der Übersetzungskritik in Deutschland beschreiben?
Die Bezeichnung Übersetzungskritik erscheint mir trotz allem, was sich diesbezüglich in jüngerer Zeit getan hat und sich ihr dankenswerterweise zuordnen lässt, noch immer etliche Nummern zu groß. Um der Übersetzungskritik zu einer relevanten Größe, Wahrnehmung und Kompetenz zu verhelfen, bräuchte es zuerst ein viel stärkeres und breiteres Bewusstsein für das Übersetzen.
Aktuelle Übersetzungen von Verena von Koskull






Welche Wendung oder Floskel zur Übersetzung, welche journalistische Strategie ärgert Dich in der Übersetzungskritik am meisten?
Der Ärger ist zwiespältig: Wird ein übersetzter Text eingehend gelobt, werden seine besonderen Finessen benannt und hervorgehoben, der Übersetzer oder die Übersetzerin aber mit kaum einem oder gar keinem Wort erwähnt, versuche ich, meinen Unmut in Freude über das mittelbare Kompliment umzulenken. Das klappt aber nur bedingt…
Worauf legst Du bei einer Übersetzungskritik wert? Und was kommt aus Deiner Sicht oft zu kurz?
Damit die Kritik eines übersetzten Textes auch Übersetzungskritik ist, braucht es einen differenzierten, offenen Blick für die Herausforderungen des Originals, die sich in der Übersetzung abbilden. Also einen anderen Blick als den literaturkritischen. Ich glaube, dafür ist die Kenntnis der jeweiligen Ausgangssprache nicht zwingend. Ich muss nicht Komponistin, Pianistin oder Operntenor sein, um deren musikalisches Können mit entsprechender Sensibilisierung und Empfänglichkeit zu erkennen und anzuerkennen.

Was würdest Du hingegen viel öfter über Übersetzungen lesen wollen?
Es wäre doch interessant und erhellend, bei der Kritik eines Textes gelegentlich auch die Übersetzerin oder den Übersetzer selbst zu Wort kommen lassen: »Wie haben Sie das gemacht?«
Welche Übersetzung einer:eines Kolleg:in hat Dich zuletzt vom Hocker gehauen?
Ich komme leider viel zu selten dazu, Bücher in deutscher Übersetzung zu lesen, als dass ich jetzt ein besonderes nennen könnte. Was mich allerdings immer wieder vom Hocker haut, sind meine Kolleginnen und Kollegen, von denen die überwältigende Mehrheit – wie so viele in der Literaturbranche – eine Eigenschaft besitzt, ohne die es unseren Beruf womöglich gar nicht gäbe und welche bisher selbst die gewiefteste KI weit aus dem Feld schlägt: Sie brennen für das, was sie tun, brennen auf geradezu masochistische, selbstvergessene Weise dafür, nehmen die vielen Widrigkeiten in Kauf, die eindeutig gegen das Übersetzen als Broterwerb sprechen. Es gibt Ernüchterungen, Verunsicherungen, Verdruss, Überdruss, es gibt Zweifel am eigenen Können und seinen Grenzen, an der Verhältnismäßigkeit zwischen dem, was man leistet, und den Früchten, die es trägt. Und doch… In dieser Leidenschaft sind wir vereint und solidarisch.
Beiträge zum Hieronymustag 2025
- »Ich verteidige schreibend meine Existenz«
- David Szalay gewinnt renommierten Booker Prize
- Le Guins Einfluss ist überall
- Prix Goncourt 2025 geht an Laurent Mauvignier
- Sekundenbruchteile, festgehalten
- Wiederbegegnung in getrennten Räumen
- Kopflose Grüße aus Hölle
- Blick über das Nicht-Sein hinaus
- Die Schmerzen der Dichter vom Bahnhof Zoo











[…] bräuchte es zuerst ein viel stärkeres und breiteres Bewusstsein für das Übersetzen«, sagt von Koskull mit Blick auf die Literaturkritik. Das sei beim Sachbuch noch extremer als in der gehobenen Belletristik, weiß Franka Reinhart aus […]