Giorgio Agamben stellt die Welt auf den Kopf, um die politische Tradition der Gewaltenteilung einem theologischen Prinzip zu unterstellen. Die Lehre von den Dingen, die das Wesen Gott nicht vermag, wird bei ihm zum »Paradigma der Unterscheidung« von Herrschaft und Regierung.
Giorgio Agamben gilt als der geistige Vater eines Manifests, welches im Herbst 2010 für Wochen das deutsche Feuilleton in Atem hielt. Es handelt sich dabei um das Büchlein Der kommende Aufstand eines sogenannten Unsichtbaren Komitees. Diese linksrevisionistische Kampfschrift ist eine kapitalismuskritische Gegenwartsanalyse, deren unbekannte Autoren sich auf nationalistisch eingefärbte Denker wie Carl Schmitt oder Martin Heidegger berufen. Ausgehend von Frankreich kursiert dieses Manifest durch Europa und sorgt für Spekulationen. Der wahrscheinliche Verfasser von Der kommende Aufstand Julien Coupat ist nicht nur Schüler, sondern ein Freund des italienischen Philosophen. Bereits der Titel scheint eine Hommage an Agambens Aufsatz Die kommende Gemeinschaft zu sein, die Berufung auf Schmitt und Heidegger eine Reminiszenz an dessen Denkschule.
Der an der Universität Venedig lehrende Philosophieprofessor gilt in bürgerlich-konservativen Kreisen seit einigen Jahren als Koryphäe. Spätestens seit seinen Schriften zum Homo Sacer gilt er als Autorität, die mehr über die Abgründe des europäischen Rechtssystems sagen könne, als jeder andere. Nun hat sich Agamben der Frage nach dem Zusammenhang von Herrschaft und Herrlichkeit zugewandt (im Untertitel des Untertitels als Homo Sacer II.2 angekündigt). Wer bisher unsicher war, ob der Italiener nur gern in Anlehnung an die christliche Religion schreibt oder selbst religiös ist, erhält mit dieser tiefgreifenden Schrift eine klare Antwort. Mit diesem Buch vollzieht Agamben einen mentalen Wandel vom Philosophen zum Theologen – aber dazu später mehr.
Ausgang seiner Betrachtung ist die Frage, warum Institutionen der Macht Herrlichkeit benötigen? Angesichts der Funktionalitäten unserer Mediengesellschaft meint man, schnell eine Antwort auf diese Frage bei der Hand zu haben, Agamben ist dies jedoch nicht hinreichend plausibel. Er unterstellt einen völlig anderen Zusammenhang, nämlich den, dass sich die Institutionen der Macht in ihrer historischen Genese an dem ewigen Paradigma der politischen Theologie, »die die Transzendenz der souveränen Macht in dem einen Gott begründet« und der ökonomischen Theologie, der Ordnung des göttlichen und menschlichen Lebens. Ausgehend von der These des Kronjuristen der Nationalsozialisten Carl Schmitt, »alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre [seien] säkularisierte theologische Begriffe« stellt Agamben in seiner neuen Schrift die politische Sphäre auf göttliche Füße. Ganz nach dem Motto: Da die Engel den Herrn auch schon vor der mediengeilen Gesellschaft besungen haben, muss es einen anderen Grund für den Zusammenhang von Macht und Herrlichkeit geben, als der Wunsch oder das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.
Seine Theologie – und dieser Begriff ist an dieser Stelle nicht zufällig gewählt – basiert auf dem Bild der theologischen Monarchie, die in der Formel »Le roi règne, mais il ne gouverne pas« (dt. Der König herrscht, aber er regiert nicht) gipfelt. Ganz im Sinne des Gottesgnadentums, wonach der weltliche Kaiser lediglich die Exekutive des Allmächtigen auf Erden darstellt, sieht Agamben die politische Ordnung strukturiert, unabhängig welche Gestalt sie heute konkret hat. Dies zieht sich durch das gesamte Buch, was es schwierig macht, dies tatsächlich ernst zu nehmen. Die zu schlagende Brücke in die Gegenwart gelingt ihm nicht, stets bleibt er der Kirchenhistorie verhaftet.
Seine Ausführungen konzentrieren sich dabei von Anfang an auf den Begriff der Ökonomie im aristotelischen Sinne, also der Entgegensetzung von Staatsmann und König. In aller Ausführlichkeit ergründet Agamben Wesen und Vorstellung dieses göttlichen Konzepts. Dabei versucht er den Widerspruch zwischen dem Wesen Gottes als demjenigen, »der Himmel und Erde geschafft hat« einerseits und einer trinitarischen Gliederung der göttlichen Praxis andererseits theologisch aufzulösen. Diese Auseinandersetzung ist hochspannend, auch wenn sie sich zuweilen mühsam lesen lässt. Er beruft sich dabei u.a. auf Hippolyt (»Der Vater ordnet an, der logos führt aus, und der Sohn tut sich kund, durch den an den Vater geglaubt wird. Die Ökonomie der Harmonie führt zu einem einzigen Gott«), um die Dreifaltigkeit Gottes nicht seinem Sein, sondern seiner Praxis zuzuordnen. Die Trinität Gottes als Ökonomie verlegt Agamben auf die Ebene der göttlichen Praxis. Diesen Umschwung benötigt er, um der theologischen Sicht auf die Welt eine weltliche Sicht der Theologie zu unterstellen, der zufolge sich diese Dreiteilung in den aktuellen politischen Ordnungen wiederfindet, bspw. als Exekutive, Legislative und Judikative.
Die Lehre von den Dingen, die das Wesen Gott nicht vermag, wird zum »Paradigma der Unterscheidung der Macht von ihrer Ausübung, der Unterscheidung von Herrschaft und Regierung«. Führung und Verwaltung sind die Pole, an denen Agamben das göttliche und das irdische Prinzip genealogisch ausgerichtet sieht.
Diese »geheimen theologischen Verbindungen«, die er in der politischen Tradition zu erkennen meint, gibt es so nicht. Statt mögliche theologische Wurzeln in diesen Traditionen zu suchen, geht der Italiener den umgekehrten Weg und versucht aus theologischen Schriften die politische Ordnung zu begründen. Das jedoch ist Theologie, keine Philosophie. Die Ablösung der Philosophie durch die Theologie vollzieht Agamben insbesondere im zweiten Teil seines Buches, in dem er sich mit der Vorsehung, Engelsgesängen und dem Topos der Herrlichkeit auseinandersetzt.
Seine Ausführungen hier bedingen die Grundannahme einer Existenz Gottes. Allein die Tatsache, dass »die begriffliche Unterscheidung zwischen einer allgemeinen Ordnungsmacht und einer ausführenden Gewalt im theologischen Bereich früher [auftaucht] als im politischen«, reicht nicht aus, um von einer Genese der politischen aus der theologischen Ordnung heraus zu sprechen. Dass theologisch-rechtliche Begriffe wie Herrschaft und Regierung sich inzwischen zu politisch-rechtlichen Kategorien entwickelt haben, ist weniger Beweis für einen inhaltlichen Zusammenhang als vielmehr für die historische Verfügbarkeit von Schreibkompetenz. Denn sowohl die griechischen Philosophen als auch die christlichen Theologen waren in ihrem Denken nicht nur Gottesorientiert, sondern auch mit dem Alleinstellungsmerkmal der Schreibkompetenz ausgestattet. Ihr Zurückgreifen auf Begrifflichkeiten für die Beschreibung ihres Weltbilds, die auch in einer säkular ausgerichteten Gegenwart Verwendung finden, lässt kaum Rückschlüsse auf mögliche theologische Ursprünge der aktuellen politischen Ordnung zu.
Als sprachphilosophisches Werk wäre Agambens Herrschaft und Herrlichkeit durchaus interessant und lehrreich. Der Philosoph spricht hier aber nicht über Sprachwurzeln oder historische Ableitungen des Sprachgebrauchs, sondern über »göttliche Prinzipien« und »himmlische Ordnungen« im Zusammenhang mit der politischen Tradition der Moderne. Als solches ist dieses Werk das Dokument eines Gläubigen, der die politische Ordnung auf den Kopf stellt, um sie mittels religiöser Denkstrukturen neue Wurzeln schlagen zu lassen.