Olympe de Gouges setzte sich in einer männerdominierten Gesellschaft für die Unterdrückten und Minderheiten ein, weil jeder Mensch eine eigene Würde besitzt. Ihre »Erklärung für die Rechte der Frau und der Bürgerin« ist ein Grundlagenwerk des Feminismus. Ein gewaltiger Comic erinnert an eine der schillerndsten Persönlichkeiten der europäischen Aufklärung.
»Eine Stunde dauert die Fahrt von der Conciergerie durch die belebten Straßen von Paris bis zur Place de la Révolution, auf der die gewaltige Freiheitsstatue steht. Es ist kalt, die Temperatur liegt nur wenige Grad über null. Olympe friert in ihrem armseligen Kleid, und die Fesseln lassen sich das Blut in ihren kalten Armen stauen. Die gaffende Menge am Straßenrand und in den Fenstern der Häuser zeigt kein Mitleid mit der zum Tode Verurteilten. Schließlich wird die Guillotine sichtbar, die in der Mitte des Platzes auf einem erhöhten Podest aufgebaut worden ist. Sie ist umdrängt von Blumenmädchen, Limonadenverkäufern und fliegenden Händlern, die sich ihre guten Geschäfte nicht entgehen lassen wollen. Der Karren hält. Olympe steigt herab. Ihre letzten freien Schritte außerhalb des Wagens führen sie auf die Plattform des Schafotts. Von der Höhe blickt sie gefasst auf die Menge und ruft ihr zu: »Kinder des Vaterlandes, ihr werdet meinen Tod rächen.«
Mit diesen Worten schildert der Literaturwissenschaftler und Germanist Manfred Geier die letzten Minuten im Leben der Frauenrechtlerin und Feministin Olympe de Gouges, die am 3. November 1793 – im Zuge der Umstürze der Französischen Revolution – auf dem Place de la Révolution hingerichtet wird. Die Französin ist eine der wichtigsten und schillerndsten Aufklärerinnen Europas, die zu den wenigen Frauen gehörte, die sich in den Kreisen der Salonisten um Voltaires, Rousseau und Kant sowie der Enzyklopädisten um Diderot und Holbach bewegten. Im Bielefelder Splitter-Verlag ist mit Die Frau ist frei geboren ein monumentaler Comic erschienen, der an das aufregende und ungewöhnliche Leben der ersten Frauenrechtlerin Europas erinnert.
Comics sind hierzulande ein in ihrer erzählerischen Kraft immer noch unterschätztes Medium. Völlig zu Unrecht, wie das Autorenduo Catel Muller (Zeichnungen) und José-Louis Bocquet (Text) mit diesem Schwergewicht an Comic beweisen. Natürlich musste dieser erst aus dem europäischen Heimatland der Text-Bild-Lektüre zu uns kommen. In Frankreich erschien der Comic im renommierten Verlagshaus Casterman – einer Art Suhrkamp-Verlag in der französischen Verlagslandschaft. Auf über 400 Seiten entfalten Muller und Bocquet in halbrealen Schwarz-Weiß-Zeichnungen das Leben und Wirken von Olympe de Gouges. Dabei stellen sie, wie schon in ihrem ersten Werk über Kiki de Montparnasse, die biografische Erzählung von Olympe de Gouges auf kluge Weise in den Kontext der politischen Verhältnisse und philosophischen Debatten ihrer Zeit, so dass dieser historische Comic nicht einfach nur die Biographie einer beeindruckenden Dame nacherzählt, sondern den geistesgeschichtlichen Wandel der Aufklärung vor Augen führt.
Der Comic beginnt mit der Geschichte von Olympe de Gouges Mutter, einer selbstbewussten Frau, die sich nicht in die Rolle der Ehefrau als Wahrerin der gesellschaftlichen Reproduktion zwängen lassen wollte. Einer ihrer Geliebten lässt sie jedoch schwanger und ehrlos sitzen, was die Mutter und ihre Tochter in einer für damalige Verhältnisse äußerst nachteilige Situation bringt. Olympe de Gouge wird dieses Schicksal später in einem anonymen Briefroman verarbeiten, in dem sie mit ihrem leiblichen Vater abrechnet. Von diesem, einem erfolgreichen Dichter und Theaterautor adeliger Herkunft, wird Olympe de Gouges, die als Marie Gouze geboren wurde, nicht nur ihren adelig klingenden Namen herleiten, sondern auch sein Talent, pointiert zu formulieren, erben.
Olympe de Gouges Schriften waren von Anfang an sozialkritisch und reflektierten die damaligen Verhältnisse, die sie umgaben. Der Comic führt dies wunderbar vor, de Gouges‘ Traktate und Dramen, Romane und Aufrufe ziehen sich als roter Faden durch die Erzählung. Sie bilden die narrative Brücke zwischen den biografischen Erlebnissen der Feministin und den gesellschaftspolitischen Umständen, die sie bewegten.
Der emanzipatorische Impetus ist aufgrund ihrer eigenen Geschichte von Anfang an Teil ihres Schreibens. In ihren Memoiren schreibt sie gegen die juristische Rechtlosigkeit der entehrten Mütter mit ihren »Bastard«-Kindern an, in ihrem ersten Drama macht sie sich für die »ehrlosen« Sklaven stark, die unter der Knute der weißen Kolonialherren zu leiden haben. Olympe de Gouges ging es immer um die grundsätzlichen Rechte des Individuums. Dieser Grundgedanke zieht sich durch den gesamten Comic und gipfelt schließlich in ihrer Erklärung für die Rechte der Frau und der Bürgerin, die just mit dem Satz beginnt, der auf dem Titel dieses Comics steht.
Auf faszinierende und ergreifende Weise erzählen Catel und Bocquet von den persönlichen Motiven Olympe de Gouges, wie sie von der empörten Tochter eines feigen Adelsmannes zu einer der wichtigsten gesellschaftspolitischen Denkerinnen wurde. Beziehungen wusste sie dabei stets zu nutzen, sei es, um Kontakte zu anderen Denkern und Autoren zu knüpfen, um Möglichkeiten der Publikation zu finden oder um ihre Gedanken in die einflussreichsten gesellschaftlichen und politischen Kreise einzuschleusen. Dies wird besonders während der Französischen Revolution wichtig, in der die Pariser Frauen eine bedeutende Rolle gespielt haben, als es darum ging, die Machtverhältnisse zu ändern. Sie selbst profitierten davon aber nicht, blieben unfreiwillig am Gängelband ihrer Gatten. Olympe de Gouges ging dies gewaltig gegen den Strich, Frauen sollten ihr »Anrecht auf Gleichheit« geltend machen.
Am Rande erzählen Bocquet und Muller hier vom Siegeszug des Humanismus im Rahmen der Aufklärung. Die aufkommende Kritik an der ebenso verträumten wie strikten Religiosität der herrschenden Klassen bildet dabei nur einen Teil ab. Die in den Vordergrund drängenden Debatten über die Würde eines jeden Menschen, über die grundsätzliche Notwendigkeit der medizinischen Behandlung von Krankheiten bis hin zur Frage, was ist menschenwürdige Strafe und menschenwürdiges Sterben. So weiß kaum noch jemand, dass Dr. Joseph Ignace Guillotin nicht nur der unfreiwillige Namensgeber des wichtigsten Tötungsapparats der Revolution war, sondern auch ein zutiefst von humanistischem Gedankengut durchdrungener Mann, der eine Verallgemeinerung der Todesstrafe ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Stellung und Schwere der Tat forderte. Was aus heutiger Sicht radikal klingt, wird in seiner humanistischen Prägung vor dem Hintergrund der historischen Wirklichkeit deutlich: Denn die Strafkultur im 18. Jahrhundert war nicht nur geprägt von einer unterschiedlichen Wertigkeit des Menschen je nach Herkunft, sondern auch von solch barbarischen Mitteln wie Hängen, Vierteilen, Rädern oder dem Einflößen flüssiger Metalle. Vor diesem Hintergrund war das schnelle Guillotinieren eine fortschrittliche Technik. Bocquet und Muller erzählen viele von diesen kleinen Geschichten, die man im Detail auch noch einmal im Anhang nachlesen kann. Das Autorenduo zeigt, dass der moderne Humanismus als Weltanschauung, in der die Würde des Menschen ins Zentrum des Denkens und Handelns, sowohl bei Gläubigen als auch bei Ungläubigen, rückt, hier seinen neuzeitlichen Ursprung hat.
»Niemand darf wegen seiner Meinung, auch wenn sie grundsätzlicher Art ist, verfolgt werden. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Rednertribüne zu besteigen.« Mit diesen Worten – Bocquet hat den Text für den Comic etwas salopper gefasst – machte sich Olympe de Gouges für die Meinungsfreiheit sowie für die Gleichstellung von Mann und Frau stark. Eine Freiheit, die sie selbst nie aufgeben wollte und die sie während der Französischen Revolution zwischen alle Fronten geraten ließ. Als Revolution auf Gegenrevolution stieß, König Ludwig XVI. und seine Frau Marie Antoinette hingerichtet wurden, Jacobiner und Sansculotten aneinandergerieten und Robespierre sein Terrorregime installierte, begriff sie sofort, dass die Revolution dabei war, ihre Kinder zu fressen. Sie wollte der Raserei ein Ende bereiten und fordert eine freie Entscheidung der Bürger zwischen Republik, Föderation und Monarchie. Als sie das Plakat Die drei Urnen mit dieser Forderung aushängen ließ, hatte das Revolutionstribunal bereits auf den Tod untersagt, die Republik in ihrer Einheit anzugreifen. Die Forderung einer Wiedereinführung der Monarchie war gleichbedeutend mit einem solchen Angriff. Er führte Olympe de Gouges auf das Schafott, noch bevor sie die Rednertribüne erobert hat.
Das Rednerpult haben nach Olympe de Gouges andere Frauen erobert, aber ohne ihren freimütigen Einsatz für die grundlegenden Menschenrechte wäre die nachhaltige gesellschaftliche Emanzipation von den patriarchalen Verhältnissen nicht denkbar gewesen. Wenngleich schon Kant feststellte, dass jeder Mensch eine »Selbstzweckhaftigkeit« und individuelle Würde besitzt, hieß das noch lange nicht, dass auch jede Person davon Gebrauch machen können sollte. Frauen waren zu Zeiten der Aufklärung zwar nicht bedeutungslos, aber blieben nahezu vollkommen von jeglicher Einflussmöglichkeit ausgeschlossen. Sie blieben abhängig von der Güte ihres Gatten. In die Abhängigkeit der Ehe hat sich Olympe de Gouges nicht begeben. Aus ihrer individuellen Freiheit heraus hat sie sich ihren kritischen Blick auf die Gesellschaft bewahrt, war aber – auch das zeigt dieses bemerkenswerte Werk – Zeit ihres Lebens auf die Unterstützung ihrer vielen Verehrer angewiesen, um ihre Sicht auf die Dinge öffentlich vorbringen zu können. Diese Sicht ist geblieben, war nicht mehr aus der Welt zu schaffen, auch nicht durch ihren Tod. Dieser umfangreiche Comic erzählt davon.
[…] der Geschlechter oder den Umgang mit der Lust deutlich. Einzig ein weiterer Blick auf Frauen wie Olympe de Gouges fehlt hier. Wer hier mehr erfahren will, muss zu Manfred Geiers Aufklärungsbuch greifen. So lässt […]
[…] den Salonisten einging. Geier stellt dies nun endgültig klar mit seinem – wenngleich kurzen – Porträt der Olympe de Gouges, die eine eigene Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin aufsetzte, weil diese in der […]