Erzählungen, Klassiker, Literatur

Rückblick auf einen traurigen Fürsten

Mit seinen Berichten und Reportagen aus der Parallelwelt der Gutbetuchten hat sich Truman Capote ebenso viele Freunde wie Feinde gemacht. Er verstand es wie kein anderer, den Schönen und Reichen lange genug den Honig um den Bart zu schmieren, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. Und zugleich nahm er kein Blatt vor den Mund, wenn es anschließend darum ging, diese bestmöglich zu verwerten.

Der unvergleichliche Marlon Brando tobte, nachdem Truman Capotes Reportage »Der Fürst in seinem Reich« erschienen war. Anlass war Capotes Brando-Porträt, in dem er Eindrücke und Gespräche von und mit dem Schauspieler bei Dreharbeiten in Japan verarbeite, insbesondere Brandos Starallüren. Für Capote waren Sie allesamt Belege des verzweifelten Ringens eines einsamen, seelenverlorenen Kindes um die Anerkennung und Liebe der (alkoholkranken – auch das Detail ließ Capote nicht aus) Mutter. »Dieses kleine Schwein hat mir gesagt, es werde nichts von den Dingen sagen, die wegzulassen ich es gebeten hatte, und es hat sie alle drucken lassen. Ich bringe ihn um.«

Besagtes Brando-Porträt eröffnet den mehr als 900 Seiten dicken Reportage-Band »Die Hunde bellen«, der alle journalistischen Arbeiten Capotes versammelt. Mit diesem opulenten Werk, 1973 im Original erschienen, schloss der Verlag Kein & Aber im vergangenen Jahr seine achtbändige Zürcher Werkausgabe ab. Die darin enthaltenen Porträts (u.a. von Marilyn Monroe, Charlie Chaplin, Humphrey Bogart, William Somerset Maugham und eben Marlon Brando) lassen in Details schon den Ton für den späteren, unvollendeten Roman Erhörte Gebete anklingen. Dieses letzte Werk des Amerikaners war seine persönliche Abrechnung mit der weltweiten High Society.

capote_schuber
Anuschka Roshani (Hrsg.): Truman Capote: Werke. Zürcher Ausgabe in 8 Bänden. (Band 1 – Sommerdiebe, Band 2 – Andere Stimmen, andere Räume, Band 3 – Baum der Nacht, Band 4 – Die Grasharfe, Band 5 – Frühstück bei Tiffany, Band 6 – Die Hunde bellen, Band 7 – Kaltblütig, Band 8 – Erhörte Gebete). Aus dem Amerikanischen neu übersetzt von Marcus Ingendaay, Thomas Mohr, Ursula-Maria Mössner, Friedrich Podszus, Annemarie Seidel, Heidi Zernig. Verlag Kein & Aber 2008. 2954 Seiten. 129 Euro. Hier bestellen

Der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer, neben Gore Vidal einer von Capotes strengsten Kritikern aus dem Kollegenkreis, prophezeite schon 1959 das Sprengstoffpotential, welches in Capotes exklusiven Beziehungen zum Jetset lag. »Ich vermute, er schwankt zwischen den Attraktionen der Society, die ihren Spaß an ihm hat und ihn daher entschädigt für seine einzigartigen Gaben, und dem Roman, den er aus dem wahren Leben der Klatschkolumne gestalten könnte, ein großes Werk, aber es würde ihn für immer aus seiner bevorzugten Welt verbannen.«

Der Klatschkolumnen-Roman »Erhörte Gebete« erschien erst posthum, so dass Capote zum Zeitpunkt der Publikation schon nicht mehr von dieser Welt und damit auch kaum mehr aus seiner bevorzugten zu verbannen war. Und dennoch scheint es so, als wäre das kollektive Vergessen seines Werkes in den achtziger und neunziger Jahren eine Art Strafe für sein schonungsloses und doch abgrundtief ehrliches Schaffen gewesen. Inzwischen erinnern sich seine Leser an das, was er gewöhnlich antwortete, wenn sich wieder einmal ein A-, B- oder C-Sternchen über seine Enthüllungen empörte: »Ich begreife gar nicht, warum alle so verstört sind. Was dachten sie wohl, wen sie bei sich hätten – einen Hofnarren? Sie hatten einen Schriftsteller vor sich.« Und was für einen.

Genau aus diesem Grund haben sich Capotes Werke mittlerweile aus dem Dunkel erhoben und erstrahlen wieder in vollem Glanz, angefangen von seinem erst 2004 entdeckten Erstling »Sommerdiebe« und dem Debütroman »Andere Stimmen, Andere Räume« über die Folgeromane »Die Grasharfe«, »Frühstück bei Tiffany«, »Kaltblütig« und »Erhörte Gebete« bis hin zu den gesamten Short Storys – darunter auch die preisgekrönten Erzählungen »Miriam« und »Die Tür fällt zu« in dem Band »Baum der Nacht« sowie seinen journalistischen Arbeiten in »Die Hunde bellen«. All diese Werke belegen eindrucksvoll Klasse und Rang seiner Arbeiten. Capotes Literatur ist wie eine Welle, die ebenso erschlagend wie erfrischend ist.

Als Autor schuf Truman Capote auch ein neues Genre, den nicht-fiktionalen Tatsachenroman, oder anders gesagt, den erzählenden Journalismus. Höhepunkt dieser auf Fakten basierenden Schreibkunst war zweifellos sein Roman »Kaltblütig«, gleichzeitig Untersuchung eines Familienmordes in der Kleinstadt Holcomb sowie Psychogramm der beiden Täter Perry Smith und Richard (Dick) Hickock. Für diesen Tatsachenroman tauchte Capote mehr als sechs Jahr komplett ab, verließ den Jetset und begab sich in die dunkle Unterwelt.

Er besuchte unzählige Male Smith und Hickock in ihren Zellen, während sie auf den Vollzug ihres Urteils (Tod durch den Galgen) warteten. Lange Zeit blieben ihm beide Täter fremd, Smith noch mehr als Hickock. Capote führte (anfangs gemeinsam mit seiner Freundin Harper Lee) mehr als einhundert Interviews mit anderen Todeskandidaten, nur um die Situation der beiden besser zu verstehen, um in ihre Gedankenwelt vordringen zu können. Was ihn – ganz nebenbei bemerkt – zu einem von zwei Personen weltweit macht, die sowohl den beiden Kennedy-Brüdern John und Robert als auch ihren Mördern Harvey Oswald und Sirhan Bishara Sirhan persönlich begegnet sind.

Für Perry Smith und Richard Hickock wollte Capote ein Bruder im Geiste werden. Es gelang ihm. Für beide wurde er zum Vertrauten, zum Beichtvater, zum letzten Gesprächspartner und Zeugen ihrer Hinrichtung. Die Urteilsvollstreckung blieb für den sensiblen Capote ein lebenslang anhaltendes, traumatisches Ereignis (erkenntnisreich für die vielen Motive und Vorgehensweisen ist das Interview mit der New York Times, dass sich in George Plimptons gerade erschienenem Berichte- und Gerüchteband Truman Capotes turbulentes Leben kolportiert von Freunden, Feinden, Bewunderern und Konkurrenten befindet). Der daraus resultierende Tatsachenroman Kaltblütig – in Capotes Augen »ein ganz perfektes Buch« – stürmte die Bestsellerlisten, brachte ihm Millionen US-Dollar (sowie riesige Vorschüsse für eventuelle Folgewerke) ein und gehört heute zu den Klassikern der Kriminalliteratur.

George Plimpton: Truman Capotes turbulentes Leben kolportiert von Freunden, Feinden, Bewunderern und Konkurrenten. Aus dem Amerikanischen von Yamin von Rauch. Rogner & Bernhard Berlin 2014. 496 Seiten. Euro 29,95. Hier bestellen

Capotes Arbeitsstil war der eines Besessenen. Mit geradezu manischer Akkuratesse überarbeitete er seine Texte. »Ich muss nach Hause und das überarbeiten, was ich heute morgen geschrieben habe«, soll er seiner Freundin Judy Green immer wieder entgegnet haben, wenn sich diese mit ihm getroffen hatte. Unzählige Male las er seine Manuskripte vor der Abgabe, strich Passagen wieder heraus, änderte die Satzstellung und tauschte einzelne Wörter aus, bis sie die Schärfe besaßen, die noch heute den Reiz der Lektüre von Capotes Literatur ausmachen. Der Stil überwiegt bei ihm den Inhalt. Sein Motto lautete: »Das was ein Künstler zum Thema erhebt, ist weniger wichtig, als die Art, wie er es zu diesem macht.« Dies hat seine Werke zu dem gemacht, was sie geblieben sind: Zeitlos genial. Bei Romanen mag dies nicht unbedingt außergewöhnlich sein, bei Kurzgeschichten vielleicht auch nicht. Aber das journalistische Arbeiten heute noch genauso viel Aussagekraft und Aktualität besitzen wie vor dreißig, vierzig und sogar fünfzig Jahren, ist außergewöhnlich.

In »Die Hunde bellen« sind die Perlen seiner journalistischen Arbeit enthalten, wie die Reportage über seine (nur bestes Marihuana rauchende) Putzfrau Mary Sanchez, die er einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitete (»Ein Tagwerk«), seine Kriminalreportage über die mysteriöse, aber nie aufgeklärten Serienmorde in einer amerikanischen Kleinstadt (»Handgeschnitzte Särge«) oder aber sein Bericht von der Reise der amerikanischen Operntruppe »Porgy und Bess« ins stalinistische Russland (»Die Musen sprechen«). Diese Texte entlarven ebensoviel, wie sie geheimnisvoll im Dunkel lassen. Sie sind ebenso einfühlsam und intim, wie sie einen respektvollen Abstand des Schreibers vor seinen Objekten wahren. Und es sind ebenso sehr originell komponierte Hirngespinste eines Schriftstellers, wie es echte Reportagen über die sozialen und politischen Verhältnisse seiner Zeit sind.

Capote war nicht nur einfach ein Schriftsteller. Capote war ein Dandy, ein ziemlich schräger, exzentrischer und in aller Eitelkeit auch verlorener Spieler, wie George Plimpton in seiner »Oral History« Truman Capotes »turbulentes Leben kolportiert von Freunden, Feinden, Bewunderern und Konkurrenten« in vielfältigen Berichten und Kolportagen deutlich macht. Darin wird Capote mal als »kreischende Xanthippe«, mal als schreibendes »Genie« bezeichnet, mal als genialer Reporter gerühmt und mal als hinterhältiger Schmierfink denunziert. Was auch daran lag, dass es kein Geheimnis gab, das bei Capote sicher aufgehoben sein konnte. Je nach Laune und momentaner Auffassung bereitete es dem Dandy ein diebisches Vergnügen, die lauten und leisen Geheimnisse der High Society zu verarbeiten oder kundzutun.

Lawrence Grobel: Truman Capote. Ich bin schwul. Ich bin süchtig. Ich bin ein Genie. Ein intimes Gespräch mit Lawrence Grobel. Mit einem Vorwort von James A. Michener. Aus dem Amerikanischen von Thomas Lindquist. Kein & Aber Verlag 2017. 277 Seiten. 8,90 Euro. Hier bestellen

In seinen Klatschroman »Erhörte Gebete« sollte angeblich das folgende Camus-Zitat einfließen: »Man sagt nie mehr als ein Viertel von dem, was man weiß; sonst würde alles zusammenbrechen. Man sagt so wenig, und schon fangen sie an zu schreien.« Ob es tatsächlich nicht mehr als ein Viertel seines Insiderwissens war, was Capote in seinen Roman hat einfließen lassen, ist bis heute kaum auszumachen. Sicher ist aber, dass es genug war, um alle zum Schreien zu bringen.

Wenn man so will, war Truman Capote der Whistleblower seiner Zeit, indem er das, was er von den Schönen und Reichen – eine Gesellschaftsschicht, von der sich Capote gleichermaßen hingezogen wie abgestoßen fühlte – wusste, literarisch verarbeitete. Sowohl Plimpton als auch Capote-Biograf Gerald Clarke machen dies mit Hilfe der mündlichen Aussagen von Zeitgenossen und Zeitzeugen anschaulich. Bei Plimpton drehen diese den Spieß nun um und berichten – chronologisch sortiert – ihre Sicht der Dinge. Durch die Brille der anderen betrachtet setzt sich Truman Capotes Leben nicht nur kaleidoskopartig zusammen; mit jeder neuen Perspektive verschiebt sich auch gleichermaßen der Gesamteindruck, als würde man an eben diesem Kaleidoskop drehen. Deshalb sieht dieser »TC« auch gleichermaßen selbstverliebt wie selbstverloren aus. Truman Capote, der das Leben vollkommen aus kostete, sämtliche Dimensionen des Da- und Bewusstseins durchlebte und dessen am Ende überdrüssig und müde war.

Truman Capote | Foto: Roger Higgins, 1959

Mehr als einmal endete Capote im absoluten Delirium, einem Rausch aus Alkohol, Drogen und Übermut. Das gehörte für ihn zu seinem exzentrischen Künstlerdasein. In seinen literarischen Selbstgesprächen sagt er zu seinem fiktiven Zwilling »Ich bin Alkoholiker. Ich bin drogenabhängig. Ich bin homosexuell. Ich bin ein Genie. Selbst mit diesen zweifelhaften Qualitäten könnte ich noch ein Heiliger sein. Aber keine Bange, ein Heiliger bin ich nicht.« Dieser Auszug veranlasste auch den Journalisten Lawrence Grobel zu seinem Buchtitel »Ich bin schwul. Ich bin süchtig. Ich bin ein Genie«, in dem er seine Gespräche mit Capote posthum veröffentlichte.

Die große Schwäche dieser Gespräche besteht darin, dass der Journalist Grobel dem Schlitzohr Capote darin zu keinem Zeitpunkt das Wasser reichen kann. So bereitet Grobel ihm einmal mehr eine Bühne zur Selbstproduktion, statt tatsächlich hinter die Kulissen des innerlich auch tief verunsicherten Capote zu schauen. Warum es dennoch lesenswert ist, liegt auf der Hand. Hier kann man Capote posthum live on stage erleben und sich von seinem rhetorischen Talent überzeugen lassen. Denn argumentativ war Capote ein Gigant seiner Zeit. Hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes sollte man bei der Lektüre dieser Gespräche stets bedenken, dass hier ein hoch talentierter und intelligenter Giftzwerg spricht, der auch ohne Anlass auszuteilen weiß.

Gerald Clarke: Truman Capote. Eine Biografie. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Stein. Verlag Kein & Aber 2007. 767 Seiten. 28,- Euro. Hier bestellen

Truman Capote war Schlitzohr und Sensibelchen zugleich. Er kannte die Welt ganz oben und die ganz unten, ging im New Yorker UN-Plaza-Hotel ebenso ein und aus wie zwischenzeitlich in den Todestrakten der amerikanischen Gefängnisse. Capote lebte von dem, was ihn umgab, indem er es, was immer es war, zur Kunstform erhob. Und er lebte davon, andere in den Dreck zu ziehen, wenn er es für richtig hielt. Capote war auf dem Höhepunkt seiner Karriere ein Mensch mit Einfluss und Macht. »Die Leute hatten Angst vor Capote, keine Frage. Alle, außer vielleicht Gore Vidal. Er war vermutlich der einzige Mensch, der keine Angst vor Capote hatte und die öffentlichen Schlachten mit ihm sogar genoss. Sie waren richtige Erzfeinde. Vidal verklagte Capote schließlich wegen übler Nachrede. Capote erlitt eine schmachvolle Niederlage, und die öffentliche Fehde endete«, lässt Plimpton den New Yorker Buchhändler Andreas Brown berichten.

Mit nur 15 Jahren fing Truman Capote als jüngster Mitarbeiter beim New Yorker an und stieg in kürzester Zeit nach oben auf. 45 Jahre später war er – krank, abhängig, am Boden zerstört – ganz unten angelangt. Aus dem so selbstsicheren und ausgelassenen Capote war am Ende ein unsicherer und geradezu tragischer Truman geworden. Keiner macht dies eindringlicher deutlich, als Capotes einziger Biograf George Clark, dessen »unschätzbare Hilfe« auch Plimpton anführt. In der Lebensgeschichte des Schriftstellers zeichnet Clark diese Entwicklung mit all ihren euphorischen und depressiven Momenten auf mehr als 700 Seiten nach. Clark lässt den Leser noch einmal in die Capote-Welt eintauchen und mitschwimmen. Wer seine Capote-Biografie und Plimptons gesammelte Überlieferungen nebeneinanderliegt und parallel liest, wird Capotes Werk mit anderen Augen und Ohren lesen.

Vor 30 Jahren, am Morgen des 25. August 1984, starb Truman Streckfus Persons alias Truman Capote nach einen viel zu kurzem Leben mit einem viel zu großen Ausmaß an Alkohol und Drogen im Haus von Joanne Carson in Los Angeles. Der Jazzmusiker Arthur Shaw sagte auf Capotes Beerdigung: »Am Ende wird es nicht seine Berühmtheit sein, deren man gedenken wird, sondern sein Werk.« Es ist beides.

5 Kommentare

  1. […] wieder gelesen. Schließlich wurden dann auch deutsche Verlage auf beider Werke aufmerksam. Während Capotes Gesamtwerk für den deutschsprachigen Markt vom Schweizer Verlag Kein & Aber wiederentd…, hatte sich dem Werk der irischen Amerikanerin der renommierte Steidl-Verlag aus Göttingen […]

Kommentare sind geschlossen.