Der amerikanische Dandy Truman Capote schuf mit seinem non-fiktionalen Roman »Kaltblütig« ein neues literarisches Genre: das des erzählenden Journalismus. Sein Thriller ist bis heute nicht nur Auftakt, sondern immer noch ein Höhepunkt dieser auf Tatsachen basierenden Schreibkunst.
Der Kriminalroman »Kaltblütig« von Truman Capote ist Roman, Sachbuch und journalistische Reportageschrift in einem. Der damals 41-jährige Capote geht darin dem vierfachen Mord an der Farmerfamilie Clutter auf den Grund, der sich auf einem Anwesen in Westkansas 1959 ereignet hat. Dabei verwendet er die aus Kriminalfilmen bekannte Schuss-Gegenschusstechnik. Er wechselt permanent zwischen den Tätern einerseits sowie den Ermittlungen andererseits. In parallelen Erzählsträngen wird der Leser so über die Planung und Durchführung des Verbrechens und die anschließende Flucht sowie über den Fortgang der polizeilichen Untersuchungen informiert. Ihm wird auf diese Weise die Parallelität der Ereignisse zugänglich gemacht. Diese parallele Erzählung beginnt auch schon im Eingangskapitel, in dem Capote das brave und strebsame Leben der Clutters neben die das Vorhaben des Raubüberfalls stellt.
Die Clutters wohnen in Holcomb, sieben Meilen entfernt von Kansas City, »in der Weizenhochebene von West-Kansas, einer abgeschiedenen Gegend, die selbst Einheimische als ‚hinterm Mond’ empfinden.« Das wohlhabende Ehepaar Clutter sowie Sohn Kenyon und Tochter Nancy werden dort Opfer eines brutalen Raubüberfalls. Die zwei ehemaligen Gefängnisinsassen Perry Edward Smith und Richard Eugene Hickock, genannt Dick, vermuten in dem Haus einen Safe mit 10.000 Dollar und brechen dort in der Nacht des 15. November 1956 ein. Drahtzieher des Ganzen ist Dick, der Perry zu dem Coup überredet und »vom ersten Schritt bis zur unendlichen Stille, [alles] tadellos durchdacht« hat: »’Nun bleib mal schön auf dem Teppich. Es kann überhaupt nichts schief gehen.’ […] ‚Also, da wären er. Der Junge und das Mädchen. Und vielleicht auch noch die anderen beiden. Aber es ist ja Samstag. Möglicherweise haben sie Gäste. Rechnen wir also mit acht, oder, besser, zwölf, für alle Fälle. Fest steht nur, dass sie dran glauben müssen, einer wie der andere.’«
Als sie den Geldschrank nicht finden können, bringen sie die Familie auf brutale Weise um – jeweils durch einen Schuss ins Gesicht. Damit machen sie sich eines Kapitalverbrechens schuldig, welches ihre bisherigen Vergehen – Scheckbetrug, Unterschlagung u. ä. – in den Schatten stellt. Mit den erbeuteten lächerlichen 40-50 Dollar, die sie im Hause Clutter finden können, begeben sie sich au die Flucht nach Mexiko, um dort ein neues Leben zu beginnen. Unbemerkt können sie Holcomb, Kansas und schließlich die Vereinigten Staaten verlassen, während der Fund der Leichen am Morgen nach der Tatnacht die ganze Kleinstadt und das angrenzende Kansas City in Angst und Schrecken versetzt.
Achtzehn Beamte nehmen die Ermittlungen auf, »darunter drei der fähigsten KBI-Ermittler (Kansas Bureau of Investigation)«. Unter der Leitung von Sheriff Alwin Adams (genannt: Al) Dewey wird das Haus der Clutters auf den Kopf gestellt, doch Anhaltspunkte lassen sich kaum finden. Die Tat scheint tatsächlich perfekt geplant, denn außer zwei Fußabdrücken gibt es nicht die geringsten Spuren. Nur durch Zufall erfahren die Ermittler durch einen ehemaligen Mithäftling Dicks von dessen Vorhaben, gemeinsam mit Perry Smith die Clutters auszurauben und rufen die Fahndung nach beiden aus.
Währenddessen verjubelt Dick das gestohlene und durch Scheckbetrug erbeutete Geld in Mexiko. Schließlich sind beide Täter gezwungen, wieder in die Staaten zurückzukehren, ein im Auge des Lesers geradezu irrwitziges Vorhaben, angesichts der Tatsache, dass inzwischen nahezu überall nach ihnen gesucht wird. Darüber hinaus will Dick unbedingt nach Kansas City zurück, um dort nochmals »heiße« Schecks unter die Leute zu bringen. Danach will er in Las Vegas sein Glück versuchen. Perry schließt sich aufgrund fehlender persönlicher Alternativen an. Wie durch ein Wunder kommen sie tatsächlich in dem Spielerparadies an, ohne vorher in Kansas City geschnappt zu werden. Doch dort endet dann ihr dreistes Unternehmen: Am 30. Dezember 1956, nach 45 Tagen Flucht, können Dick und Perry festgenommen werden.
Im abschließenden Teil des Buches folgt, was folgen muss. Beide Täter werden einzeln verhört, um sie zu einem Geständnis zu bewegen. Das als Gefangenendilemma bekannt gewordene Phänomen, nicht miteinander sprechen und somit die Aussagen nicht aufeinander abstimmen zu können, bringt sie schließlich dazu, die Tat zu gestehen. Mit der Überführung der Mörder nach Kansas City fällt gleichzeitig der erste Schnee auf die Stadt, und das weiße Gewand der Unschuld kann sich nun wieder über die gewohnte ländliche Idylle legen. Schließlich folgen Verhandlung, Urteil und Hinrichtung. Der Mangel an rechtlichen Standards während des Prozesses aufgrund der moralischen Vorverurteilung der Täter, nimmt auf sarkastische Art und Weise Guantanamo und den zweifelhaften Umgang mit Terrorverdächtigen vorweg. Das Buch ist somit aktueller, als es auf den ersten Blick scheint.
Während dieser »tour des fous«, der aberwitzigen Flucht der Mörder vor den Folgen ihrer Tat, entwickelt der Leser ein sehr ambiges Verhältnis zu den beiden Tätern. Zum einen wächst die Fassungslosigkeit ob der Dreistigkeit der Täter, die tatsächlich Erfolg versprechend scheint. Zugleich wächst absurder Weise die Lesersympathie mit beiden Tätern, besonders die zu Perry. Im Laufe der fortschreitenden Handlung findet dabei ein interessanter Prozess zwischen den beiden Hauptpersonen statt: Während Perry zu Beginn des Buches derjenige ist, der eher zufällig Teil des Geschehens wird und Dick die treibende Kraft, ändert sich dies zum Ende des Buches. Perry steht aufrichtig zu seiner Tat, während sich Dick hinter Perry verstecken will und den Unschuldigen mimt. Mit der Rekonstruktion der Geschehnisse in der Mordnacht aus den Aussagen beider Täter wird schnell deutlich, »dass das Verbrechen ohne eine gewisse Wechselwirkung zwischen den Tätern nie geschehen wäre.«
»Die Täter zurückzuholen ins Reich der Menschlichkeit« – das sei sein Vorhaben mit diesem Buch, sagt Philip Seymour Hoffman als Truman Capote in dem gleichnamigen Film, der letztes Jahr in den deutschen Kinos lief. Wenn dem tatsächlich so gewesen sein sollte, dann ist ihm das bis ins Detail gelungen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass er einem dem Prozess beiwohnenden Journalisten einen Satz in den Mund legt, der nicht nur den Buchtitel, sondern auch die Gedanken des Lesers widerspiegelt, die dieser scheinbar von Beginn an mit sich herumgetragen hat: »Und wenn sie die ‚kleinen Scheißer’ nun hängen? Ist das nicht auch kaltblütig?«
Truman Capote ist es mit diesem kriminalistischen Tatsachenroman gelungen, den Leser durch die schlichte Anordnung sachlicher Informationen in die Geschichte einzubeziehen, so dass er sich nicht mehr herauswinden kann. Der Schreiber selbst nimmt sich dabei völlig zurück und überlässt dem Leser die Bewertung des Geschehens. Capote spielt dabei mit der kompletten semantischen und lexikalischen Klaviatur des Wörterbuchs und führt einmal mehr die Gleichzeitigkeit von Schönheit und Schlichtheit guter Literatur vor Augen. Mit »Kaltblütig« begegnet der Leser nicht nur einem der besten literarischen Sachbücher und Krimis, sondern auch einem Road-Movie zum Lesen – bewegend, einfangend und atemberaubend.
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