Er gehört zu den lebenden Mysterien der amerikanischen Literatur. Nun hat Thomas Pynchon erstmals einer Bearbeitung seines Hauptwerks »Die Enden der Parabel« zugestimmt. Das Ergebnis macht Staunen.
Die Literatur von Thomas Pynchon ist alles andere als zugänglich, denn sie verätselt all das, was man Wirklichkeit nennen könnte. Und zugleich ist gerade sie, die Wirklichkeit, selten so gut eingefangen, wie in Pynchons komplexen Welten, der noch vor David Foster Wallace und Don DeLillo als die Ikone der postmodernen amerikanischen Literatur gilt. Dass er seit 1953 die Öffentlichkeit strikt meidet, fördert seinen Ruf als Legende. Selbst bei den Simpsons trug Pynchons gezeichnetes Alter Ego eine Einkaufstüte über dem Kopf, um inkognito zu bleiben. Dass es ihn gibt, beweisen allein sein acht Romane und ein dutzend Erzählungen umfassendes Gesamtwerk, das er hütet wie seinen Augapfel.
Die Handlung seines Opus Magnum »Die Enden der Parabel« kann man im Grunde nicht zusammenfassen, sie kreist aber im Grunde irgendwie um den Raketenkrieg und den Niedergang des Dritten Reiches. Pynchons Erzähler betrachtet dabei vor allem die Ereignisse rund um den sexsüchtigen GI Tyrone Slothrop, dessen Libido irgendwie mit den Einschlägen der deutschen V2-Raketen in Verbindung steht. Als er diesem Rätsel nach Kriegsende in Deutschland nachspürt, trifft er nicht nur auf Täter und Opfer, sondern auch auf die Profiteure und Manipulationskünstler, die die ebenso gesetzlose wie sinnentleerte Nachkriegsgesellschaft prägen. Paranoia und Konspiration greifen um sich und auch nach Slothrop, der der Rolle der deutschen Großindustrie in der Vernichtungsmaschine Nazideutschlands immer näher kommt.
Die taz warnte einst, die Pynchon-Lektüre nicht mit »Die Enden der Parabel« zu beginnen, weil es »für den Anfang schlicht zu viel« sei. Das ist nicht völlig falsch, denn Pynchon trieb die literarische Verschlüsselung in diesem Roman auf die Spitze, indem er Traum- und Wahnvorstellungen mit den für die damalige Zeit typischen Mitteln von Hypnose, Bestrahlung und Intoxikation kreuzt. So ist es zwar unmöglich, zu unterscheiden, wo in dieser von mehreren hundert Figuren bewohnten Erzählung Wahrheit aufhört und Fiktion anfängt (das gelingt nicht einmal dem ständig wachsenden Anmerkungsuniversum auf pynchonwiki.com), zugleich entsteht aber eine kaum fassbare Unmittelbarkeit, in der alles mit allem verbunden ist und einer ganz eigenen Logik folgt. Das hat auch dazu beigetragen, dass der Roman 1974 den National Book Award gewann und auch die Jury des Pulitzer-Preises überzeugte. Das Vergabekomitee empfand den Roman jedoch als obszön und setzte die Preisvergabe aus. Ein Skandal, der sich bis heute fortsetzt – zumindest für Elfriede Jelinek, die den Roman 1981 gemeinsam mit Thomas Piltz übersetzte. Als sie 2004 den Nobelpreis für Literatur erhielt, kommentierte sie mit einiger Fassungslosigkeit: »Ich kann doch den Nobelpreis nicht kriegen, wenn Pynchon ihn nicht hat!«
Über zwei Jahre hat sich Klaus Buhlert in die Erarbeitung und Produktion einer akustischen Version des fast 1.200 Seiten umfassenden Werks gekniet, nachdem Pynchon erstmals der Vertonung seiner Literatur zugestimmt hat. Der Umfang des Romans wird ihn dabei nicht abgeschreckt haben, schließlich hat Buhlert bereits umfangreiche Klassiker wie Homers »Ilias« und James Joyce »Ulysses« vertont. Die Auflagen des amerikanischen Autors, die politisch brisanten und als obszön inkriminierten Passagen nicht zu kürzen und Gedichte sowie Songtexte aus dem Roman nicht zu vertonen, waren schon eher herausfordernd. »Anfangs haben wir das bedauert, aber irgendwann auch begriffen, dass Pynchon sich wieder einmal selbst treu geblieben ist«, erinnert sich Buhlert. »Manchmal ist ein geschlossene Tür eben nicht nur das Problem – manchmal ist sie die Lösung.
Einmal mehr hat sich der Hörspielregisseur, der Pynchons Hauptwerk für den SWR adaptiert hat, selbst übertroffen, sein Hörspiel und die daran beteiligten Sprecher:innen bewegen die Welt von Pynchons Roman in erstaunlicher Souveränität durch unsere akustischen Rezeptoren. Zugleich schlägt der Ton eine Sortierung vor, wo der Text rätselhaft bleibt, ohne den Roman zu dechiffrieren. Das ist durchaus gewinnend.
Pynchon beschreibe in seinem Roman die ganze Welt, erklärt der vielfach ausgezeichnete Hörspielmacher Buhlert seine Faszination für den Text. »Die Zeit, ihre Verrücktheit, ihren Wahnsinn und natürlich die unvermeidliche Paranoia«, zeige er fürchterlich genau, unsentimental. »Hier agieren 400 Figuren, die das Nervensystem eines Regisseurs regelrecht besetzt halten. Sie haben dort permanent und bewusst gegen alle Regeln verstoßen, unverschämt schamlos agiert und reagiert. Das fühlte sich manchmal verdammt körperlich an, war ansteckend im Studio und kaum auszuhalten.«
Wie genau sich das im Studio angefühlt hat und wie Buhlert das Team dazu gebracht hat, den besonderen Sound von Pynchon hörbar werden zu lassen, zeigt eine FAZ-Reportage. Da wird beispielsweise beschrieben, wie Golo Euler, der Sprecher von Tyrone Slothrop, den Drogenrausch sprechen soll oder wie man akustisch eine Totenwelt nachbildet. Mit zahlreichen Tricks und Kniffs ist es Buhlert gelungen, dem Text eine körperliche Gestalt zu geben, die atmosphärisch knistert, rauscht, flüstert und singt. Die Tonspur dieser vielstimmigen Roadnovel ist wie der Roman selbst: eine Sensation.
Die Ausstrahung des Hörspiels findet am 17. und 18. April 2020, jeweils zwischen 20 Uhr abends und 3 Uhr morgens auf dem SWR2 statt. Bereits am 16. April wird um 22 Uhr das Feature Jenseits der Null. Das Hörspielprojekt »Thomas Pynchon: Die Enden der Parabel« ausgestrahlt.
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[…] Amerikaner gilt neben Thomas Pynchon als einer der wichtigsten Postmodernisten, unter anderem David Foster Wallace, Jonathan Franzen und […]
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