Film

Pures Kinoglück für Zuhause

Der südkoreanische Regisseur Hong Sang-soo ist längst kein Geheimtipp mehr, auch wenn Filmkritiker:innen das gern behaupten. Das Geheimnis des Erfolges seines leisen Kinos liegt in der genauen Beobachtung seiner Figuren. An ihnen zeigt er, wie nah Komödie und Tragödie im Leben beieinander liegen. Eine prächtige Blu-ray Filmbox versammelt einige seiner wichtigsten Filme.

Bei einem Ausflug in einen Vorort von Seoul trifft die Schriftstellerin Junhee zufällig alte Bekannte. Das Wiedersehen mit ihrer Kollegin Sewon, die dort einen kleinen Buchladen betreibt, fällt jedoch eher distanziert und kühl aus: Junhee spürt Sewons Neid auf ihren Erfolg. Dabei befindet sich Junhee in einer produktiven Krise, schon seit einer Weile hat sie nichts mehr veröffentlicht. Und eine Verfilmung eines ihrer Romane ist zuletzt geplatzt. Als sie der bekannten Schauspielerin Kilsoo begegnet, die sich – vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie – in einer ähnlichen Schaffenskrise befindet, schlägt Junhee vor, gemeinsam einen Film zu drehen.

Lee Hyeyoung und Kim Minhee in Hong Sangsoo »Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall« | © Jeonwonsa Film Co. Production

Der Plot in Hong Sang-soos 27. Spielfilm ist simpel, die Erzählung der in einem Vorort einer koreanischen Großstadt verorteten Geschichte geradezu unspektakulär, aber die Lakonie und Verspieltheit, mit der der koreanische Meisterregisseur hier Figuren zufällig wie in einem Flipperautomaten aufeinanderprallen lässt, ist von großer Faszination. 2022 wurde der Film »Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall« bei der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, jetzt schon kann man ihn im Heimkino genießen.

Hong Sangsoo Blu-ray Filmbox mit den Filmen »RIGHT NOW, WRONG THEN«, »ON THE BEACH AT NIGHT ALONE«, »DIE FRAU, DIE RANNTE«, »INTRODUCTION«, »DIE SCHRIFTSTELLERIN, IHR FILM UND EIN GLÜCKLICHER ZUFALL« sowie das Buch »Hong Sangsoo – Das lächerliche Ernste« von Sulgi Lie. Grandfilm 2023. 49,95 Euro. Hier bestellen.

Das ist schon deshalb ein Geschenk, als das Sangsoos Arthaus-Kino kein großes Publikum kennt, der Platz, den ihm die Kinos einräumen, ist trotz einer eindrücklichen Preisliste klein. Dieses Geschenk fällt umso größer aus, da es mit vier weiteren Filmen in einer prächtigen Box und dem lesenswerten Buch »Das lächerliche Ernste« von Sulgie Lie vorliegt. Zu den vier weiteren Filmen des produktiven Südkoreaners gehören die bei der Berlinale ebenfalls ausgezeichneten Filme »Introduction« (2021, Silberner Bär für das Beste Drehbuch) und »Die Frau, die rannte« (2020, Silberner Bär für die Beste Regie) sowie der Gewinner des Jerusalem Film Festivals von 2017 »On The Beach At Night Alone« und der Gewinnerfilm von Locarno anno 2015 »Right Now, Wrong Than«.

Hong Sang-soo: On the Beach at night alone | © 2016 Jeonwonsa Film Co.

Man könnte die fünf Filme auch zum Min-hee-Ensemble erklären, denn die südkoreanische Schauspielerin, die Hong-soo seit Jahren als Partnerin und Muße zur Seite steht, spielt in allen Filmen eine wichtige Rolle. Das liegt auch daran, dass das Künstlerpaar in »Right Now, Wrong Than« und in »On The Beach At Night Alone« – für den Kim Min-hee bei der Berlinale 2017 mit dem Silbernen Bären als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurdeihre Liebesgeschichte verarbeitet. Ist ihre Geschichte in dem Locarno-Gewinner noch vorsichtig in der Allegorie der Begegnung eines Regisseurs mit einer Malerin verborgen, ist die Liaison in »On The Night At Beach Alone« kaum mehr verborgen.

Der Film beschwört einen melancholischen Weltschmerz herauf, der scheinbar ohne ironische Manöver die Verlorenheit der früheren Schauspielerin Younghee (Kim Minhee), die an der gescheiterten Affäre mit einem verheirateten Regisseur leidet, porträtiert. Von Liebeskummer geplagt verschlägt es sie im ersten Teil des Films nach Hamburg, wo sie mit einer Freundin über das Scheitern der Beziehung nachdenkt. Das Melodram taucht in die deprimierenden Nebellandschaften der Hansestadt ein, um im zweiten Teil in die koreanische Hafenstadt Gangneun zu führen, wo Younghee auf Heilung hofft.

»Introduction« von Hong Sangsoo | © Jeonwonsa Film Co.Production

Hong Sang-soos enge Verbundenheit zu Deutschland findet sich auch in »Introduction« wieder, der in weiten Teilen im corona-leeren Berlin spielt. Angelegt wie ein Kammerspiel erzählt der Film von jungen Menschen, die zwischen Schule und Beruf stecken und mit sich selbst nichts anzufangen wissen. Der Film fängt diese Generation im Kontrast zu ihren Eltern eindrucksvoll ein, indem die Kamera einfach nur die Begegnungen in all ihren Unsicherheiten und Verletzlichkeiten einfängt. Genial ist der Schnitt, der Zeitebenen verschwinden lässt und die Betrachtenden in die gleiche Haltlosigkeit stürzt, in der sich seine Figuren bewegen. Man rätselt, wie die einzelnen Teile zusammenhängen, was Traum und was Wirklichkeit ist.

Das Kino des Koreaners lebt von der Intimität, mit der Hong Sang-soo seine Figuren zeichnet, aber auch von der Leichtfüßigkeit und dem Leichtgewicht, mit dem er sein Publikum in den Bann zu ziehen versteht. Die Unwägbarkeiten seines Kinos führen zu einer fesselnden Verunsicherung, ob seine verspielten Filme dem Gewicht der Welt, das sie einfangen, standhalten oder darunter doch zerbrechen. Bislang halten sie dem Stand.

Kim Minhee und Song Seonm in »The Woman Who Ran« von Hong Sangsoo | © Jeonwonsa Film Co. Production

Das gilt auch für »Die Frau, die rannte« und »Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall«, die beide auch als Hommage an die Kunst zu lesen sind. Es sind Assemblagen aus Figuren, Alltagsbeobachtungen, Gesten, Sätzen, die zueinander in einem komplexen Verhältnis stehen und immer wieder variiert, gedreht und gespiegelt werden, so dass die gefilmte Wirklichkeit immer ein bisschen anders aussieht, die tatsächliche Realität aber immer durchscheint. Bei diesen ständigen Neuanordnungen wird die Farce zur Tragödie und umgekehrt, , das lächerliche wird Ernst und das Ernste lächerlich, wie Leonard Krähmer im Film-, Medien- und Kulturmagazin CARGO schrieb, »während die Suche nach dem Organisationsprinzip ins Leere läuft.«

Filmbox mit Sulgie Lies »Das lächerliche Ernste« | Grandfilm | Filmgarten

Ohne den Anspruch einer abschließenden Entschlüsselung von Sang-soos Kino anzubieten, bietet der an der Akademie der Künste und Freien Universität Berlin lehrende Filmwissenschaftler Sulgie Lie in seinem Buch »Das lächerliche Ernste« eine profunde Erkundung von Sang-soos Kino, das »nur ein klein wenig anders« sei, wie es im Vorwort von Filmgarten-Gründer Pierre-Emmanuel Finzi heißt. Der findet in Robert Bressons Notizen zum Kino auch eine Art Manifest für Hongs Filme.

»Ein kleines Sujet kann Vorwand sein für vielfältige und tiefe Kombinationen. Meide die zu weiten oder zu entfernten Sujets, wo nichts dich warnt, wenn du dich verirrst. Oder aber nimm davon nur, was in dein Leben vermengt sein könnte und aus deiner Erfahrung kommt.«

Robert Bresson, Notizen zum Kinematographen
Ha Seoungguk, Shin Seokho, Kim Seungyun in »In Water« von Hong Sangsoo | © Jeonwonsa Film Co.

So setzen sich seine Filme aus vielen Themen und Szenen fragmentarisch zusammen, die sich durch seine Filmografie ziehen. Und wenn es nicht die Themen sind, dann ist es der luftige Stil, wie in diesem Jahr bei der Berlinale zu sehen. In seinem wohl persönlichsten Film »In Waters« erzählt er, wie ein junger Filmemacher mit seinem kleine Team geduldig auf das richtige Licht wartet, um eine existenzielle Szene einzufangen. Man durfte diesen Film als Schlüssel zu seinem Schaffen lesen. In der Box fehlt er, ihre langfristige und aufwendige Produktion (inklusive Fundraising-Kampagne) hat eine Berücksichtigung verhindert.

Sulgie Lie schreibt in seinem Buch, dass sich in Hongs Filmfragmenten »das Vorläufige und Beiläufige zu einer formlosen Form« wiederfindet, »die unabgeschlossen auf ein kommendes Werk verweist, das niemals vollendet sein wird.« In diesem Sinne ist auch diese Box nur ein Puzzlestück in einem überbordenden Werk. Aber womöglich das wichtigste, das auch für sich spricht.

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