Der Exil-Iraner Amir Gudarzi erzählt in seinem Debütroman von dem, was ein iranischer Flüchtling auf seinem Weg nach Europa zurückgelassen, und dem, was er nicht erwartet hat. »Das Ende ist nah« nicht autobiografisch zu lesen ist nicht leicht, und nicht alles an diesem Text wirkt stimmig. Unabhängig davon erzählt Gudarzi eindrucksvoll von der grotesken Wirklichkeit der Willkommenskultur.
Der Held dieser Geschichte wollte eigentlich nach Kanada, aber unglückliche Umstände haben ihn in der österreichischen Pampa stranden lassen. Nun sitzt er in der zentralen Aufnahmestelle in Traiskirchen und soll erklären, wie er nach Österreich gekommen ist. Griechenland, Italien und Ungarn werden ihm als Einreiseländer nahegelegt, weil man ihn dahin schnell wieder abschieben könnte. Aber A. ist mit dem Flugzeug aus Istanbul nach Wien gekommen, als politisch Verfolgter hat er einen rechtmäßigen Anspruch auf Asyl. So kommt er nach seiner Erstbefragung in eine Sammelunterkunft in der Provinz, in der Afghanen, Iraner und Afrikaner dem Regime eines skrupellosen Wirtes ausgeliefert sind.
»Wir haben aufzuwachen, wir haben uns fertig zu machen, wir haben uns daran zu gewöhnen, dass wir in der Kälte aus dem Haus gehen müssen, wir haben früh ins Bett zu gehen, wir haben anzutreten, wir haben die Hände aus den Taschen zu nehmen, wir haben eine Schlange zu bilden, wir haben den Chef zu begrüßen, wir haben unsere Lebensmittel zu schleppen, wir haben jeden Tag mit dem gleichen Essen klarzukommen, auch mit Krankheiten und Langeweile.«
Erzähler A. in »Das Ende ist nah«
Man merkt diesen Zeilen an, dass hier einer schreibt, der weiß, wovon er spricht. Der 1986 in Teheran geborene Amir Gudarzi ist wie sein Ich-Erzähler nach Österreich geflohen. Seit 2009 lebt der Dramatiker in Wien, seine Stücke sind vielfach ausgezeichnet. In seinem ersten Roman erzählt er in eindrucksvollen Bildern von der Trauer, dem Schmerz und der Wut, die Geflüchtete in sich tragen. Wo genau dabei die Grenze zwischen Erlebtem und Erzähltem verläuft, lässt sich schwer sagen.
Die Demütigung, die Asylsuchende in Deutschland erfahren, beschrieben schon Abbas Khider, Senthuran Varatarajah oder Jenny Erpenbeck in ihren Romanen. Gudarzi fügt diesen Eindrücken nun eine österreichische Perspektive hinzu, wenn er das verlorene Dasein seines Erzählers im Flüchtlingsheim abseits der Großstadt einfängt. Wo Geflüchtete sich selbst überlassen sind und sich aus Langeweile oder Lust gegenseitig das Leben schwer machen. Die rettende Zivilisation ist kilometerweit entfernt. Immer wieder macht sich Gudarzis Erzähler auf den Weg, einmal wird er dabei fast über den Haufen gefahren. Es wäre kein Unfall gewesen.
Die Härte, die Gudarzis Hauptfigur in seinem Alltag erfährt, ist manchmal nur schwer auszuhalten. Von der allgegenwärtigen Gewalt und seiner ständigen Angst erzählt er im Präsenz. So wird man stiller Zeuge der Verletzlichkeit und Ohnmacht, der A. ausgeliefert ist.
Zugleich will es sich der Autor nicht zu einfach machen. Sein Alter Ego ist nicht nur Opfer, sondern auch Kämpfer und (Überzeugungs)Täter. Entschlossen nimmt er nicht nur alle Hindernisse, um in diesem Österreich neu anzufangen, sondern lehnt auch die Liebe einer jungen Frau ab, die sich später das Leben nimmt. In Briefen lässt er sie zu Wort kommen, »um ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu rächen«. Plausibel ist das nicht, diese Teile der Erzählung wirken wie ein Fremdkörper im Roman.
Im Gegensatz dazu sind die filmischen Überblendungen, mit denen Vergangenheit und Gegenwart ins Verhältnis gesetzt werden, prächtig gelungen. Etwa wenn Gudarzis Erzähler in Österreich in den herbstlichen Nebel tritt, um in der nächsten Sekunde die Schüsse und Schreie zu hören, die er im Rauch der brennenden Straßenblockaden in Teheran wahrgenommen hat. Hier wird die imaginative Kraft dieses gegenwärtigen Romans geradezu greifbar.
Als der Erzähler in Wien als Pizza-Lieferant arbeitet, muss er bei einer seiner Touren einem dunklen Boliden ausweichen und stürzt. Statt den SUV-Fahrer anzuzeigen und sich behandeln zu lassen, schleppt er sich schwer verletzt davon, weil nicht auffliegen darf, dass er schwarz arbeitet. Wie vielen Kurieren mag es wohl genauso gehen? Träumen sie nicht wie jede:r andere auch von einem besseren Leben? Dieser ebenso schmerzhafte wie überwältigende Roman macht einem bewusst, dass man nachfragen sollte, statt verlegen lächelnd den Pizzakarton entgegenzunehmen und die Tür zu schließen.