Bei einer Verkehrskontrolle greift die Polizei eine blutverschmierte Drag-Queen am Steuer eines Lastwagens voller Hunde auf. Beim Verhör öffnet sich der Ermittlerin eine Welt, die jegliche Vorstellungskraft sprengt.
Wird man durch ein Kostüm zu dem, der man ist, oder versteckt man sich vor dem, der man ist? Diese Frage stellt sich bei Doug, den die Polizei zu Beginn des neuen Films von Luc Besson mit seinem Hundetransporter aus dem Verkehr zieht. Langsam nimmt die Kamera diese Figur in Augenschein, fängt den schmutzigen Damen-Handschuh, das rote Kleid, das prächtige Collier und die langen Haare ein, die das stark geschminkte, blutverschmierte Gesicht einrahmen, als er sich eine Zigarette ansteckt. Doug hat dank seiner Hunde gerade ein Massaker überlebt und sich zugleich des mehrfachen Mordes schuldig gemacht.
Die Rahmenhandlung ist Dougs Verhör durch eine junge Schwarze Kommissarin, die sich in Dougs Schmerz selbst erkennt. Sie kitzelt aus ihm heraus, wie er zu diesem rätselhaften Freak in Frauenkleidern wurde, der nun vor ihr sitzt. »Ich mochte Verkleidungen schon immer«, eröffnet er das Gespräch, das die Hintergrundmusik für die packende Geschichte bildet, mit der Besson in Venedig gerade um den Goldenen Löwen konkurrierte.
Luc Besson ist einer der renommiertesten Regisseure Frankreichs, dessen Vita von Skandalen nicht frei ist. Vier Ehen pflastern seinen Lebensweg, seit 2018 auch ein Missbrauchsskandal. Damals erstattete die belgisch-niederländische Schauspielerin Sand Van Roy nach einem Treffen mit Besson gegen ihn Strafanzeige wegen Vergewaltigung. In der Folge brachte sie weitere Vorwürfe sexueller Gewalt gegen ihn vor, die er im Rahmen einer zweijährigen Beziehung beruflicher Abhängigkeit an ihr begangen habe. Das Strafverfahren wurde zwar eingestellt, irgendwas bleibt aber immer hängen.
Bei den ganzen Debatten um sein Privatleben geriet schon mal sein Werk in den Hintergrund. Kultfilme wie »Im Rausch der Tiefe«, »Nikita«, »Das fünfte Element« oder »Die purpurnen Flüsse 2« sowie der kultige Mafiathriller »Léon – Der Profi« prägen seine Filmografie. Letztgenannter ist zweifellos einer seiner besten Filme. Darin setzt der Franzose nicht einfach nur auf Gewalt, sondern haucht seinen Hauptfiguren Leben ein.
Der skrupellose Auftragskiller Léon ist hier ein eigenwilliger Charakterkopf, der zurückgezogen in einem Mehrfamilienhaus lebt und eine enge Beziehung zu seiner Balkonpflanze pflegt. Als die benachbarte Familie von Polizisten der amerikanischen Drogenbehörde brutal ermordet wird, nimmt er die junge Mathilda unter seine Fittiche, die den Mord durch einen Zufall überlebt hat. Die altkluge Göre, famos gespielt von der damals 11-jährigen Natalie Portman, bringt sein Leben heftig durcheinander. Denn sie will nicht nur, dass er sie zu einer Profi-Killerin ausbildet, damit sie den Tod ihres kleinen Bruders rächen kann, sondern sie versucht auch das Herz des sentimentalen Raubeins zu erobern. Und so entsteht eine Atmosphäre, in der Zärtlichkeit und Gewalt eine geheimnisvolle Melange eingehen, die dem Film seine Spannung gibt.
Ähnlich ist es auch in Bessons neuem Film, auch hier gibt es diesen Mix und die unterlegte Kritik an den Verhältnissen. »Niemand wird als Verbrecher geboren, man wird einer durch die sozialen Umstände«, wird Doug im Rahmen des Verhörs sagen. Worauf er dabei anspielt, erzählt der Film. »Dogman« taucht in die bittere Kindheit von Doug ein, dessen brutaler Vater in den Slums von New Jersey illegale Hundewettkämpfe veranstaltete. Als er Dougs Zuneigung für Hunde entdeckt, wirft er ihn seinen Bestien zum Fraß vor. Doch statt über ihn herzufallen, bilden sie eine Schicksalsgemeinschaft, die Doug im wahrsten Sinne des Wortes durch ein Leben tragen wird, das von Tief- und Niederschlägen geprägt ist. Die große Bühne, von der er einst träumte, bekommt er in einer Drag-Show. Als der Club dicht gemacht wird, betreibt er das Hundeasyl der Stadt und schwingt sich zum Rächer der Armen und Gebeutelten auf. Bis er sich mit einer mexikanischen Gang anlegt.
Der französische Großmeister des Superheldenkinos Luc Besson legt mit »Dogman« einmal mehr einen actiongeladenen und visuell anspruchsvollen Film vor. Das Tempo, die sardonische Ironie und die Tragikomik seiner Figuren schließt an sein Werk an, der Score erinnert an Tarantino in Hochform. In der Hauptrolle beeindruckt Caleb Landry Jones (»Get Out«, »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«), der 2021 in Cannes für die Hauptrolle in Justin Kurzels »Nitram« den Darstellerpreis erhielt. Hier nun spielt er seine geläuterte Figur mit unheimlicher Energie, in der die Gerissenheit eines Robin Hood, aber auch die Wehmut einer Edit Piaf steckt. Mal erinnert sein Spiel an die Verletzlichkeit des jungen Johnny Depp in der Rolle des Gilbert Grape, dann wieder an den Oscar-prämierten Wahnsinn von Joaquin Phoenix in Todd Philipps »Joker«. Einfach umwerfend.