Allgemein, Comic

Fotograf mit Adrenalin und Anstand

© Christoph Schickl

Der spanische Comicautor Manfred Sommer hat in den 1980er Jahren mit Frank Cappa die Figur eines Kriegsfotografen geschaffen, der sich auch nach Jahren inmitten des Grauens seinen menschenfreundlichen Blick bewahrt hat. Die Werke sind in Deutschland weitgehend unbekannt, und das ist eine Schande. Der avant-verlag schafft Abhilfe und bringt eine Gesamtausgabe auf den Markt.

Manchmal verstellt der Blick auf Comic-Länder wie Frankreich oder Belgien, dass andernorts die neunte Kunst zwar nicht ganz so weit entwickelt und verankert, aber durchaus vorhanden ist. Ein Beispiel dafür ist Spanien. Die Szene dort war in den 1980er Jahren sehr lebendig und hat einen Autor hervorgebracht, dessen Werke viel zu wenig bekannt sind.

Manfred Sommer war Zeichner, Comicautor, Trickfilmanimator, Buchillustrator und Maler, er ließ sich sein Leben lang nicht eindeutig auf eine Kunstform festlegen. Er war selber ein Kind verschiedenster Einflüsse: Der Sohn eines Deutschen und einer Andalusierin wurde 1933 in San Sebastian geboren und wuchs in Barcelona auf. Als junger Erwachsener lebte er längere Zeit in Frankreich, kehrte dann aber nach Spanien zurück und fasste in der dort aufblühenden Comicbranche Fuß. In den 1980er Jahren veröffentlichte er die Geschichten um den Kriegsfotografen Frank Cappa, die ihn berühmt machten. Später, in den 1990er Jahren, widmete er sich nur noch der Malerei und starb 2007 in Galifa.

Manfred Sommer: Frank Cappa. Gesamtausgabe. Aus dem spanischen von Maximilian Lenz. avant-verlag 2025. 352 Seiten. 50,- Euro. Hier bestellen https://www.avant-verlag.de/comics/frank-cappa/#cc-m-product-9257727020
Manfred Sommer: Frank Cappa. Gesamtausgabe. Aus dem spanischen von Maximilian Lenz. avant-verlag 2025. 352 Seiten. 50,- Euro. Hier bestellen.

Der von ihm geschaffene Held ist ähnlich schwer zuzuordnen wie er selbst. Frank Cappa (die Namensähnlichkeit zum berühmten »Kollegen« Robert Capa ist schwer zu übersehen) ist äußerlich ein hyperviriler, hellblonder nordischer Typ und auf den ersten Blick ein reiner Adrenalinjunkie, der immer da ist, wo es Krieg gibt, immer da, wo es hässlich wird: Sei es in afrikanischen Bürgerkriegen, die in Europa nur am Rande wahrgenommen werden, im Vietnamkrieg oder im Dschungel Brasiliens, wenn durchgeknallte Großwildjäger und Ureinwohner Jagd aufeinander machen. Er begleitet einen Trupp Kommandosoldaten im Urwald, der eigentlich nur aufklären soll, dann aber doch eine Stellung der feindlichen Armee aushebt, um die dort laufenden Misshandlungen der Zivilbevölkerung zu stoppen.

Eigentlich sollte er als Berichterstatter neutral bleiben, doch das fällt ihm immer wieder schwer, denn er ist kein zynischer Reporter, sondern jemand, den das Geschehen um ihn herum mitnimmt und beeinflusst. Cappa leidet mit den Menschen, die er kennenlernt, seien es die Söldner, die sich fernab ihres Stützpunktes zum Handeln entschließen, die Opfer einer Militärjunta in Südamerika oder das Schicksal einer jungen Frau, die an Krebs sterben muss.

Seine Herkunft ist zunächst nebulös, er selber brummelt immer nur etwas von »aus Kanada«. Doch in einer Episode wird klar, woher er stammt: Gezeugt kurz nach dem zweiten Weltkrieg bei einer Gruppenvergewaltigung von US-Soldaten an einer Deutschen, aufgezogen in Kanada von Afro-Amerikanern, deren Großeltern noch Sklaven auf den Baumwollfeldern der USA waren und die ihr Land verließen, um sich weiter nördlich eine Existenz aufzubauen – der italienische Nachname stammt von einem Einwanderer, der ein guter Freund des Großvaters war.

Die Komplexität der Herkunft und das tiefe Verständnis und Mitgefühl machen Frank Cappa zu einem Alter Ego seines Schöpfers. Tatsächlich hat Sommer mit der Figur einen Charakter gefunden, um seine eigenen Gedanken über Krieg, die Ethik des Journalismus und gesellschaftliche Zustände zu verhandeln.

Sommers Stil ist zu Anfang von einem harten Realismus geprägt, im Verlauf seines Schaffens wird sein Blick manchmal etwas weicher. Und sind die Zeichnungen anfangs in Schwarz-Weiß gehalten, kommt in den späteren Werken immer öfter Farbe dazu. Und auch die Stoffe ändern sich: Ging es zuerst ausschließlich um nicht näher definierte Bürgerkriege in Afrika, kommen später auch traumähnliche Episoden und eine Liebesgeschichte dazu. So oder so: Der Stil Sommers passt sich dem Stoff an, bleibt aber immer erkennbar.

Hugo Pratt, Héctor Germán Oesterheld: Ernie Pike

Inspiriert von der Figur des amerikanischen Kriegsberichterstatters Ernie Pyle schufen Oesterheld und Pratt 1957 in Argentinien die Figur des Ernie Pike: ein Journalist, an die Schrecken des Schlachtfelds gewöhnt, aber entschlossen, seine Menschlichkeit zu verteidigen und zu bewahren. In seinen Händen hält er keine Waffe, sondern ein Notizbuch, in dem er Geschichten und Zeugnisse aus den Schützengräben der halben Welt sammelt. Verrat, Mut, Flucht oder Heldentum, nichts entgeht dem scharfen Blick dieses Zeitzeugen des Krieges.

Aus dem argentinischen Spanisch übersetzt von André Höchemer. 364 Seiten. 49,- Euro.

Man sieht teilweise deutlich den Einfluss des italienischen Comicautors Italieners Hugo Pratt und dessen Abenteuer um Corto Maltese, den Kapitän ohne Schiff. Doch Sommers Erzählstil geht in eine andere Richtung als der von Pratt in seinem bekanntesten Comic. Frank Cappa ist kein träumerischer Weltreisender wie Maltese, er ist im hier und jetzt, so schmerzhaft es auch sein mag. Darin unterscheiden sich auf den ersten Blick die beiden Autoren, die – nebenbei gesagt – eine längere Freundschaft pflegten. Der ist dann möglicherweise auch zuzuschreiben, dass sich Pratt gemeinsam mit Héctor Germén Oesterheld an »Ernie Pike« gewagt hat, das facettenreiche Porträt eines Kriegsreporters. Hier sind Sommer und Pratt recht nah beieinander.

»Frank Cappa« ist dank seines einzigartigen Erzählstils, seiner Liebe zum Detail und seiner reflektierten Stories einer der einflussreichsten und angesehensten Produktionen des spanischen Comics. Dass der avant-verlag nun eine bisher auf spanisch vorliegende Ausgabe dem deutschen Sprachraum zur Verfügung stellt – die hervorragende Übersetzung besorgte Maximilian Lenz – das sei hier mal ausdrücklich gelobt.

Die Sammlung liefert zwei Beweise. Erstens: Comics können sehr wohl komplexe Themen für Erwachsene zugänglich darstellen. Zweitens: Hinter den Riesen des frankobelgischen Marktes verbergen sich andernorts große Talente; hinschauen muss man aber schon.