Alle Artikel in: Interviews & Porträts

Ulrich Blumenbach | © Thomas Hummitzsch

Die universale Dummheit der »Kongenialität«

Ulrich Blumenbach hat das bahnbrechende Werk von David Foster Wallace fulminant ins Deutsche gebracht und sich als Sprachartist durch Joshua Cohens Welten geturnt. Die Gedichte von Dorothy Parker überträgt er ebenso rhythmisch wie die Romane von Jonatham Lethem und Raymond Chandler. Aktuell brütet er über die Übersetzung von James Joyce unübersetzbarem Roman »Finnegans Wake«. Die Übersetzungskritik ist in seinen Augen besser geworden, er sieht aber auch noch viel Luft nach oben, um zu zeigen, wie Übersetzungen die Grenzen des in der Literatur Sagbaren erweitern.

Übersetzerin Franka Reinhart | © privat

Beim Sachbuch herrscht wenig Bewusstsein

Franka Reinhart übersetzt aus dem Englischen, vor allem aus dem Genre Sachbuch und der so genannten unterhaltenden Literatur. Michelle Obama oder die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin bringt sie ebenso ins Deutsche wie den irischen Sänger Rea Garvey. Als eine der Organisator:innen des Übersetzerzentrums in Leipzig erwartet sie, dass die intensive Arbeit von Übersetzenden nicht nur bei hochliterarischen Titeln gewürdigt wird. Gerade im Sachbuch sei Rezensent:innen oft nicht bewusst, welch Aufwand hinter den deutschen Texten steckt.

Übersetzerin Karen Nölle | © Thomas Hummitzsch

»Das ist mir zu schulmeisterlich beurteilend«

Karen Nölle ist eine Grande Dame der Literaturübersetzung. Nobelpreisträgerinnen wie Alice Munro oder Doris Lessing gehören ebenso zu ihrem Portfolio wie Natur-Essayistin Annie Dillard oder Ursula K. Le Guin, die das Genre der Science Fiction in die Hochliteratur geführt hat. Zuletzt hat sie im Team die unübersetzbare Utopie »Immer nach Hause« übertragen, in wenigen Wochen erscheint der Erzählungsband »Der Tag vor der Revolution« in ihrer Übersetzung. Übersetzungskritik, so Nölle, sei oft schulmeisterlich bewertend, sie wünscht sich andere Möglichkeiten, über das Übersetzen zu sprechen.

Übersetzer Frank Heibert | © Christa Holka

Es herrscht überwiegend Unsicherheit

Frank Heibert übersetzt aus dem amerikanischen Englisch die Werke von Don DeLillo, George Saunders und Richard Ford, zu seinen europäischen Autoren gehören Boris Vian, Raymond Queneau oder Curzio Malaparte. Er hat zahlreiche Übersetzerpreise erhalten und schreibt aktuell an einem eigenen Buch über das Literatur-Übersetzen. Ihm fehlen eine grundlegende literaturkritische Theorie des Übersetzens sowie eine fundierte Stilkritik in der Praxis.

Patricia Klobusiczky | © Ebba Drolshagen

Es geht um die Gestaltung der Sprache

Patricia Klobusiczky übersetzt aus dem Französischen und Englischen. Ihre rhythmische Übertragung von Raphaëlle Reds Debütroman »Akidou« ist kürzlich mit dem Prix Premiere des Institut Français ausgezeichnet worden. Sie verleiht so unterschiedlichen Autor:innen wie Anne Serre, Marie Darrieussecq, William Boyd oder Petina Gappah eine deutsche Stimme. Sie bemängelt die Ignoranz der schöpferischen Arbeit der Übersetzer:innen und wünscht sich eine stärkere Auseinandersetzung mit der Form und Ästhetik eines Textes.

Thomas Weiler bei der Verleihung des Paul-Celan-Preises 2024 | © Thomas Hummitzsch

Übersetzende sind ansprechbar

Eine Buchmesse wie in diesem Frühjahr wird Thomas Weiler so schnell nicht wieder erleben. Für seine Übersetzung der »Feuerdörfer« erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse. Seine mit dem Celan-Preis ausgezeichnete Übertragung des Romans »Europas Hunde« stand ebenfalls im Fokus, weil der belarusische Autor Alhierd Bacharevic den Preis der Leipziger Buchmesse für Europäische Verständigung erhielt. Bei der literaturkritischen Betrachtung von Übersetzungen vermisst Weiler eine echte Stilkritik und wundert sich, warum so selten die Chance genutzt wird, das Wissen der Übersetzenden zu nutzen.

Übersetzerin Verena von Koskull © Anja Reinbothe-Occhipinti

Es braucht einen anderen Blick

Verena von Koskull war mit ihrer Übersetzung von Gian Marco Griffis Schelmenroman »Die Eisenbahnen Mexikos« für den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 nominiert. Gerade sind die Debütromane »Die Insel und die Zeit« von Claudia Lanteri und »Verehrung« von Alice Urciuolo in ihrer Übertragung erschienen, im Frühjahr erscheint der letzte der fünf Mussolini-Romane von Antonio Scurati. Von einer echten Übersetzungskritik wagt sie kaum zu sprechen, der literaturkritische Blick auf die Texte reiche dafür nicht aus. Begeistern lässt sie sich regelmäßig von der Leidenschaft ihrer Kolleg:innen, die auf geradezu masochistische Weise für ihre Berufung brennen.

Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel | © Gorm K. Gaare

Die Suche nach dem Haar in der Suppe

Der mehrfach ausgezeichnete Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel bringt die Werke von Literaturnobelpreisträger Jon Fosse, Tarjei Vesaas und Kjell Askildsen aus dem Norwegischen ins Deutsche, zu seinen französischen Autoren gehören Édouard Louis, Yasmina Reza und Louis-Ferdinand Céline. Gerade ist seine Übersetzung von Pier Vittorio Tondellis Roman »Getrennte Räume« neu aufgelegt worden, im Dezember erscheint der neue Roman von Jon Fosse in seiner Übertragung. Stilfragen spielten in der Literaturkritik eine immer geringere Rolle, in ihre Stelle seien Kritikasterei und Geschmacksurteile getreten.

Odile Kennel (57) übersetzt französische, spanische, portugiesische und englische Lyrik. Zuletzt u.a. »Brennen, Brennen, Brennen« von Liselotte Lombé. | © Jan Beumelburg

»Ich jongliere immer mit zehn Projekten gleichzeitig«

Odile Kennel (57) ist nicht nur anerkannte Lyrikerin und Autorin, sondern auch eine geschätzte Übersetzerin, die Lyrik aus dem Französischen, Portugiesischen, Spanischen und Englischen übersetzt. Sie begreift sich als im »Großraum Sprache« beheimatet, entsprechend trennt sie weder die eine Tätigkeit von der anderen, noch Leben von Arbeit. Übersetzen, reisen, lesen, moderieren, netzwerken gehen bei ihr Hand in Hand. Dennoch fehlen ihr kreative »Autragsübersetzungspausen« sowie eine Anerkennung von Lyrik und ihrer Übersetzungsarbeit, die sich auch finanziell niederschlägt.

»Ein Berufswechsel wäre das Naheliegendste«

Andreas Jandl (49) übersetzt nicht nur schon eine gefühlte Ewigkeit aus dem Französischen und Englischen, sondern ist auch zweiter Vorsitzender des Verbands deutschsprachiger Übersetzer:innen VdÜ. Er ist Mentor für das Goldschmidt-Programm und erhielt 2021 den Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis für sein Gesamtwerk. Doch von Anerkennung allein kann der dreifache Familienvater nicht leben. Die gleichbleibend schlechten Honorare, die Nachwuchslücke und die drohende Altersarmut brächten die Branche in existenzielle Schwierigkeiten.

Katy Derbyshire (51) übersetzt aus dem Deutschen ins Englische. Demnächst erscheint ihre Übersetzung von Judith Hermanns Roman »Wir hatten uns alles gesagt«. | © Nane Diehl

»Die Unesco sollte Literaturübersetzungen fördern«

Katy Derbyshire (51) übersetzt anders herum, also nicht ins Deutsche, sondern aus dem Deutschen ins Englische. Ihre englische Übersetzung von Clemens Meyers Roman »Im Stein« gewann 2018 den Straelener Übersetzerpreis und war für den International Booker Price nominiert. Bei Voland & Quist ist sie für die englischsprachige Reihe V&Q Books verantwortlich. Finanziell profitiert sie davon, dass Honorarverhandlungen im englischsprachigen Raum stärker standardisiert seien, erklärt sie im Interview.

Milena Adam (33) übersetzt aus dem Englischen und Französischen. Zuletzt u.a. Die Horde im Gegenwind von Alain Damasio. | © Stefanie Kulisch

»Übersetzen ist wie Lesen, nur langsamer«

Milena Adam (33) übersetzt aus dem Französischen und Englischen ins Deutsche, von ihr sind in diesem Jahr gleich zahlreiche Übersetzungen erschienen. Wenn Großverlage und Medienkonzerne mit ihren Honoraren Minimalstandards unterlaufen, findet sie das »kackendreist«, die angekündigten Kürzungen für den Deutschen Übersetzerfonds empfindet sie als Hohn. Vom Übersetzen allein kann sie nicht leben, sie setzt auf eine Mischkalkulation mit themennahen Nebenerwerben.

Bücher von Alice Munro | © Thomas Hummitzsch

Geschichten aus dem Blauen heraus

Alice Munro gilt als Meisterin der Short Story. Über ein Dutzend Sammlungen mit Erzählungen hat sie veröffentlicht. 2013 erhielt die »Virtuosin der zeitgenössischen Novelle« den Literaturnobelpreis. Am 13. Mai ist die kanadische Autorin im Alter von 92 Jahren in ihrer Heimat Ontario gestorben. In einem Interview mit dem Magazin »the PARIS REVIEW« sprach sie über ihr Vorgehen beim Schreiben einer Erzählung.