Literatur

Eine typografisch-sprachliche Spielerei zum Verlieben

© Thomas Hummitzsch

Wolf Haas liebt es, mit der Sprache zu spielen. In seinen mehrfach preisgekrönten Brenner-Krimis bewies er eindrucksvoll, dass allein das sichere Beherrschen eines Dialekts romanhafte Qualitäten haben kann. In seinem aktuellen Roman »Verteidigung der Missionarsstellung« zeigt der Österreicher, dass er nicht nur mit Sprache zu spielen in der Lage ist, sondern auch mit dem Text als solchem.

Im Mittelpunkt von Haas neuem Roman steht ein junger Mann, Benjamin Lee Baumgartner, der das Glück im Unglück förmlich anzieht. Egal welche die Menschheit vernichtende Seuche ausbricht, Baumgartner befindet sich mitten in ihrem Epizentrum. Als 1988 in Großbritannien BSE ausbricht, lebt er in London. Als 2006 in China die Vogelgrippe grassiert, ist Baumgartner eben dort, während der Schweinegrippe anno 2009 ist er eines der ersten Opfer in New Mexico und als 2011 in Deutschland EHEC ausbricht, lebt er in Bienenbüttel. Seine Seuchenerfahrungen sind stets mit einer Liebeserfahrung verbunden, so dass er an einer Stelle im Roman einem Freund ein Versprechen abnimmt: »Sollte ich je wieder Symptome von Verliebtheit zeigen, musst du sofort die Gesundheitspolizei verständigen, versprich mir das.«

Diese »Seuchenerzählung« bildet den Rahmen einer weiteren Erzählung, nämlich der ihres Erzählens durch ebenjenen Freund und ehemaligen Mitbewohner Baumgartners, einem gewissen Wolf Haas, der an einer Arbeit über den Wandel von temporalen zu kausalen Konjunktionen schreibt, der im Roman dann wiederum eine gewisse erzählerische Funktion einnimmt. Dieser Erzähler gesteht auch im Roman gegenüber einer jungen Frau, dass er, wenn er eines Tages mal ein Buch schreiben sollte, diesem den Titel »Verteidigung der Missionarsstellung« geben werde.

Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung. Verlag Hoffmann & Campe 2012. 238 Seiten. 19,99 Euro. Hier bestellen

Haas Roman lebt vom spielerischen Umgang mit seinem Material, sei es auf der erzählerischen, der sprachlichen, der textuellen oder der haptischen Ebene. So wird der Erzählfluss immer wieder von Textblöcken und Einschüben unterbrochen, die sich mal wie Regieanweisungen und mal wie Autorennotizen lesen: »[HIER NOCH LONON-ATMOSPHÄRE EINBAUEN. LEUTE. AUTOS. HÄUSER. 1988. THE BLICK FROM THE BRIDGE.]« oder »[NÄCHSTE WOCHE SCHNELL 50 SEITEN LEBENSGESCHICHTE ZUSAMMENSCHUSTERN.]«.

Das Spiel mit der Sprache treibt Haas mit den sympathischen Versprechern der stets ausländischen Geliebten von Benjamin Lee Baumgartner weiter. Da wird »Fug reden« zum Gegenteil der Wendung »Unfug reden« stilisiert, »disgusting« mit »ungustiös« übersetzt oder dem »Querlesen« das »Geradelesen« gegenübergestellt. Als Leser darf man dann tatsächlich auch mal ganze Seiten »querlesen« oder im Kreis – wenn die Gedanken Kreisen – oder sich in den Text bis zur Unkenntlichkeit vertiefen. Diese Spiele mit dem Textsatz kennt man vor allem von Mark Z. Danielewski. Und wer des Chinesischen mächtig ist, der erfährt ein in der Tiefe des Romans liegendes Geheimnis (wer kein chinesisch kann, versteht den Roman dennoch, verpasst aber dieses »Bonus-G’schichtl«).

Wolf Haas neuer Roman, der es unfassbarer Weise nicht von der Long- auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, ist ein Hohelied auf die Literatur, indem er Sprache nicht zu ernst nimmt, sondern mit ihr spielt. Verteidigung der Missionarsstellung ist nicht nur die längst überfällige Rettung der typischsten aller sexuellen Begegnungen, sondern ein Lektürevergnügen sondergleichen.

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